Review

Allgemein

Zwei entscheidende Verdienste für die Fernsehwelt sind Chris Carters Serie anzuschreiben. Erstens hat sie das Mystery-Genre salonfähig gemacht - sowohl im TV- als auch im Kinobereich. Zweitens hat sie den Serienstandard angehoben wie kaum eine andere Serie vor ihr, weswegen wir heute in den Genuß qualitativ erstklassiger TV-Serien kommen wie etwa "24".

Dabei war das Anfang der 90er weder Hype noch Kult. Nur wenige können von sich behaupten, seit der ersten Staffel dabei gewesen zu sein. Und viele derer, die es können, werden ein Liedchen davon singen können, dass sie oftmals, ähnlich wie die Trekkies, als Freaks abgestempelt wurden. Die können jetzt stolz sagen: ich hab`s schon damals gewusst.

Erst mit etwa der vierten Staffel hatten die Geschichten um "Spooky" Mulder und seine Partnerin Dana Scully vom FBI Einzug erhalten in den Mainstream der TV-Landschaft.

Worum geht es? Wir lernen eine ganz spezielle Abteilung des FBI kennen: die der X-Akten, bei der unerklärbare Phänomene untersucht werden. Geleitet wird diese Abteilung von Fox Mulder (David Duchovny), der auch persönliche Interessen verfolgt: schliesslich glaubt er, dass seine kleine Schwester Samantha von Ausserirdischen entführt wurde, als er noch ein Junge war.
Da man ihm beim FBI nicht so ganz über den Weg traut, stellt man ihm eine Wissenschaftlerin als Partnerin zu: Dana Scully, die ihn überwachen soll.
Doch bei ihren Ermittlungen führt Mulder sie in eine Welt, bei der es irgendwann schwierig wird, alles rational zu erklären. Und wie steckt die Regierung in der ganzen Verschwörung, allen voran der kettenrauchende Krebskandidat?

Die 20 bis 24 Episoden jeder Season lassen sich alle in zwei Kategorien gliedern. Zum einen gibt es die sogenannten "Monster-of-the-week"-Stories, die vor allem für Neueinsteiger geeignet sind und schätzungsweise 65 bis 70 Prozent aller Folgen ausmachen. Hier handelt es sich um geschlossene Handlungsstränge, bei der es einen von allem anderen unabhängigen Fall zu klären gibt. Da gäbe es Formwandler, Werwölfe, Menschen mit Psi-Kräften oder auch Hinterwäldler... alles, was man sich so vorstellen kann.

Zum anderen wird ein zentraler Handlungsstrang verfolgt, bei dem es hauptsächlich um Aliens geht sowie die Regierung, die jegliche Existenz Ausserirdischer auf der Erde dementiert. Die wichtigsten Charaktere der Serie - Mulder, Scully, Samantha, Skinner, der Krebskandidat, Deep Throat, Alex Krycek usw. - sind hier von Bedeutung, genauso wie ihre Entwicklung. Die Episoden dieser Kategorie sind für die Serie bedeutender.

Wer nur sporadischer Akte X-Gucker ist, wird mit letzteren Episoden nicht viel anfangen können. Kein Wunder, gibt es hier doch dermassen viele Erzählstränge und Wendungen, dass selbst eingefleischte Fans manchmal nicht mehr mitkommen. Ich habe kürzlich innerhalb weniger Monate alle Folgen von Season 1 bis 7 chronologisch hintereinander angesehen und hatte dennoch teilweise Schwierigkeiten, der Geschichte zu folgen. Hier ist für mich auch der größte, allerdings nahezu einzige Kritikpunkt einzuwenden: der Hauptplot ist zu verstrickt, tritt sich sozusagen auf die eigenen Gedärme.

Dennoch kann man nicht bestreiten, dass die ganze Alien-Entführungsgeschichte trotz einer sehr klischeehaften Grundlage und einem ebensolchen Beginn ("Ausserirdische haben meine Schwester entführt, und ich werde sie suchen und finden, auch wenn ich mein ganzes Leben damit verbringe") irgendwann sehr vielschichtig und episch wird. Auch wenn man zwischendurch die Orientierung verliert, am Ende steht doch die dichteste Verschwörungsgeschichte der Fernsehgeschichte.

Es ist natürlich nicht so, dass die Verschwörungsepisoden nur aus unverständlichen Dialogen bestehen. Auch hier wird was fürs Auge geboten. Man denke nur an das schwarze Öl, die UFO-Landungen oder die Männer mit den zugenähten Augen und Mündern.

Wer aber auf tolle Effekte und verrückte Ideen aus ist, sollte dennoch seine Aufmerksamkeit auf die Motw-Folgen konzentrieren. Hier gibt es teilweise wirklich abstruse Einfälle zu bestaunen. Klassische Monster wie Vampire oder gar das Monster von Loch Ness (!) wechseln sich ab mit eigenen Ideen (bei der Geschichte um die hyperschnellen Teenies wird sogar eine Idee aus "Matrix" vorweggenommen) und Filmhommagen ("Blutschande", eine der brutalsten, umstrittensten und besten Episoden).

