Review zur Doppelfolge "Deep Water"
Inhalt: Agent John Doggett (Robert Patrick) trifft unerwartet auf eine alte Bekannte: Nach vielen Jahren taucht seine Ex-Army-Kollegin Shannon McMahoon (Lucy Lawless) wieder auf und behauptet, Teil eines Militärexperimentes zu sein und zu Versuchszwecken mißbraucht worden zu sein. Man habe sie zu einer Art Amphibienwesen gemacht, um so die Entwicklung von Supersoldaten voranzutreiben.
Dana Scully (Gillian Anderson), als Neumutter soeben von ihrem Partner Fox Mulder (David Duchovny) getrennt, macht erste Erfahrungen mit ihrem Kind William - und muss erkennen, dass es außerirdische Gene in sich trägt! Zu allem Überfluß scheint jemand das Video ausgetauscht zu haben, das beweist, dass Unbekannte hinter dem damals noch ungeborenen Kind Scullys her waren. Doggett verdächtigt den leitenden FBI-Director Kersh (James Pickens Jr.), der zur Verstärkung Brad Follmer aktiviert, seines Zeichens Assistent Director - und Ex-Freund von Doggetts Partnerin Monica Reyes (Annabeth Gish)...
“You ever hear of King George III? He was King of England when America declared independence in 1776. King George III kept a diary. On July 4, 1776, he made an entry in it:
Nothing important happened today.”
Director Kersh, “Nothing important happened today, Part II”
Spoiler zur TV-Serie.
Die X-Akten gehen in die neunte und letzte Runde. Viel ist passiert in acht Jahren der Ermittlungen von Fox “Spooky” Mulder, der seit der Entführung seiner Schwester auf der Suche nach Beweisen für außerirdische Existenzen ist, und von seiner kritischen Partnerin Dana Scully, die sich mit ihrer wissenschaftlichen Art in all den Jahren als feste Stütze erwiesen hat. Autarke Fälle von höchster Kuriosität wechselten sich ab mit einem niemals enden wollenden Strang der Verschwörung auf höchsten Regierungsebenen. Beweise für außerirdisches Leben schienen mal definitiv zu sein, bevor das Licht der Erkenntnis wieder auf neue Felder schlug und jegliche Alien-Geschichten als Ablenkungsmanöver entlarvte. Erst nach dem fünften Jahr stand es hundertprozentig fest: Aliens gibt es auf der Erde schon seit Jahrtausenden, und durch zunehmende Entführungen und Experimente steuert die Welt auf den Punkt X zu, den Moment der vollständigen Kolonisierung. Das Ziel der wenigen Rebellen um Mulder, Scully und Skinner: “Fight the Future”.
Bedingt durch David Duchovnys zunehmende Unzufriedenheit mit dem Schattendasein als TV-Serien-Darsteller wurde die Season 7 zu seinem letzten kompletten Amtsjahr als Fox Mulder, bevor er im Season 7-Finale selbst Opfer seiner langjährigen Suche wurde und gleichzeitig am Ziel seines Weges angelangt war. Am Ende von “Alles beginnt in Oregon” wird er entführt.
Aus Sicht der Drehbuchautoren wie auch der sonstigen Filmemacher war das der einzige richtige Schritt, denn wo Duchovny im zwischen Season 5 und 6 angesiedelten Kinofilm noch mit voller Frische dabei war, machten sich schon in Season 6 teilweise Ermüdungserscheinungen bemerkbar, bevor er in Season 7 vollkommen die Lust verlor. Für die Serie bedeutete sein Verlust aber den Anfang vom Ende. Es folgten zwar immerhin noch zwei Staffeln, die teilweise sogar noch mit Duchovnys Präsenz abliefen, jedoch verloren die Folgen zunehmend an Qualität.
