Review

Mit „Napola“ nimmt sich Dennis Gansel eines wenig thematisierten Bereichs der NS-Zeit an, den nationalpolitischen Bildungsanstalten, kurz Napola.
Hier sollen besonders führertreue Kader ausgebildet werden, eine Art Eliteinternat, in dem man junge Menschen systematisch erzieht, Hitlers Ansichten zu folgen. Der junge Friedrich Weimer (Max Riemelt) erhält eine Einladung dorthin, da er sich als Boxer hervortut. An sich dem Arbeitermilieu zugehörig geht er naiv darauf ein, setzt sich über den Vater hinweg und fälscht dessen Unterschrift. Bei Protesten droht er damit ihn zu verpetzen. Das ist jedoch kein Ausdruck fanatischer NS-Treue, sondern eine ganz gefährliche Blauäugigkeit, Mitläufertum der schlimmsten Sorte.
Das genaue Gegenstück ist Albrecht Stein (Tom Schilling), Sohn des Gauleiters. Ein stiller Intellektueller, der alles andere als begeistert ist, immer wieder sanfte Kritik äußert, während Friedrich in naiver Begeisterung nichts hinterfragt. Ausgerechnet die beiden freunden sich als konträres Duo, da sie auf der gleichen Stube sind. Da erinnert „Napola“ teilweise etwas an normale Internatgeschichten gepaart mit lustigen Sidekicks auf den Zimmern usw.

Doch inmitten des harten Internatslebens kommen Friedrich irgendwann Zweifel, vor allem geschult durch Albrechts Einfluss. Doch wie kritisch kann er sich verhalten in dem harschen Regime?
Über weite Strecken mag man „Napola“ als Internatsfilm abtun, eine Art Hanni und Nanni vor Nazi-Hintergrund. Doch genau hierin liegt durchaus eine der Stärken des Films begründet. Denn gerade die scheinbare Idylle des Internatslebens schockiert, schließlich sollen die Kinder hier zu Soldaten und/oder Offizieren im NS-System erzogen werden. Gansel führt dies immer wieder exemplarisch vor Augen, durch Handgranatenwurfübungen usw., ganz extrem bei der Jagd nach entflohenen russischen Kriegsgefangenen – einzelne Szenen, die ihre schockierende Wirkung eben genau dadurch entfalten, dass „Napola“ zwischendrin so etwas wie Ruhe einkehren lässt.
Bei diesen Momenten von Ruhe oder Idylle geht es auch keineswegs darum das NS-System zu verherrlichen. Vielmehr wird die ganze Handlung durch Friedrichs naive Augen fixiert, der sich anfangs wenig dabei denkt, wenn man dem Gegner beim Boxkampf noch eben „den Rest gibt“. Auch filmisch wird die langsame Erosion seines Weltbildes gezeigt: Anfangs erscheint die militärische Ritualordnung noch in geformt in einer Art Riefenstahl-Ästhetik, so wird nach und nach die andere Seite dieser Rituale gezeigt – bedingungsloser Gehorsam, der nicht hinterfragt, oder Gefallenenmeldungen beim Essen, auch eine Art Ritual, wenn es mal wieder ein Elternteil eines Schülers erwischt hat.

Auch sonst funktioniert das menschliche Drama gut, da nicht alle Jugendlichen mit dem Internatsleben klarkommen, auch Optionen wie den Freitod wählen, um zu entkommen. Daher stören einige unschöne Klischees sehr. Kann man den daueraggressiven Zappelphillip-Sportlehrer noch als eine Art komödiantische Überzeichnung des Feiglings sehen, der andere zu fragwürdigen Helden schleifen will, so ist Albrechts Vater eine Klischeefigur schlechthin. Den blonden Sportler Friedrich nimmt er als eine Art Ersatz-Sohn, für den eigenen hat er fast nur Verachtung übrig. Keine Menschlichkeit, kaum Regungen, einfach der Klischee-Nazi durch und durch – und gerade deshalb eine flache, uninteressante Figur, die leider viel Screentime erhält. Zudem ist das Ende des Films etwas abrupt, etwas einfach gestrickt und für Friedrich etwas sehr positiv. Zum Glück relativieren darauffolgende Angaben zu gefallenen Napola-Kadern dies ganz schnell und rufen in Erinnerung, dass die Nazis gegen Ende des Zweiten Weltkriegs immer jüngere, kaum ausgebildete Soldaten an die Front schickten. Im Film wird dies auch kurz angerissen, wenn der älteste Schuljahrgang ein Jahr vorm Abschluss an die Front muss.
Max Riemelt liefert in der Hauptrolle eine ordentliche Leistung ab, wirkt zwar teilweise etwas naiv-hilflos, aber genau das soll die Rolle ja auch sein. Tom Schilling als Nachwuchsintellektueller hat da mehr Freiräume und nutzt diese für eine tolle Performance aus, während der Rest vom Fest kaum in Erinnerung bleibt, auch wenn die Besetzung durchweg Solides leistet.

„Napola“ wählt den interessanten Ansatz ein brisantes Kapitel deutscher Geschichte durch die Augen eines anfangs naiven Mitläufers zu zeigen und den Zuschauer viele Geschehnisse selbst evaluieren zu lassen. Gerade bei diesem Ansatz ist es dann schade, dass der Gauleiter eine solche Klischeefigur ist und das Ende es sich sehr einfach macht. Doch davon abgesehen liefert Dennis Gansel hier ein eingängiges Drama über dunkle deutsche Vergangenheit ab.

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