Egal ob Motw oder Verschwörungstheorie, der Aufbau der Folgen ist immer relativ ähnlich. Im Prolog wird der Zuschauer Zeuge eines Vorfalles des in der kommenden Episode zu klärenden Phänomens. Der Clou ist folgender: noch hat der Zuschauer keine Ahnung, was er da gerade eigentlich gesehen hat. Es war definitiv gruselig oder zumindest seltsam, aber man weiß noch nicht, worum es geht. Ein Beispiel gefällig? Bitte:
Ein Arbeiter wird von seinem Chef gezwungen, seine Pause zu beenden und weiterzumachen. Der genervte Arbeiter geht in einen Schuppen und beginnt dort aufzuräumen. Als er einen Teppich weglegen will, bewegt dieser sich plötzlich. Er rollt ihn aus und findet darin eine Frau.
Schnitt. Man sieht den Chef. Er geht in den Schuppen und sucht nach dem Arbeiter. Der ist aber nicht da. Plötzlich fängt der Chef - mit dem Rücken zum Zuschauer - an, zu wimmern. Er dreht sich um... und hat keinen Mund mehr!

Was soll das nun? Das wird dann nach dem (inzwischen fast legendären) Vorspann geklärt. In diesem Fall war die im Teppich eingerollte Frau eine Dschinn (ihr wisst schon, wie Barbara Eden in "Bezaubernde Jeannie") und der Arbeiter hat sich von ihr gewünscht, dass sein Chef endlich mal die Klappe halten würde.
Ein derart konstruierter Prolog macht aber Spass, weil er eben den Zuschauer im Ungewissen lässt, was den Aspekt des Unerklärlichen noch heraushebt.

In den folgenden 40 Minuten gehts dann meist so weiter: Mulder und Scully kommen am Tatort an, finden Beweise, nisten sich am Ort des Geschehens ein. Dann gibt es wieder einen Vorfall zu bestaunen, bevor am nächsten Tag wieder Mulder und Scully aufkreuzen. So kommen sie der Sache immer näher, bis sie sich irgendwann auflöst. Hört sich so etwas spröde an, wird es aber aufgrund der kreativen Plots fast nie.

Unterstützt wird das Ganze durch ebenso kreative Variationen bezüglich der Inszenierung. So wird z.B. eine Episode als Huldigung an Hitchcocks "Cocktail für eine Leiche" ohne sichtbare Schnitte gedreht. Eine andere wiederum zeigt die Ermittlungen des FBI in Blair Witch-Manier, mit Handkamera gedreht, um so Realismus einzufangen.

Bei all den unglaublichen Stories steht aber eines immer im Vordergrund: die Beziehung zwischen dem glaubenden Mulder und der kritischen Scully. Glaube gegen Wissenschaft, das gibt es nicht erst seit Akte X. Hier steckt ein ungemeines Spannungspotential drin. Das hat sich wohl auch Chris Carter gedacht, und in der Tat hält das Konzept immer wieder bei der Stange. Als aufgeklärter Rationalist schliesst man sich doch meistens Scullys Ansichten an, um dann doch wieder von Mulder eines Besseren belehrt zu werden. Man kann jetzt fragen: lernt diese dämliche Scully jetzt nicht endlich mal, dass sie mit ihrer Wissenschaft hier nicht weit kommt? Aber auch als Zuschauer sucht man immer erst nach der einfachsten Erklärung, weshalb Scullys Skeptizismus niemals unangebracht erscheint. Ausserdem wird in der Serie mehrmals betont, dass sich Glaube und Wissenschaft ergänzen und Mulder seine sieben Leben ohne Scullys rationale Weltsicht schon alle verloren hätte.

Ein weiteres Spannungselement: Mulder ist ein Single-Männlein, Scully ein Single-Weiblein. Und was haben wir noch in der Schule über Bienchen und Blümchen gelernt? Richtig, da muss doch was gehen. Aber wir wollen das hier mal nicht ins Lächerliche ziehen, denn immer wieder gelingt es Carter & Co., wirklich berührende Momente zwischen Beiden zu schaffen, bei denen sich Freundschaft und Liebe vermischen, wie man es noch selten gesehen hat. Auf einen Kuss mussten die Fans lange warten. Beim Akte X-Film, der zwischen den Seasons 5 und 6 angesiedelt ist, hätte so mancher eine ganz bestimmte Biene am liebsten in den Bienenhimmel befördert.

Wie bedeutend die Beziehung zwischen Mulder und Scully für den Erfolg der Serie war, wurde dann mit Duchovnys Ausstieg nach der siebten Staffel deutlich. Nach zwei weiteren Staffeln mit einem sehr guten Robert Patrick als Agent Doggett und einer überflüssigen Agent Reyes (habe den Namen vergessen) kam das Ende der Serie. Obwohl auch hier noch überdurchschnittliche TV-Kost geboten wurde, war das Besondere einfach verloren gegangen.

Fazit: Die unheimlichen Fälle des FBI sind zurecht als Meilenstein in die Geschichte der TV-Serien eingegangen. Jede nachfolgende Serie wird sich mit ihr messen müssen, egal ob Mystery oder nicht. Erst Jack Bauer und die schlimmsten Tage seines Lebens brachten ähnliche Innovationen zurück ins Wohnzimmer.
Jeder sollte zumindest einmal ein paar Folgen um Mulder und Scully gesehen haben. Man muss es nicht mögen, wird es aber wahrscheinlich, wenn man sich drauf einlässt.
Mehr als verdiente
8/10

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