Dabei hatte man mit Robert Patrick als Darsteller von Agent John Doggett, Scullys neuem Partner für die Suche nach Mulder, noch ein dickes Ass im Ärmel. Patrick, der bis heute immer noch mit seiner Lebensrolle des T-1000 aus “Terminator 2" in Verbindung gebracht wird, vermochte es tatsächlich, dem Konzept von Chris Carter eine neue Facette hinzuzufügen. Schließlich stieß noch Annabeth Gish als spirituell veranlagte Agent Monica Reyes zum Ensemble.
Zur Doppelfolgen-Premiere der Season 9 “Deep Water” - oder im weitaus tiefergehenden Originaltitel gesprochen “Nothing important happened today” - sind daher erwartungsgemäß Annabeth Gish, Robert Patrick, Gillian Anderson (Dana Scully) und Mitch Pileggi (Direktor Skinner) die zentralen Figuren. Unterstützt werden sie von zwei Gaststars: Cary Elwes (“Der Dummschwätzer”, “Saw”) spielt den neuen FBI-Agent Brad Follmer, einen früheren Vertrauten von Monica Reyes, und Lucy Lawless (“Xena”) verkörpert eine inzwischen zum Supersoldaten mutierte frühere Army-Kollegin von John Doggett.
Die achte Staffel, um noch kurz die Ausgangsposition zu klären, endete nicht wie gewöhnlich mit einem Cliffhanger, sondern die Doppelepisode “William” wurde noch vor der Pause abgeschlossen. Es ging um die Austragung von Scullys Schwangerschaft, während Unbekannte Scully jagten, um an ihr Kind William zu gelangen. In einem aufwändigen Beschützungsszenario, das deutlich durch Camerons “Terminator”-Reihe inspiriert ist, konnte Scully schließlich ihr Neugeborenes in den Händen halten. Viele Fragen wurden beantwortet, einige Charaktere fanden ihr unrühmliches Ende und ein provisorischer Schlussstrich wurde gezogen: nicht zuletzt durch das endliche Zusammenfinden von Mulder und Scully, auf das die Fans so viele Jahre gewartet haben.
“Deep Water” eignet sich nun ganz klar die Ausgangslage nach der achten Season an, um sie für die Zwecke des Plots zu verwenden. Mulder ist inzwischen wieder ins Nichts verschwunden, während Scully sich als Mutter einer ganz neuen Situation ausgesetzt sieht, die der Dynamik vollkommen entgegenläuft, welche in ihrer Ermittlungsarbeit als FBI-Agent zu einem Teil von ihr geworden war. Den aktiven Part übernehmen nun Doggett und Reyes, für die sich die Drehbuchautoren deutlich sichtbar bemühten, persönliche Komponenten ins Spiel zu bringen.
Der Prolog ist trotz des vollständigen Eintauchens in den Hauptstrang der Serie jedoch wie gehabt im Stil der “Monster of the Week”-Stories gehalten. Lucy Lawless, bislang in der Serie noch nicht aktiv gewesen, wird mit der kühlen Ausstrahlung beinahe einer Terminatrix vorgestellt, womit die stilistische Brücke zur “William”-Doppelfolge schon gelegt wäre. In einer (nicht auf der DVD enthaltenen) geschnittenen Szene wird dies noch deutlicher, wenn der Mann am Tresen mit dem Drink in der Hand aus dem Augenwinkel glaubt, eine nackte Frau vorbeigehen zu sehen, als er plötzlich bemerkt, dass es nur eine Frau in rückenfreiem Abendkleid ist. Lawless’ Figur ist unmenschlich, unwirklich gezeichnet und mit eiskalter Erotik versehen, die Wärme jeglicher Art vermissen lässt. Sie ist tatsächlich auf den ersten Blick ein “Monster of the Week”, angelegt wie eine Männer verschlingende Nymphe, die wie durch Sirenengesang ihren Partner auf sich zulocken kann, um ihn schließlich zu töten. Das Schicksal des verträumt im Drink rührenden Mannes an der Bar ist in dem Moment besiegelt, wo er versucht, ein Gespräch einzuleiten. Schließlich machen sich beide auf den Weg zu seinem Haus (hier wird man an “Species” erinnert), als der deutsche Titel der Doppelepisode erstmals seine Wirkung entfaltet: Auf einer Brücke drückt Lucy Lawless das Bein ihres Begleiters auf das Gas und stürzt mit ihm zusammen in den Fluss. Im sinkenden Auto bleibt sie regungslos sitzen, während er panisch versucht, sich aus seinem Sitz zu befreien. Kaum hat er es geschafft, packt sie ihn blitzschnell am Bein und zieht ihn mit in die Tiefe.
