Wer die Karriere von Filmemacher Walter Hill („Southern Comfort“, „48 Hrs.“) aufmerksam verfolgt hat, wird festgestellt haben, dass er ein ausgewiesener Western-Fan ist und seiner Passion Ausdruck verlieh, indem er Motive dieses Genres auf die ein oder andere Weise in seinen Filmen unterbrachte.
Natürlich ließ er es sich auch nicht nehmen selbst Western zu inszenieren, wenn sich die Gelegenheit bot. „Wild Bill“ war leider sein bisher letzter. Er drehte ihn nach seinem selbst recherchierten Skript Mitte der Neunziger, als diese Filmgattung nach seiner kurzen Renaissance Anfang der Neunziger auch schon wieder verschwand.
Im Gegensatz zu Sam Raimis gleichaltrigen, aber völlig anders gelagerten Neo-Western „The Quick and the Dead“ blieb Hill immer seinem klassischen Stil treu ohne sich modernen Stilmitteln zu ergeben. „Wild Bill“ würde genauso ausschauen, hätte er ihn 15 Jahre früher inszeniert. Ruhe und Konstanz waren zwei Dinge auf die man sich bei ihm immer verlassen konnte, bis seine chaotische Nemesis „Supernova“ kam. Aber das ist eine andere Geschichte...
Mit einer Glorifizierung von James Hickok alias Wild Bill hat er auch nichts am Hut, denn der Mann wollte Zeit seines Lebens nie eine Legende sein und nach dem Tod auch keine werden, aber nahm die Dinge stets wie sie kamen.
Inwiefern dieser mit 90 Minuten äußert knapp gehaltene Abriss diesem impulsiven Menschen überhaupt gerecht wird, bleibt angesichts sich widersprechender Quellen und vermutlich nur halbwahren Geschichten natürlich fraglich. Wer dieser Mann eigentlich war und was ihn so berühmt werden ließ, macht „Wild Bill“ auf komprimierte Art und Weise trotzdem deutlich.
Sehr ähnlich seinem frühen „The Long Riders“ kleidet Hill seine Charaktere nicht in ein idyllisches Westerngewand, das Freiheit, Unendlichkeit und Frieden verspricht, sondern verbleibt mit erdigen Farben, einer graubraunen Tönung der Bilder und ziemlich heruntergekommenen Stadtbildern seiner kargen Demontage oftmals viel zu positiv in das falsche Licht gerückter Verwandte treu. Weder war der Wilde Westen ein Zuckerschlecken noch ein Paradies, denn das Recht des Stärkeren regierte in diesem schier grenzenlosen Land.
Wild Bill findet sich in dieser Welt sehr gut zurecht. Die Natur hat ihn viel Robustheit, einen starken Willen und gute Reflexe mit auf dem Weg gegeben, so dass dieser reizbare, jähzornige Mann nie einem Konflikt aus dem Weg ging, nie ein Blatt vor den Mund nahm und sich großen Respekts erfreuen durfte. Doch das interessierte ihn alles nicht, denn seine Ruhelosigkeit, die ihn nie sesshaft werden oder länger als nötig an einem Ort verweilen ließ, trieb ihn ständig voran.
Gekoppelt an Flashbacke, die die nötigen Vorfälle der Vergangenheit kurz und bündig erklären, um die Kapitel wenn nötig in den richtigen Kontext zu setzen, beleuchtet „Wild Bill“ weniger die Misserfolge und Enttäuschungen seiner Titelfigur, sondern fokussiert sein persönliches Drama und verbindet es mit den Höhepunkten seines Lebens. Denn von denen gab es einige.
Gemäß seines untriebigen Hauptcharakters dreht Walter Hill seinen letzten Western auch sehr actionreich mit zahllosen Konflikten, Duellen und Schlägereien, die allerdings immer den gleichen Sieger haben. Wenn auch nicht mehr so klar wie früher seine offensichtliche Inspiration Sam Peckinpah („The Wild Bunch“, „Getaway“) zitierend, sind seine Gewaltausbrüche kompromisslos gewalttätige Momente, die sehr überzeugend wiedergeben, dass Wild Bill niemals Hemmungen hatte jemanden umzubringen, sobald er sich bedroht oder provoziert fühlte. Egal, ob ihm gerade der Sheriff-Posten übertragen wurde oder er einfach Bärenfelle verkaufte, vor seinen unberechenbaren Ausrastern war niemand gefeit.
