Ist einer der Letzten einer kräftigen Portion von großangelegten, ernsthaften, dramatischen und aufwendigen Historienfilmen, die Hollywood zwischen 1989 und 2005 drehte. Diese Welle monumentaler Geschichtsfilme mit großartigen Dialogen, enormen Kulissen und statistenreichen Massenszenen stellt genaugenommen den bisherigen Höhepunkt des Schaffens der Traumfabrik dar. Alles begann mit "Glory" (1989), hatte seine beiden besten Filme gleich an zeitlich zweiter ("Der letzte Mohikaner" 1992) und dritter ("Braveheart" 1995, Oscar Bester Film) Stelle, und einen finanziellen Kracher im Jahre 2000 mit "Gladiator" (Oscar Bester Film). Auch wenn alle Filme dieser Welle qualitativ extrem dicht beisammen waren und sie bis heute zu den 40 besten Filmen aller Zeiten gehören, so war bei dem hektischen Publikum eine gewissen Abnutzung zu erkennen, die dafür sorgte, daß die späteren Exemplare nicht mehr so erfolgreich waren, wie die frühen. Dies traf dann die Filme der Jahre 2004 und 2005: "King Arthur", "Troja", "Alexander", "Königreich der Himmel", der allesamt zu den optimalsten Exemplaren der Reihe gehörten und den zeitlich etwas früher gedrehten "Last Samurai" weit in den Schatten stellten.
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"Alexander" hat als erschwerendes Handicap, daß seine Erzählstruktur völlig anders ist als man es von historischen Filmen gewohnt ist. Es werden extrem oft die Zeitebenen gewechselt, d.h. man fügt sehr lange Rückblenden ein, für deren Verständnis im Zusammenhang schon etwas an Geschichtskenntnissen gebraucht wird. Wer diese allerdings hat, wird diesen ungewöhnlichen Aufbau sogar genießen, weil man sich nicht durch eine endlose Vorgeschichte quälen muss, sondern die Haupthandlung immer wieder Spannung aufbringt, was von den milderen Rückblenden dann entlastend unterbrochen werden kann.
Extrem begrüßt wurde "Alexander" von diesen Geschichtskennern wie mir, auch deswegen, weil er endlich nach über 70 Jahren Filmgeschichte ein würdiger und großer Film über Alexander den Großen war, der die Griechen zum Sieg über die Perser führte, welche Jahrhunderte lang ihr Land angegriffen hatten.
Vor 2004 gab es nämlich keine guten Filme über den Macedonier Alexander, der als eines der drei größten militärischen Genies aller Zeiten gilt. 1956 war ein klein bis mittel budgetierter Film "Alexander der Große" gedreht worden mit Richard Burton, der in der Titelrolle zur Witzfigur wurde mit seinem zu kurzen Hemd, den kurzen Beine und dem im Verhältnis dazu viel zu großen und extrem braungebrannten Gesicht. 40 Statisten sollte dort ein Herr von 10.000 Mann darstellen. Erbärmlich auf der ganzen Linie.
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2004 ging Oliver Stone es mit "Alexander" würdevoller und perfekter an. Einer der größten Filme entstand.
Colin Farrell spielte die Titelrolle äußerst sensibel mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und tollkühnem Eroberungsdrang. Eine höchst interessant schattierte und durchwachsene Charakterisierung.
Über Angelina Jolie als Besetzung seiner Mutter kann man gerne streiten, weil die Frau mich eigentlich selten überzeugt in ihren Filmen. Aber es ist gar nicht falsch, sie und Val Kilmer als Eltern einzusetzen. Es wird nämlich von Historikern davon ausgegangen, daß die Eltern von Alexander sehr jung waren.
Außerdem ist dies ja kein Familienfilm, sondern es geht um den Eroberungszug. Dabei sind seine Freunde alle hervorragend besetzt (z.B. Jared Leto, Jonathan Rhys Meyers, Francisco Bosch, Rory McCann, Gary Stretch, uva.) und der zentrale Bestandteil für Alexanders Erfolg und auch vermutlich für sein Ende oder zumindest für die unendlichen Diadochenkriege, die auf seinen Tod folgten, waren seine Freunde, die auch seine Heerführer waren.
Die Beziehung zu eine Frau ist hierbei in erfrischend neuer Weise eine NEBENSACHE (in klischeehaften Historienfilmen definiert sich ein Großteil der Persönlichkeit und der Motivation des Helden durch seine Liebe zu seiner Frau), aber wird mit Rosario Dawson so aufregend prickelnd dargestellt, daß es eine Wonne ist. Habe selten eine Szene in einem Hollywood-Ü-100-Mill-Film gesehen, die so eigenwillig erotisch war wie jene, in der Rosario in einer Art Hassliebe in der Hochzeitsnacht nackt mit dem Messer auf Alexander losgeht die Grenze zwischen Begehren und Aggression in knisternder Art hin- und herwogt und zerfließt...
Die größere Liebesbeziehung hat der bisexuelle Alexander zu einem Mann: Hephaistion (Jared Leto). Diese Homo-Liebe ist so apart und dezent dargestellt, daß selbst harten Heteros dies nicht peinlich sein dürfte. Die sexuelle Offenheit lässt Alexander auch zwischendurch noch parallel eine rein sexuelle Beziehung mit dem Inder Bagoas anfangen.
Der Film vermittelt die Sinnlichkeitsfördernde Wärme der orientalischen Gegenden vortrefflich. Auch die Musik unterstreicht dies, hat aber auch ihre heldischen Klänge in anderen Szenen.
Die Größe des Unternehmens >Eroberung der bekannten Welt< wurde bei diesem Film eindrucksvoll bewußt. Dazu die unterschiedlichen Atmosphären: Griechenland (klar und sachlich), Babylon (mächtig und bewundernswert fremdartig), Afghanistan (kalt und schroff), Indien (geheimnisvoll und auf beängstigende Art fremdartig).
Der Film regt immer wieder meine Phantasie zum Träumen und zu spannenden Abenteuern an. Die Stimmung seine Wünsche und Sehnsüchte mit aller Entschlossenheit in die Tat umzusetzen und dabei zu fühlen sich in etwas ganz Großem / Neuem zu befinden, überträgt sich auf den Betrachter:
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Atemberaubend sind die Schlacht-Szenen, zunächst die gigantische Schlacht in Gaugamela, bei der in einer kameratechnischen Meisterleistung die taktische Brillanz Alexanders und seiner disziplinierten Krieger gegen eine persische Übermacht auch für den Laien übersichtlich vermittelt wird, obwohl die Vorgänge militärisch relativ kompliziert sind.
Die zweite Schlacht ist dann gegen die Inder und die wirkt in dem exotischen Land richtig unheimlich. Ein unbekannte Gefahr die in einer anderen Art von Kampfweise zu einem Gemetzel führt. Im längeren Cut sind die Schlachten herrlich blutig. Nicht übertrieben wie bei der Spartacus-Serie, aber realistisch hart.
Man sieht: Trotz unbegründet schlechtem Ruf hat der Alexander-Film so viele Vorzüge, daß er ein Genuß ist. Vielleicht noch mehr wenn man vorher die historischen Fakten auf wikipedia liest...