Hier beginnt nun normalerweise der übliche Vorspann, jedoch wurden die beiden Folgen auf der DVD-Auskopplung zu einem abendfüllenden Spielfilm zusammengeschnitten, so dass ein veränderter Abspann (der allerdings die komplette neunte Staffel begleitet) bereits vor dem Prolog abläuft. Es ist deutlich erkennbar, dass die Folgen nicht auf das Spielfilmkonzept ausgelegt sind, denn anfangs sowie in der Filmmitte ergeben sich kleinere strukturelle Sprünge, die “Deep Water” als Doppelfolge einer Serie entlarven.
Was folgt, ist die Klärung der Ausgangspositionen. Nacheinander wird die aktuelle Situation der drei Protagonisten - Agent Reyes, Agent Doggett und Dana Scully - dargestellt. In Dialogen und Handlungen der Figuren werden die zurückliegenden Geschehnisse aus “William” verarbeitet. Wir erfahren erneut davon, dass Doggett eine Ermittlung gegen Direktor Kersh hat anlaufen lassen. Neue Beweismittel ergeben sich, die das zuvor Gesehene verfälschen: Ein Videoband zeigt nichts von dem, was in der Tiefgarage vor sich gegangen ist.
Gleichzeitig werden Reyes und Doggett von ihrer Vergangenheit eingeholt. Reyes muss sich mit ihrem früheren Freund Brad herumschlagen, den Kersh zur Klärung des Falls hinzugezogen hat. Cary Elwes ist mal wieder in seinem Element, wenn er eine Figur spielt, die zwar das Richtige tun will, aber in ihrem Stursinn immer nur das Gegenteil macht.
Für Agent Doggett bedeutet die Recherche in der Vergangenheit eine Verknüpfung mit dem Prolog, denn Shannon McMahon (Lawless) ist eine Kollegin aus seiner Zeit in der Army. Hier entwickelt sich der Plot dann am stärksten weiter, denn sie ist der Schlüssel für eine erneute Regierungsverschwörung um die Züchtung von Supersoldaten - ein Handlungsstrang, der bis zum Ende der Staffel beibehalten werden sollte und im Finale endgültig aufgelöst wird.
Problematisch ist nun die Zuteilung der Figuren, was gerade auf Annabeth Gish - und dies nicht zum letzten Mal - zutrifft. Man versuchte, eine Art Beziehungsviereck um die neuen Agenten und ihre Anhänge aufzubauen. Doggett wird mit Shannon konfrontiert, Reyes mit Brad, während man zu allem Überfluss versuchte, eine implizite Beziehung zwischen Doggett und Reyes heraufzubeschwören. Das Resultat sind streckenweise schrecklich dumme Dialoge mit Soap-Niveau (“Glaubst du etwa, er würde mich während der Arbeit im Büro betatschen? So ist das nicht.”). Der komplette Subplot um Cary Elwes ist vollkommen unnötig, hat er doch nicht wirklich etwas Sinnvolles zur Story beizutragen, was nicht auch auf Kersh oder sonstige Akteure hätte übertragen werden können. Darüber hinaus erweist sich ausgerechnet Scully als fünftes Rad am Wagen, steht sie doch kurz nach der Geburt ihres Sohnes ganz klar im Hintergrund. Ihre Passivität ist für Akte X-Fans erdrückend, zumal nicht einmal mehr Fox Mulder zur Verfügung steht, um als Ausgleich auf Ermittlung zu gehen. Der komplette Ur-Cast wurde also in den Hintergrund gedrängt, womit “Deep Water” einen Eindruck von fehlender Dynamik vermittelt.
