Review

Timur Bekmambetov – ein Name, der nicht erst seit des Actionstreifens „Wanted“ mit Angelina Jolie ein Name sein sollte. Ein Russe, der es ins US-Filmgeschäft geschafft hat? Der Erfolg kommt nicht von irgendwo her. Wir schreiben das Jahr 2004; ein Jahr, in der es das Filmgeschäft nicht besonders leicht hatte. Der große Knaller blieb weitgehend aus, nur Independent-Produktion konnten hier und da überzeugen. Welcher Film aber wirklich für großes Aufsehen sorgte, war ein europäisch-asiatischer Film, welcher sich keinem traditionellen Genre verpflichtet fühlte. Die Rede ist von einer Buchadaption, deren Roman jedoch in Europa weitgehend unbekannt ist, genauso wie der Autor Sergei Lukjanenko. Er hatte in Russland sehr großen Erfolg mit einer Fantasytrilogie, die sich jedoch immens von der Erzählstruktur großer Vetter wie „Der Herr der Ringe“ unterschied. Um es dem Westen ebenfalls populär zu machen, entschied man sich dann wohl, einen Film nach zu reichen. Aber nicht nur dies; es wurde sogar ein komplett alternative Schnitt abgeliefert – speziell für den Westen. Die russische Bevölkerung bekam dann zwar die längere Fassung zu sehen, aber welche nun wirklich die Bessere ist, wissen wohl nur eine Handvoll Leute – die Hardcore-Fans des Films werden mit Sicherheit beide Schnittfassungen sichten – zusätzlich auch noch den Director’s Cut, der jedoch nur aus rein kommerziellen Gründen seinen Weg in die Läden schaffte. Frühere russische Produktionen sind ja unter keinen guten Stern entstanden. Dementsprechend skeptisch wurde dann eben jene Produktion entgegen gestanden. Allerdings entpuppte sich „Wächter des Tages“ als ein Werk, welcher vorherige Produktionen locker in den Schatten stellt. Ein Mix aus Action, Fantasy, Surrealismus und Dramatik ist entstanden. Ein Rezept, das selbst Hollywood geschmeckt hat. Timur Bekmambetov wird Teil 3 der geplanten Trilogie in den Staaten drehen. Was sich jedoch hinter den Wächtern wirklich verbirgt, wird nun im Folgenden ausführlich besprochen…

Anton Gorodezki. Er ist ein Anderer. 1992 suchte er eine ältere Frau auf, die ihm dabei helfen sollte, seine Exfrau zurück zu gewinnen. Mit schwarzer Magie. Nebenbei erfährt er auch noch, dass sie schwanger ist. Die ältere Frau redet ihm rein, das Kind sei nicht von ihm, um sein Gewissen wohl nicht allzu sehr zu belasten, nach dem er einwilligte, das ungeborene Kind mit Hilfe einer Todgeburt verschwinden zu lassen. Allerdings wurde all das unterbrochen. 3 völlig fremde stürmen das Haus, verhindern das Verwenden der schwarzen Magie und stellen die Frau zur Rede. Anton wird zuerst links liegen gelassen. Die 3 Fremde sind die Wächter der Nacht. Und Anton ein Anderer. Dieser Tag sollte sein Leben komplett verändern, denn nach dem die Worte „15 Jahre später“ den Bildschirm zieren, gerät alles außer Kontrolle. Anton ist nun auch ein Wächter und muss eine postapokalyptische Katastrophe verhindern. Darüber hinaus bekommt er es noch mit Vampiren zu tun, die auf Rache sinnen, der 12jährige Junge Jegor scheint ebenfalls ein Anderer zu sein – und über allem herrscht stets das Gefühl der Verwirrung. So weit der Plan der Macher. 
Die Story in Worte wiederzugeben würde wahrscheinlich genauso lange dauern wie die komplette Rezension. Deswegen wird es bei dieser kurzen, überschaubaren „Inhaltsangabe“ belassen. Die wichtigere Frage in dem Fall ist jedoch, was soll ein Anderer sein, und welche Aufgabe haben die Wächter? Denn selbst diese Frage wird im Film nicht einprägend erläutert; was man jedoch erfährt ist, dass vor Hunderten von Jahren die Wächter des Tages und die Wächter der Nacht einen Pakt schlossen, der bis heute anhält. Der Pakt sieht so weit aus, dass jede Partei aufpassen soll, dass die Gegenpartei keinen Unsinn treibt. Und ein Anderer ist eine Person, die anfangs noch ein Mensch zu sein scheint, sich aber für eine Seite entscheiden muss, sofern sie merkt, dass sie doch nicht so normal ist wie die anderen Menschen. Es klingt verwirrend und es hat anfangs auch den Anschein, dass alles sehr unübersichtlich vorgehen mag, aber der Vergleich mit der obskuren Verwirrung der Matrix-Trilogie ist wohl etwas fehl am Platz. Während die Matrix-Macher immer mehr in ihre eigens kreierte, teilweise sehr unverständliche Fantasie eintauchen, wandelt Bekmambetov eher auf oberflächlichem Pfade. Das ist einerseits gut für den Zuschauer, andererseits wünscht man sich ab und an doch mehr Antworten.

