Im digitalen Zeitalter wird es zunehmend schwieriger, einen klassischen Western noch als relevant für Filmfans zu verorten, nicht nur, weil das Genre per se seit vierzig Jahren in Agonie dahinsiecht (trotz einiger Ausreißer), sondern auch, weil die Moral, die Botschaften, die charakterlichen Zeichnungen inzwischen mal als Anachronismus, mal als Rassismus und manchmal als schlichtweg politisch unkorrekt erscheinen.
Noch dazu sind die Filme nicht selten noch monochrom präsentiert, was inzwischen rundweg abgelehnt wird.
John Fords „Stagecoach“ allerdings ist nicht nur ein klassischer Western und ein Meilenstein des Genres, sondern auch ein Road Movie, ein Ensemblefilm und eine (für die Produktionszeit) recht revolutionäre Charakterstudie.
Schon der Plot ist praktisch unzerstörbar in seiner Zeitlosigkeit: eine Gruppe von Personen muss, jeder aus einem anderen Grund, von Punkt A nach Punkt B reisen. Der Weg dorthin ist eine Belastung, erfolgt unter Druck und wird zusätzlich durch eine äußere Bedrohung erschwert. Antipathien und gegenseitige Vorurteile brechen sich Bahn, ehe die Charaktere in der Not andere Qualitäten präsentieren dürfen, die sie sonst verstecken.
Da wir uns im alten Westen (um 1880) herum befinden, besteht die Bedrohung fast zwangsläufig aus Indianern, die Bedrohten sind die Fahrer und Insassen einer regulären Postkutsche auf dem Weg nach Lordsburg (Santa Fé). Obwohl die Atmosphäre schon zu Beginn aufgeladen ist (der Apachenhäuptling Geronimo soll auf dem Kriegszug sein), entscheiden sich die zentralen Figuren zum gefährlichen Aufbruch.
Die schwangere Mrs.Mallory will (wieso auch immer) sofort zu ihrem Gatten, der in der Armee tätig ist; der Spieler Hatfield – ein Mann von guten Manieren und schlechtem Ruf – eilt spontan an ihre Seite. Der Bankier Gatewood hat die Lohngelder eingesteckt und befindet sich praktisch auf der Flucht, während die von allen Seiten schief angesehene Dallas (man spricht wohl von Gunstgewerblerin, kann aber auch von Prostitution reden) praktisch von „aufrechten“ Frauen aus der Stadt vertrieben wird.
Dasselbe Schicksal erleidet auch der stets versoffene Doc Boone, der in dem Vertreter Peacock einen gern gesehenen Mitreisenden findet – denn Peacock vertritt ausgerechnet Whisky.
So dient das erste Viertel auch mehr der Vorbereitung und Einführung, während der Mittelteil des Films dann der Reise vorbehalten ist. Und auch erst nach dem Aufbruch bekommt man den titelgebenden „Ringo“ (in Gestalt von John Wayne) überhaupt das erste Mal zu Gesicht (bisher wurde von seinem Konflikt mit den Plummer-Brüdern um eine Mordanklage nur geraunt). Der wird vom spontan mitgereisten Marshal gleich in Eisen gelegt, kündigt aber gleich an, dass man die Winchester noch brauchen würde.
Der reine Reiseteil des Films dauert dann auch nur ca. 45-50 Minuten, eine erste ruhige, dann immer bedrohlichere Reise, werden die begleitenden Soldaten doch abzogen, dann an einer Station die Ersatzpferde geraubt und schließlich findet man die rauchende Überreste einer weiteren Raststation, ehe die Indianer zum Großangriff in der Weite des Monument Valley übergehen.
Wegen dieser Angriffssequenz ist der Film in die Geschichte eingegangen, denn sie enthält mindestens zwei (für die damalige Zeit) lebengefährliche Stunts auf- und unter den Kutschpferden und von einer beeindruckenden Rasanz und guten Kameraarbeit. Natürlich muss man auch in dieser Produktion in Kauf nehmen, dass sich beeindruckende Außenaufnahmen aus dem Monument Valley mit eher mäßig-schwachen Rückprojektionen aus dem Studio (mit handgeruckelter Kutsche) abwechseln.
Gleichzeitig gelang Ford mit diesem Film praktisch schon im Jahr 1939 ein großes Genrerevival, denn bis dato war der Western ein Sujet für Serials, günstige B-Produktionen und die furchtbaren Gesangspferdeopern, in denen singende Cowboys die DoubleBills auffüllten (auch Wayne hatte so einige davon gedreht) – die letzte Großproduktion war da schon fast ein Jahrzehnt her und ein üblicher Flop gewesen.
Hier aber hielten sich äußere Reize und innere Dramatik die Waage. Während der weinerliche Kutscher Buck und der philosophisch gebildete, aber stinkvolle Boone ein wenig auf Humor machen, hält sich „Ringo“ zumeist zurück, während die Figuren das klassische Bild von den Guten und den Bösen ins Wanken bringen.
Hier gehören die Sympathien eindeutig den sonstigen Schattengestalten: dem Spieler, der auf seine gute Erziehung zurück greift; der Nutte mit Herz ,die von allen geschnitten wird; dem vermeintlichen Mörder und Outlaw; dem Säufer, der auch auf drei Atü noch ein hervorragender Arzt ist und im entscheidenden Moment über sich hinaus ausnüchtert (Thomas Mitchell gewann den Oscar für die Rolle und das verdient!).
Die eigentlichen Gutmenschen fallen da schon mäßiger aus: der Bankier ist ein Schurke, die Motivation des Marshals schwankend; der Kutscher gemeinhin eher ein Dummkopf, die (schwangere) Holde in Not rollt angeekelt mit den Augen, wenn die Prostituierte ihr Hilfe und Unterstützung zukommen lassen will.
Und auch hier sind die Brüche deutlich – wenn Hatfield etwa nur jemanden seiner Bildungsschicht anerkennt und die abgeschobene Saloondame Dallas verachtet.
An die gefahrvolle Reise schließt sich dann noch ein längerer Epilog an, in dem die einzelnen Geschichten weitestgehend zuende erzählt werden und erst jetzt erhält „Ringo“ den Hauptrollenfokus, den die Vortitel versprachen (wobei übrigens Claire Trevor als „Dallas“ das „top billing“ erhielt, Wayne war ein eher notdürftig akzeptierter B-Darsteller), denn jetzt geht es um den Mordkonflikt mit den drei Gebrüdern Plummer und nun kann auch das Protagonistenpaar erlöst werden.
All das ist klassisches Westernmaterial, das man mühelos als „bekannt“ abtun kann, das aber bisweilen hier das erste Mal überhaupt so kondensiert präsentiert wurde. Die vielen Brüche mit den Genre- und Charakterstandards brachten dem Film viel Ärger und Zögern mit der Zensur ein, in einer Zeit als Gut und Böse klar vom „Breen Office“ getrennt wurden. Hier zeigt „Stagecoach“ Ansätze einer neuen Moral, die dann im klassischen Western der 40er und 50er ausgebaut wurde.
Man genieße, trotz technischer Unzulänglichkeiten und manchmal dramaturgischer Fehlgewichtung, also diese berühmte Anordnung bitte als sicherlich einen von 20 weltberühmten Western, die man kennen sollte – neu ist nicht immer besser (8,5/10)