Dabei ist das Geschehen eigentlich ganz klar dynamisch. Es gibt groß angelegte Stunts wie das Versenken des Autos im Fluss oder die finale Explosion des Schiffs. Zwischendurch sorgen subtile Momente wie das schattenhafte Auftauchen des geheimnisvollen Hinweisgebers für Intensität, die Terminator-Bewegungsweise der Supersoldaten für Spannung. Nur sind es eben Robert Patrick und Annabeth Gish, die auf Entdeckungsreise gehen, nicht David Duchovny und Gillian Anderson. Ein unvorbelasteter Zuschauer mag diesen Kritikpunkt nicht so sehr nachvollziehen können, aber wer in der Materie drin ist, wird sich so fühlen, als würde er mit der zweiten Wahl abgespeist werden - ohne die Leistungen von Patrick oder Gish schmälern zu wollen.
Überhaupt ist Patrick das kleinere Problem. Es ist Gish, die zwar nicht durch ihre Performance, aber durch ihre geschriebene Rolle wie ein Fremdkörper wirkt. Sie ist schlichtweg überflüssig, und zwar in der kompletten Serie, was erstmals in “Deep Water” deutlich wird. Konzipiert war sie laut Making Of als eine Art Schwestern-Ersatz für Scully, die ja bekanntlich in einer früheren Staffel ihre Schwester verlor. So richtig funktionieren mag das Konzept aber nicht, was jedoch keinesfalls Gishs Schuld ist.
Dass “Deep Water” trotz aller Kritikpunkte doch noch ein würdiger Einstieg in die letzte Staffel geworden ist, liegt vor allem an dem optischen und effekteversierten Aufwand, der betrieben wurde. Für die Wassertanks wurden Studiobauten errichtet, die denkwürdige Szenen im Wasserwerk ermöglichten. Lucy Lawless gibt darin wirklich alles, so dass man ihren Charakter im Rückblick auf die Serie nicht vergessen wird, wenn es auch ihr einziger Akte X-Auftritt blieb. Das explodierende Schiff ist ein pyrotechnisches Highlight der Serie, das nicht ganz an die Ölturmexplosion aus der achten Staffel herankommt, aber dennoch beeindruckend ist; zumal die Darsteller selbst vor dem Schiff agieren.
Von höchster Intensität ist dann der abschließende Dialog zwischen Direktor Kersh und Agent Doggett, der mitunter an die Wirkung der flammenden Rede von Skinner gegen den Kettenraucher erinnert, als der ihn mit einem Navajo-Code erstmals in der Hand hält und das Blatt wenden kann. Hier wird nun die Bedeutung des Originaltitels deutlich. “Nothing important happened today” - eine Phrase, die das volle Ausmaß der Revolution verbildlicht, die vor den Augen von Millionen von Menschen abläuft und doch von niemandem gesehen wird - nicht mal von den höchsten Positionen.
Fazit: Neue Spannungen haben sich aufgebaut, neue Untersuchungsfelder haben sich ergeben. Insofern macht “Deep Water” den optimalen Auftakt in die letzte Staffel perfekt. Dass trotzdem diverse Schwächen zu erkennen sind, die auch Schlimmes für die weiteren Episoden befürchten lassen, kann aber nicht geleugnet werden. So macht schon diese Doppelfolge deutlich, dass für eine Agent Reyes eigentlich nie ein Platz in der Serie gewesen ist. Ebenso wird klar, dass das Konzept ohne die liebgewonnenen Hauptdarsteller Mulder und Scully nach neun Jahren nicht mehr funktioniert. Hilflos muss man mit ansehen, wie sich Scully durch ihre neue Aufgabe als Mutter in der Passivität verliert, während ihr Kollege wieder ins Nirvana eingetaucht ist und aus diesem längere Zeit nicht mehr auftauchen wird. Technisch bleibt jedoch alles weiterhin auf gewohntem Niveau, so dass “Deep Water” im Endeffekt doch noch zufrieden stimmt.
6/10