"Was ist dir wichtiger? Der Inhalt oder die Wirkung?“

Genau nach dem Prinzip ist der Film aufgebaut. Bekmambetov gibt sich sichtlich Mühe, seine Story interessant zu halten, versagt jedoch schlussendlich am eigenen Anspruch. In dem er seine Story mit immer kreativeren und verrückteren, optischen Einfällen spickt, hat er oft seine eigenen Prinzipien nicht mehr im Blickfeld. Dabei ist es ihm gelungen, gerade den Anfang der Story interessant und vielversprechend in Szene zu setzen. Die ersten Protagonisten werden eingeführt, dazu gehören auch Antons Nachbarn – welche Vampire sind. Einer von ihnen ist Metzger. Sie müssen menschliche Berufe ausführen, um ihre wahre Identität zu verbergen. Die Rolle des Metzgers spielt zwar nur einen kleinen Part, aber dennoch ist sie eine der wichtigsten Szenen im ganzen Film. Sie zeigt schon eindeutig die Komplikationen zwischen Nachtwächtern und Vampiren. Der Akteur des Metzgers verleiht seinem Charakter eine bemitleidenswerte Zerrissenheit, die in „Wächter des Tages“ sehr eindrucksvoll weiter ausgebaut wird. 
Der weitere Fortgang der Story ist stets düster gehalten und spielt häufig im Halbdunkeln. Das der Film nicht in eine triste Atmosphäre fällt, ist der Komik zu verdanken, welche jedoch öfters sehr deplatziert wirkt. Die Düsternis wird durch sarkastische Dialoge aufgelockert, aber auch banaler Slapstick kommt nicht zu kurz. Slapstick, den Bekmambetov lieber nicht eingebaut hätte. Zum Glück bleibt es in dem Film nur auf 1-2 Szenen, während im zweiten Teil das komödiantische Profil eine weitaus größere Rolle spielt. Dass der Humor jedoch nicht die Grundeinstellung des Films zerstört liegt an Anton-Darsteller Konstantin Chabenski, da er seinen Charakter nie der Lächerlichkeit preis gibt, sobald er in sich in eine humoreske Lage befindet (man nehme nur die Szene, in der er wie ein verrückter schreit und mit seiner Taschenlampe eine Frau anleuchtet). Das ist grotesk und gelegentlich absurd, aber nie lächerlich, auch wenn es manchmal dem Hang zur unfreiwilligen Komik nicht verleugnen kann.

Der Wirbel. Der Wirbel ist ein Zeichen dafür, dass jemand verflucht ist. Der Spiegel. Er zeigt nicht wie das Auge nur das, was man sehen will, sondern offenbart jede Wahrheit, ganz gleich welche. Bekmambetov meint es etwas zu gut mit seinen gesellschaftskritischen Zeichen. Die wenigen Verweise zur aktuellen gesellschaftlichen Situation sind offensichtlich, und machen auch Spaß, da sie mit einem bösen Unterton präsentiert werden. Jedoch wirkt der Film dadurch sehr symbollastig und träge, da er sich gerade der Spiegelmythologie sehr gerne bedient. Er ist Freund und Feind zugleich, kann über Leben und Tod entscheiden. Das wird im Film sehr wörtlich genommen, da der Spiegel Verhängnis für beide Parteien wird – und sogar für den Tod Verantwortung tragen. Das dabei viel mit metaphorischen Elementen gearbeitet wurde, sollte jeden klar geworden sein, nach dem das Flugzeug eine Schraube verlor – und diese sich in die Tasse der Verfluchten verirrte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dem Publikum wird einmal mehr die Gesellschaft reflektiert – mit all ihren Schwächen und Vorurteilen. Dieser Aspekt wird sehr gerne übersehen – meist unfreiwillig. Denn gerade diese symbolische Thematik hat Bekmambetov gekonnt verschachtelt mit einfließen lassen; wie beiläufig wird diese Kritik inszeniert. Das man sich nach anfänglichen Gedanken darüber nicht weiter drauf eingehen möchte liegt daran, dass Bekmambetov in der zweiten Hälfe den sozialkritischen Part nicht weiter ausleuchtet, sondern sich mehr um seine (Fantasy-)Story und deren Effekte konzentriert. 

