Eine gewaltige Aufgabe, die Lebensgeschichte Alexanders des Großen, dem Sohn
Philipps II., zu verfilmen! Das Leben, die Mythen und die Aura dieses Sprösslings des nordgriechischen Stammstaates Makedonien, das Jahrhunderte lang neidisch aber hilflos auf die hoch entwickelte Stadtstaatenwelt Griechenlands blickte, der durch das militärische Genie seines Vaters erst zum Herrscher Pellas und dann durch seine eigenen brillanten militärischen Qualitäten und Führungstugenden zum Herrscher des östlichen Mittelraums und später des gesamten Orients wurde, ist in der Menschheitsgeschichte nahezu beispiellos.
Da Oliver Stone allerdings sein Meisterwerk und selbsternanntes Lebenswerk „Platoon“ bereits formidabel auf Zelluloid bannte, war es alles andere als abwegig, ihm zuzumuten, dass er Ähnliches auch hier vollbringen könnte.
Doch er scheitert!
Als erste – nicht überwundene – Schwierigkeit stolpert Stone über die historische Tatsache, dass Alexander seine Feldzüge, sein Werk, sein Leben an einem Buch ausrichtete: der Ilias, sein Reisebuch der Kriegskunst, die Matrix aller seiner Taten, Homers erster literarischer Beitrag zur Menschheitsgeschichte! Wie soll man diesen komplexen, für den heutigen Menschen doch so schwer zu verstehenden Umstand filmisch umsetzen? Stone sucht sein Heil in Ptolemaios (Anthony Hopkins), dem General Alexanders, der die Anfänge des Hellenismus 40 Jahre später retrospektiv einem seiner Diener und damit dem Zuschauer schildert. Ein - zumindest für mich - unschöner Umstand, der noch dadurch verschlimmert wird, dass der Erzähler uns über den ganzen Film hinweg nicht nur akustisch, sondern auch optisch begleitet, durch wiederholtes, unterbrechendes Darstellen des Ptolemaios in Alexandria, wie er seinem Schreiberling diktiert. Das Bramarbasieren von Anthony Hopkins zwischen Pfauen, Girlanden, Papyrusrollen, einem idyllischen Blick aufs Meer - einer Märchenwelt - sieht aus wie schlechtes Fernsehen, hat aber mit anspruchsvollem Kino nichts zu tun.
Die zweite – tödliche – Entgleisung des Regisseurs ist die Besetzung der Rolle des Alexanders mit Colin Farrell, der mit seinem Stargehabe zwar seinem Image als Partys feiernder Hollywood-Trendtyp, nie im Leben aber einer der größten Gestalten der Antike gerecht wird! Die völlig indiskutable schauspielerische Leistung Farrells, kombiniert mit dem schwer vorstellbaren weinerlichen Gehabe, der manischen Hilflosigkeit und der ihm anscheinend inhärenten Verstörtheit passt denkbar wenig zu dem Mann, der es fertig brachte, Zehntausende dazu zu bewegen, fern der Heimat den Tod gegen unbekannte Völkerschaften, Großreiche, Dürre, Hitze, Kälte, Hunger, Seuchen und Ungeziefer zu suchen und dabei ein Denkmal zu setzen, mit dem selbst nach 2300 Jahren noch jeder einigermaßen gebildete Mensch zumindest halbwegs vertraut ist. Alexander war von seiner weltgeschichtlichen Mission überzeugt, Farrell ist es ganz offensichtlich nicht! Er passt mit seinen blondierten Haaren, die einen merkwürdigen Kontrast zu seinen dunklen Brauen und Bartstoppeln bilden, eher in den Herrenfriseursalon in Ephesos als auf die Schlachtfelder Vorderasiens.
Der dritte Irrweg Stones ist die psychologische Struktur seiner Hauptfigur. Der Farrell-Alexander ist hin- und hergerissen zwischen seiner hexenhaft anmutenden Mutter Olympias - der beispiellos schlecht agierenden Angelina Jolie – und seinem hier nur trunksüchtigen Vater Philipp. Als er miterlebt, wie dieser seine Mutter misshandelt, schwört er, später einmal alles besser zu machen – und erobert die halbe Welt! Ein Ödipuskomplex comme il faut! Das klingt toll in der Theorie ist aber so unhistorisch wie die Fönfrisur Farrells. Dieser „Alexander“ hier ist ein weinerlicher, leicht zu erschütternder, ständig nach (homosexueller) Liebe suchender Mensch, der schwerlich in der Lage wäre, eine der größten Expeditionen der Menschheitsgeschichte anzuführen. Nein! Er wirkt definitiv eher wie einer derjenigen, die beim ersten Anzeichen einer Schlacht aus der gewaltigen Phalanx ausscheren, die Beine in die Hand nehmen und sich im nächst besten Loch (oder Bordell) verkriechen.
Apropos Phalanx: Selbst hier erweist sich der Film als unfähig, die gewaltige makedonische Militärmaschinerie, die erst 150 Jahre später durch Rom besiegt werden sollte, auch nur ansatzweise realgetreu darzustellen. Die Stone-Phalanx ist fragil, uneinheitlich und für einen altertümlichen Konflikt sicherlich nicht weiter zu gebrauchen. Ihr antikes Vorbild war es! Die (beendete) Geschichte der Gegnervölker belegt das nur allzu gut. Der Sinn einer Phalanx war ihre Funktion als starres Schild, als Wand, die sich unaufhörlich auf den Gegner zubewegt und keine Lücken entstehen lässt. Sie hält die Hopliten außerhalb der Reichweite des Gegners, überwindet aber gestaffelt jede gegnerische Verteidigungs- oder Angriffsformation, ob beritten oder zu Fuß. Die langen makedonischen Lanzen sollten erst sehr viel später, bei Pydna, im 2. Jahrhundert vor Christus, unter furchtbaren Verlusten der Makedonen gegen Rom für immer fallen. 330 vor Christus war es sicher noch nicht so weit. Das Gedrängele, Geschubse, Gelaufe und Dahinlatschen der 2004er Phalanx vermittelt einen anderen Eindruck. Da stehen die Lanzenträger schon mal allein auf weiter Flur mit ihrer 4 Meter langen Waffe und verlassen – regieverschuldet – den sicheren Hort ihrer schützenden Phalanx, um sich dem Gegner zum Töten feil zu bieten. Aber jeder wie er mag!
„Gladiator“ und auch „Troja“ waren antikisch in ihrer Brutalität, ihrer Körperlichkeit und ihrer Schlichtheit. „Alexander“ ist es nur in seinen Kostümen und seinen Kulissen. Das Faszinierende seiner beiden Pendants erreicht er nicht. Schade um die vertane Chance! Was für ein erhabener Stoff – und was für ein liebloser, fader Film!
5/10 Pkt