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Im Meisterwerk „Heat“ trafen anno 1995 zwei ausgebuffte Profis aufeinander, neun Jahre danach hat das Duell in „Collateral“ eher etwas von David gegen Goliath. Ein x-beliebiger Taxifahrer (Jamie Foxx) aus L.A. hat nämlich in einer schicksalhaften Nacht einen ganz besonderen Fahrgast: Profikiller Vincent (Tom Cruise). Der hat den Auftrag, bis zum Morgengrauen fünf Kronzeugen gegen ein Drogenkartell auszuschalten, doch gleich beim ersten bekommt Taxifahrer Max Wind von der Sache. Von nun an ist er selber im Geschehen involviert und wird am Ende der Nacht nicht mehr derselbe Mensch sein.

Aus dieser simplen, aber interessanten Prämisse schuf Michael Mann einen beinahe revolutionären Mix aus Drama und Thriller, der an den Kinokassen, trotz Tom Cruise als Zugpferd, erneut kein überragendes Einspiel einfuhr. Für den überwiegenden Teil der Zuschauer und für die Mann-Fangemeinde sowieso ist jedoch klar, dass hier ein kleines Meisterwerk geschaffen wurde, gänzlich unabhängig von irgendwelchen Genre-Konventionen und ganz und gar selbstständig.

Alleine Tom Cruise als Profikiller zu casten, verdient Respekt, zumal er in „Collateral“ dermaßen effektiv in Szene gesetzt wird, dass man völlig vergisst, den einstigen „Top Gun“-Schönling vor sich zu haben, der üblicherweise jeden seiner Filme mit seiner Leinwandpräsenz erdrückt. Präsent ist er hier natürlich auch, aber sein eiskalter, zynischer und präziser Auftragskiller Vincent steht qualitativ über jeder Rolle, die ich bis zu diesem Zeitpunkt von Cruise kenne. Mit seiner unterkühlten Art bildet er das exakte Gegenstück zum verträumten Taxifahrer Max (ebenfalls grandios: Jamie Foxx), der sich in dieser Nacht aufgrund von Vincents Einfluss völlig verändert. Der gefühlskalte Vincent lässt sich von Max charakterlich nicht mehr verbiegen, obwohl ihm die Gespräche mit ihm ein menschlicheres Gesicht geben, doch Max erfährt von seinem besonderen Fahrgast, was es heißt, Improvisationstalent, Nüchternheit und Entschlossenheit an den Tag zu legen. Das Prekäre an dieser Situation ist natürlich die vollkommene Ausweglosigkeit des Taxifahrers Max, denn nach einigen Fluchtversuchen muss er erkennen, dass er ganz und gar an Vincent gebunden ist und jegliche Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen, zwangsläufig mit dem Tod Außenstehender verbunden sind. Erst als der Bogen von Max’ erstem Fahrgast hin zum letzten Opfer auf Vincents Liste gespannt wird (war allerdings zu erwarten), gelingt es ihm, über seinen eigenen Schatten zu springen und einen glücklichen Ausgang der Situation herbei zu zwingen.

Obwohl die letzte Viertelstunde mit zum Spannendsten gehören, was das Thrillerkino in den letzten Jahren hervorgebracht hat, ist der Ausgang leider gleichzeitig von einigen Genre-Klischees abhängig (Handy-Akku leer, Bösewicht handelt unüberlegt, etc.), aber bei der Klasse des vorher Gesehenen fällt das nicht weiter negativ auf.

Dass Mann in seinen Filmen stets ein besonderes Bild „seiner“ Stadt Los Angeles vermittelt, dürfte ja jedem bekannt sein, aber in „Collateral“ schießt er in dieser Hinsicht den Vogel ab: Experimentierfreudig zeigt er diesen Schmelztiegel in verwaschener DV-Optik als unbarmherzigen Großstadtmoloch, als Meer von Lichtern und anonym bleibenden Bewohnern. Die „Stadt der Engel“ als Höllenschlund bei Nacht, in dem man weder Vertrauen, noch Verständnis, geschweige denn Schutz findet. Manns Inszenierung ist visionär, einige Szenen vergisst man sicher nicht so schnell, das kann ich selber schon eine Woche nach Erstansicht behaupten. Kein Kameraschwenk, keine Einstellung ist ohne Hintergedanken entstanden und so bekommt man Bilder zu sehen, die sich wirklich ins Gedächtnis einbrennen. Während die Szene im Jazz-Club derart genial aufgebaut ist, dass man eigentlich kein Wort darüber verlieren darf, beweist Mann z.B. in der „Club-Fever“-Szene, dass er weiterhin in der obersten Liga der Action-Regisseure spielt.

Was mit „Collateral“ geschaffen wurde, ist keine Liebeserklärung an eine Stadt, kein gewöhnlicher Thriller, sondern eine völlig neue Filmerfahrung. Zwar nicht so episch wie „Heat“, aber es reicht auf jeden Fall, um Mann attestieren zu können, ein völlig eigenständiges Werk geschaffen zu haben, an das man sich noch in Jahren erinnern wird. So etwas gibt es im heutigen Hollywood-Blockbuster-Einheitsbrei nur noch ganz selten und man kann nur hoffen, dass Mann seinen unverwechselbaren Stil auch im bald erscheinenden „Miami Vice“-Remake beibehält.

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