Ein Genremix. Der Film erfüllt tatsächliche mehrere Kriterien verschiedener Genre, was ihn sicherlich zu einem Film der besonderen Unterhaltung macht. Jedoch überzeugt er nicht auf jedem Gebiet. Die Action ist zwar rasant und mit teilweise kreativen Einfällen beschmückt (wie der Überschlagung des Wagens in Zeitlupe), jedoch wird sie unpassend eingesetzt und über den „Wow-Effekt“ kommt sie auch nicht hinaus. Es wird im Laufe der Zeit eine Belastungsprobe für die Geduld der Zuschauer, da das Tempo extrem variiert. Mal wird man mit einem Schnittgewitter überrascht, dann folgen wieder langatmige Einstellungen, die mit Dialogen verziert sind, welche jedoch mehrmals die Grenzen der Schreibfähigkeit der Autoren vorweißt. Aber zum Glück ist der Film nicht auf die Konversation angewiesen, auch wenn das den Nachteil bringt, dass dem Zuschauer nicht viel über das russische Filmuniversum preisgegeben wird. Man befindet sich immerhin in einer komplett anderen Welt, mit anderen Regeln und anderen Ansichten der Moral. Jedoch bleiben nicht nur einige Protagonisten im Dunkeln stehen – auch dem Zuschauer überkommt mehrmals das Gefühl der Unvollständigkeit. Apropos Moral: Sobald sich der Film dem Ende zuneigt, spielt sich Bekmambetov mehrmals als Moralprediger auf – von gerade zu narzisstischer Dimension. Das er dabei jedoch die Waage zwischen Erträglichkeit und Übertreiben beibehält, liegt an der finalen Wendung, die dem Film den womöglich größten Cliffhanger der letzten 10 Jahre bescherte. Er versucht die Ursachen der Katastrophe im menschlichen Versagen zu finden, was ihm ein Stück weit auch gelingt; dass er jedoch jedem (wichtigen) Darsteller gen Ende den Moralstempel dick und fett auf die Stirn aufdrücken musste, scheint wohl Hollywood-Konventionen verschuldet. Bekmambetov dachte sich wohl, um auch den Westen für sich zu gewinnen, verschiebt er die Liebesgeschichte in die letzten beide Teile, dafür jedoch „beglückt“ er sie mit einer zufriedenstellenden Lösung der Geschehnisse; selbst wenn diese durch die nur leidlich überraschende Wendung wieder auf den Kopf gestellt werden. Aber dass das US-Publikum nicht das Hellste ist, wissen wir ja nicht erst seit Emmerich, der die ja Welt mehrmals zerstören lies – und am Ende –oh Wunder heil!- alles wieder glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Zeit lebt.

Für Filmkenner hat der Film jedoch noch ein paar hübsche Zitate parat. So wird vor allem im ersten Akt mehrmals im „Matrix-Style“, gekämpft; sprich Anton metzelt in Zeitlupe Vampire. Und das ist eine ziemlich gelungene Szene. Wenn nicht die beste im ganzen Film. Unterlegt mit einer gut gewählten Rockmusik findet ein blutiger Kampf zwischen Wächter und Vampir statt, der mit Gewaltdarstellungen nicht geizt. Da kann es auch mal vorkommen, dass dem Wächter eine Schere durch die Hand gebohrt wird. In Nahaufnahme. „Inside“ lässt schön grüßen (auch wenn der Film 3 Jahre später entstand). Aber, und dafür sollte man Bekmambetov an den Pranger stellen, zerstört er diesen tollen Augenblick mit einer Nebenhandlung, die in dem Fall sehr actionlastig vorkommt. Wieso hat er das gemacht? Er hat sich dadurch nur selbst einen Streich gespielt, denn er erreicht im Laufe des Films nie wieder diese Stärke; man hatte wirklich richtigen Spaß an dem Kampf.

