Hendrik Hölzemann schrieb einst das Drehbuch zu "Nichts Bereuen". Auch das Skript zu "Kammerflimmern" stammt aus seiner Feder. Nur nahm er dieses Mal auch auf dem Regiestuhl Platz und lieferte sein Spielfilmdebüt ab.
Story:
"Crash" (Matthias Schweighöfer) hat im Alter von sieben Jahren seine Eltern bei einem Autounfall verloren. Heute ist er Mitte zwanzig, arbeitet als Rettungssanitäter und kann immer noch nicht von den Ereignissen loslassen. Mit seinen Kollegen Fido (Jan Gregor Kremp) und dem drogensüchtigen Richie (Florian Lukas) schiebt er Dienst auf Kölns Straßen. Auch sein Beruf macht ihm zu schaffen. Er kann einfach nicht abschalten, keinen Abstand gewinnen, fristet sein Leben zwischen Leid, Trauer, Blut und Kotze. Nur seine Träume zeigen ihm eine andere Welt. Nacht für Nacht sieht er eine junge Frau, jedoch ohne sie wirklich zu erkennen. Eines Tages liegt diese Frau in seinem Rettungswagen. November (Jessica Schwarz), hochschwanger und voller Gram, da sich ihr Freund, der Junkie Tommy, gerade den letzten Schuss gesetzt hat. Zwischen Crash und November entwickelt sich eine zaghafte, aber innige Liebesbeziehung., die für beide gesund zu sein scheint. Crash findet endlich einen Ausweg aus seinem depressiv-tristen Alltag und November fasst neuen Mut für ihre Zukunft und die Zukunft ihres Kindes. Doch das Schicksal meint es nicht immer gut. Und Gott ist ein sadistisches Schwein...
Hölzemanns erste Regie-Arbeit ist so schwermütig wie ein Himmel voller grauer Regenwolken. Drückende Bilder, kalte Farben, Köln bei Regen und Nacht – all das wirkt unheimlich gefühlsverstärkend und schafft eine Atmosphäre, welche kälter und unfreundlicher nicht sein könnte. In diese feindselige Umgebung packt Hölzemann seine Geschichte, die mit zwei parallel ablaufenden Handlungssträngen beginnt. Einmal das Leben von November, Party trotz Schwangerschaft, Sorge um ihren Tommy., Hoffnung, das das Baby alles verändert. Dagegen gestellt ist Crash's Alltag: Einsatz für Einsatz schiebt er zwischen Trauma und Hobby, dem Skateboarden. Bis sich beide Handlungsstränge an einem schicksalhaften Tag kreuzen und langsam beginnen, miteinander zu verschmelzen. Meisterhaft baut Hölzemann in diese Geschichte die Traumsequenzen Crash's, sowie die Rückblenden, welche Auskunft über den schrecklichen Unfall seiner Eltern geben, ein.
Die Schauspieler sind einfach nur überragend. Matthias Schweighöfer kommt so unglaublich gebrochen und traumatisiert rüber, wie es besser kaum sein könnte. Auch den Wandel, nachdem er November kennen lernt, spielt er überzeugend (diesen Wandel setzt Hölzemann auch visuell gut um, plötzlich scheint in Köln die Sonne, die Farben werden bunter etc.). Jessica Schwarz spielt rührend zwischen Trauer und Hoffnung, und macht mit künstlichem Babybauch eine richtig gute Figur. Abgerundet wird das ganze durch ein hervorragendes Ensemble an Nebendarstellern. Allen voran Jan Gregor Kremp spielt so unglaublich gut und wirkt so kameragewaltig, als wäre er für nichts anderes geboren worden.
In ihrem Inneren sind alle Figuren in diesem Film auf irgend eine Art gebrochen. Was sie erfahren, ist eine Hölle, die auch als "Leben" bekannt ist. Und obwohl man jede der Figuren in manchen ihrer Handlungen nicht bestärken kann, so gibt es doch Momente, in denen man für fast jeden Charakter doch Mitgefühl und Sympathie entwickelt. Das zeigt, dass Hölzemann den Umgang mit seinen Figuren wirklich versteht und ein Händchen für deren Entwicklung hat.
Die teilweise ziemlich harte Realitätsnähe erreicht der Film vor allem während der zahlreichen Rettungseinsätze, wobei einer hervorsticht, der wohl jedem Zuschauer im Gedächtnis bleiben wird. Und zwar, als Crash und Fido zu einer angehenden Selbstmörderin gerufen werden, die auf dem Dach eines Wohnblockes steht. Crash, der an vorderster Front (auf dem Dach) um das Leben der jungen Frau redet, wirkt ruhig aber doch verzweifelt, der Dialog zwischen beiden ist sehr eindringlich und der Ausgang dieser Situation schockt und ist schwer zu verdauen.
Das Ende, obwohl es kurz vorher schon abzusehen ist, kommt wie ein Hammerschlag. Hier ist es der Zuschauer, der ebenso leidet, wie die handelnden Figuren. Die Visualisierung der Vermischung vom Bewusstsein und Unterbewusstsein Crash's ist sehr gut gelungen und äußerst innovativ umgesetzt. Auch wenn der Zuschauer letztendlich über Crash's Entscheidung (falls er in diesem Moment überhaupt noch Entscheidungsfreiheit genießt) im Dunkeln gelassen wird, so wird die Tragik des Films mit diesem Ende zum Einen auf den Höhepunkt, zum Anderen zu einem fulminanten Abschluss geführt.
Fazit:
"Kammerflimmern" ist ein gewaltiges Drama, welches atmosphärisch, eindringlich, sensibel und traurig zugleich ist. Einige Längen stören kaum, werden sie doch von den überragenden Darstellern wett gemacht. Keineswegs leichte Kinokost, aber wer sich darauf einlässt, bekommt Einiges geboten, nämlich jede Menge Tragik, wunderschön unterkühlte Bilder und eine tiefe Wirkung, die auch lange nach dem Kinobesuch noch präsent ist. Wenn deutsche Filme in Zukunft immer diese Qualität haben, dann nur her damit.
12/15 Punkten (2+)