„Ehepaare sind nur glücklich, wenn einer keine Zeit hat!“
Der nach „Ödipussi“ zweite und leider letzte Spielfilm des deutschen Ausnahmehumoristen Loriot, „Pappa ante portas“, wurde im Jahre 1990 gedreht um kam im Februar 1991 in die Kinos. Loriot schrieb das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle sowie mehrere Nebenrollen. An seiner Seite befindet sich selbstredend seine unvergleichliche Stammmimin und Schauspielkollegin Evelyn Hamann.
„Aber ich hab‘ doch noch ‘ne ganze Hunderterpackung!“ – „Frau Lamprecht, Sie haben da nicht den Überblick. Der blattweise Einkauf von Schreibmaschinenpapier ist kaufmännisch nicht zu verantworten.“
Einkaufsleiter Heinrich Lohse (Loriot) wird nach etlichen Berufsjahren 59-jährig von seinem Arbeitgeber, der Deutsche Röhren AG, mit sofortiger Wirkung in den Vorruhestand versetzt, nachdem er einen exorbitant hohen Vorrat an Schreibmaschinenpapier und Radiergummis hat liefern lassen, damit die Firma von einem satten Rabatt profitiert. Überhaupt ist der stets um Akkuratesse bemühte Heinrich etwas schrullig geworden. Darunter haben von nun an seine Frau Renate (Evelyn Hamann) und sein Sohn Dieter (Gerrit Schmidt-Foß, „Ravioli“) zu leiden, denn er möchte sich im Haushalt nützlich machen und glaubt, dass ihm seine berufliche Expertise dabei dienlich sei. Er richtet ein heilloses Chaos an; und zu allem Überfluss haben die benachbarten Mielke-Schwestern (Ortrud Beginnen, „Die Geierwally“ und Dagmar Biener, „Meier“) auch noch ein Auge auf ihn geworfen, womit er nicht umzugehen weiß. Bald plant Renate durch Aufnahme einer beruflichen Nebentätigkeit wieder etwas Abstand von ihrem Mann zu gewinnen, während dieser ohne ihr Wissen das traute Heim in ein Filmset verwandelt…
„Mein Sohn ist sechzehn. Er sitzt und spricht.“
Der Auftakt ist eine urkomische Persiflage alteingesessener, spießiger deutscher Unternehmenskultur, in die sich Heinrich mit seinem – wahrscheinlich dort erlernten – Habitus perfekt einfügt. Als er zum Generaldirektor zum Rapport muss, entpuppt sich dessen Büro als protzig barock eingerichtete, herrschaftliche Suite, größer als jede Durchschnittswohnung. Heinrichs gestelztes Englisch beim Telefonat mit einem vermeintlichen Interessenten, wie er eine mit Aktenordnern überlastete Kollegin aufhält, als er ihr mit Nichtigkeiten in den Ohren liegt und nicht bemerkt, wie sie nur aus reiner Höflichkeit zuhört und dabei fast zusammenbricht, der Dialog mit dem Generaldirektor – all das ist pures Komödiengold. Die Szene, in der Heinrich nach seiner De-facto-Entlassung seine Frau zu Hause überrascht, wurde in Point-of-View-Perspektive wie in einem Thriller gedreht – zurecht, wie sich herausstellen wird, denn der „Nervenkitzel“, den Heinrich bei seiner Familie verursachen wird, ist schlimmer als in jedem Hitchcock-Film (wenn auch ein wenig anderer Natur). Renate reagiert auf Heinrichs Kapriolen u.a. mit köstlichem Sarkasmus bis hin zu von Hamann herrlich expressiv gespielter Empörung, während sein Filius als Running Gag ständig neue Freundinnen mit nach Hause bringt und in aller Knappheit namentlich kurz vorgestellt (eine davon eine einen höflichen Knicks machende Punkerin). Einen Familienhund gibt es auch, aber den bekommt man – als weiteren Running Gag – nie so richtig zu Gesicht, zudem handelt es sich ab- und offensichtlich lediglich um ein Modell eines Vierbeiners.
„Ich halte es für meine Pflicht, auf das Privatleben meiner engsten Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen.“ – „Das ist mir neu!“
„Pappa ante portas“ spielt in einer privilegierten und überzivilisierten bildungsbürgerlichen gehobenen Mittelschicht, aus deren versteiften Versuchen, stets die Etikette zu wahren, sich der Humor vielfach speist – sei es bei Heinrichs Umgang mit den Mielkes oder hausierenden Sektenfuzzis, sei es bei der Rezeption gehobener Kultur: Heinrich begleitet Renate auf eine Lesung des Lyrikers schluckaufgeplagten Lothar Frohwein (Loriot), der in einer furchtbar knarzenden, schweren Lederjacke sein Gedicht „Melusine“ deklamiert („Kraweel, Kraweel!“), dem alle interessiert lauschen, ohne dass es sich ihnen erschließen dürfte (und es wohl auch nicht viel zu erschließen gibt). Eine überaus skurrile und doch so überhaupt nicht weit hergeholte Szene. Heinrichs verzweifelte Versuche, Sinn und Struktur in seine unverhofft viele Freizeit zu bringen, versinnbildlicht vielleicht am besten jene Szene, in der er sich einen Überblick über die Tagespresse verschafft, indem er sie auf dem Wohnzimmerboden ebenso sorgfältig wie großzügig ausbreitet. Den Geburtstag seiner Schwiegermutter vergisst er darüber jedoch immer wieder. Seine Schnapsidee, Renate damit zu überraschen, dass er das gemeinsame Haus für Dreharbeiten zur Verfügung stellt, bringt nicht nur Renate einem Nervenzusammenbruch nah, sondern persifliert zugleich chaotische Drehsets, womit diese Sequenz ein Stück weit in der Tradition des Erwin-Lindemann-Sketchs steht. Ein weiterer Running Gag wiederum ist Heinrichs Leidenschaft für die Nachspeise Birne Helene, die ihm erst so richtig schmeckt, als es sich um Apfelkompott handelt.
„Wir haben aus einem kleinen, miesen Saftladen einen großen... einen... einen... das, was wir heute sind…“
Loriots Film steckt voller feinsinniger, humoristisch detailreich aufbereiteter Beobachtungen hauptsächlich, aber nicht nur des Milieus, in dem er spielt, und ist am überzeugendsten in seinem trockenen Dialogwitz (in dem Loriot niemand etwas vormacht), beherrscht aber auch Situationskomik und etwas Slapstick. Er ist auf positive Weise typisch deutsch, weil er sich eben typisch deutsche Macken vorknöpft, dabei aber all seine Figuren mit Respekt behandelt. Zum Ende hin wird’s etwas klamaukiger, Schwiegermutters Geburtstagsfeier fällt für meinen Geschmack etwas ab und auch die Schlusspointe kann keinen mehr draufsetzen. Nichtsdestotrotz dürfte es sich bis heute um die beste deutsche Komödie handeln, aus der die eine oder andere Formulierung bei nicht wenigen Mitmenschen in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Und ist meine Lebensgefährtin einmal mehr der Ansicht, ich hätte, um eine fragwürdige Ersparnis zu erzielen, unnötig viel auf einmal gekauft, behauptet sie, meine Name sei in jenem Moment wohl Lohse gewesen. Sie hat da eben nicht den Überblick…