"Von solchen Strafen hab ich noch nie was gehört!“ – „Von solchen Verbrechen wirst du auch noch nie was gehört haben!“

Im zweiten Akt bekommt Anton eine neue Partnerin. Sie ist eine Eule. Jedoch keine gewöhnliche Eule. Sie ist eine Formwandlerin. Ein Mensch, der sich in ein Tier verwandeln kann. Und diese Verwandlung bekommt man auch zu sehen. Es hat schon den Hauch einer ekligen Faszination, jedoch wird hier ganz klar „Die Fliege“ von David Cronenberg zitiert – und der Film verleugnet das auch nicht unbedingt. Denn gerade die Verwandlung hat viele Elemente jener Verwandlung übernommen, die Jeff Goldblum durchmachen musste, als er unfreiwillig zur Fliege mutierte. 
Bekmambetovs Film ist nicht langweilig, er hat sehr viele Ideen mit eingebaut – und dafür auch für sehr viel Abwechslung gesorgt. Jedoch ist kein Einfall wirklich neu, viele kreative Gedanken sind meist nur Variationen gängiger US-Klischees – nur merkt man das auf den ersten Blick nicht. Trotz dem überbordenden Einfallsreichtum, der sich häufig um die Optik dreht, ist kein klar strukturierter Stil erkennbar, trotz der repetitiven Handlungsmuster. Bekmambetov geht immer anders vor, mal gelingt es ihm, mal mit weniger Erfolg. Und diese unübliche Regieabwechslung ist wohl der Grund, weshalb der Film von vielen positiv aufgefasst wurde. So was ist man nicht unbedingt gewohnt, es wird als neu und interessant interpretiert. Paradoxerweise ist gerade diese unorganisierte Regie Grund dafür, dass man sich mit keinem Charakter identifizieren kann. Der Film bleibt kühl und distanziert, er macht sich nicht mal die Mühe die Gefühle der Personen auszudrücken. Obwohl der Film viele tragische Züge hat, wird diese wie jeder andere Dramatik abgehandelt, was jedoch oftmals unsympathisch vorkommen mag. Eine klare Stellungnahme des Regisseurs, welche Seite denn nun gut oder böse ist, sucht man auch vergebens. Es gibt hier zwar eindeutig eine Schwarz-Weiß-Malerei, jedoch sind die Rollen und Plätze nicht standhaft verteilt. Jeder wechselt mal zur anderen Farbe, viele fühlen sich gar keiner zugeordnet. 
Es sind viele Fragen die unbeantwortet bleiben. Selbst im zweiten Teil werden noch mehr Fragen gestellt; auf eine befriedigende Antwort wartet man jedoch stets.

Ob der Film nun der Sechser im Lotto ist, ist sehr zweifelhaft. Klar, das Potenzial zur Erstellung eines komplett neuen Genres ist da, nur wird dieses nicht vollends aufgeschöpft. „Wächter der Nacht“ mag ein Genremix für viele sein, aber es ist viel mehr eine Welt für sich. Die Russen haben eine ganz persönliche Filmkategorie geschaffen, die wohl nur sie selbst verstehen werden. Gefüllt mit Zitaten, Verweisen und Anleihen bei anderen Genre. Das sie auch ein Händchen für Sozialkritik haben, merkt man eindrucksvoll im ersten Drittel des Films. Dem Film wird Verwirrung vorgeworfen, doch verwirrend ist das Ganze keineswegs nicht. Es ist viel mehr unentschlossen. Bekmambetov mag sich mit einer einzigen Lösung nicht zufrieden geben. Der Film sieht sehr überladen aus, ist aber noch überschaubar, wenngleich auch etwas desillusioniert verankert. Einen „Wow-Effekt“ gibt es, darauf aufgebaut wird nicht. Immerhin können einige Actionszenen überzeugen, und die dreckige Location trägt auch sehr viel zur Atmosphäre bei. Spannend und wirklich innovativ ist das Ganze zwar nicht, aber es ist ein interessanter Blick, der zeigt, wie die Russen sich ein dunkles Märchen vorstellen. Man sollte jedoch mit dem Gedanken an den Film gehen, dass das alles ein wenig anders ist. Wenn man sich nicht von vorne rein mit der Erzähltechnik des Films vertraut macht, hat man keine Chance und es kann dann für viele sehr träge und langweilig werden. Akzeptiert man jedoch das „etwas andere Kino“, bekommt man immerhin ein optisch brillantes, verrücktes Stück Filmgeschichte zu sehen, dass zwar nicht unbedingt Kultstatus erlangen wird, aber das Russenkino sicher nachhaltig beeinflussen wird.

Da ist es sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Hollywood die Remakerechte sichern wird – wenn das nicht schon längst geschehen ist…

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