Der unkenntlich unter der langen Mähne und dem gepflegten Bart überzeugend agierende Jeff Bridges erhält leider nicht viel Zeit tiefer in seinen Filmcharakter vorzudringen, denn über das eigentliche Wesen des Mannes erfahren wir eigentlich nie mehr als die Bilder preisgeben wollen. Von unschätzbaren Wert sind deswegen seine Drogenräusche, denen er sich regelmäßig hingibt. Nicht um zu vergessen, sondern um sich an seine einzige wirkliche Liebe zu erinnern, der er versprochen hatte sich zu ändern, die ihn dann doch nicht halten konnte und einen anderen Mann heiratete, den Wild Bill wegen einer Nichtigkeit auf offener Straße aus Eifersucht erschoss. Diese Eifersucht war ohnehin eines seiner größten Probleme und trieb seine Angebetete Susannah Moore (Diane Lane, „Streets of Fire“, „Judge Dredd“) schließlich ins Irrenhaus.
Auf der Suche nach seinem Platz in der Welt, probierte Bill viele Dinge aus. Er machte sich in der Bühnenshow seines Freundes Buffalo Bill (Keith Carradine, „The Long Riders“, „Southern Comfort“) vor Publikum lächerlich, scheiterte mit einer eigenen Wild-West-Schau, konnte eine Stadt niemals länger von seinen Qualifikationen als Gesetzeshüter überzeugen und obwohl ihm immer Sympathien entgegen gebracht wurden, lag es in seiner Natur die Leute vom Gegenteil zu überzeugen.
Weil der störrische Wild Bill immer vor anderen sein Inneres verbarg und mit seiner Extrovertiertheit stets ein vornehmlich verbales Schutzschild vor sich aufbaute, das selbst seine langjährige Freundin und ehemalige Liebe Calamity Jane (Ellen Barkin, „The Big Easy“, „Johnny Handsome“) am Ende nicht mehr zu durchbrechen vermochte, als der Grüne Star sein Augenlicht zunehmend einschränkte und er sich in dem Moloch Deadwood anschwemmen ließ, stößt Walter Hill einmal wieder auf seine größte Schwäche – die nähere Charakteranalyse.
Nahezu jeder Film Hills, der sich eingehender mit seinen Personen beschäftigt, bekommt Probleme, wenn er sich näher mit ihnen auseinandersetzen will. Das zeigt jeder seiner Filme und so toll Hill auch stets inszeniert, dieser Aspekt liegt ihm einfach nicht.
Was für den Zuschauer nicht heißt, dass er Trübsaal blasen muss. Denn das letzte Deadwood-Kapitel steht ganz im Zeichen des versierten Filmemachers. Atmosphärisch überzeugend, stirbt diese von einen auf den anderen Tag plötzlich wegen eines Goldfundes entvölkerte Stadt aus und fiebert dem finalen Showdown entgegen, der zu Wild Bill irgendwie passt.
Die narrativen Überleitungen erledigt übrigens als teilnehmender Erzähler John Hurt („Alien“, „The Osterman Weekend“) in melancholischen wie zynischen Erzählungen, die ein wenig dabei helfen diesen rätselhaften aber nichtsdestotrotz sympathischen und ehrlichen Mann zu verstehen, der sich nie für seine Taten entschuldigen wollte und den schließlich seine Vergangenheit einholt, weil er müde geworden seine eigenen Regeln nicht mehr beachtet.
Auch wenn Walter Hill die Misserfolge seiner historischen Figur ignoriert und auch einige wichtige Fakten, wie beispielsweise eine Heirat, nicht erwähnt, so kann sich der Westernfan über eine, vom Regisseur gewohnt leidenschaftlich formulierte, Auseinandersetzung mit James Hickok freuen, der es allerdings nicht gelingt in sein Wesen einzudrängen, sondern an seiner Oberfläche kratzt und die bedeutsamsten Kapitel seines Lebens in 90 Minuten komprimiert.
Fazit:
Ohne das letztlich selbstzerstörerische Treiben und den düster-dreckigen Bilderstil als Abgesang auf die Werte des Wilden Westen auszulegen, gelang Walter Hill mit der von ihm gewohnt souveränen Inszenierung ein unterhaltsamer Genrebeitrag, der maßgeblich von seiner exzentrischen Figur und der überzeugend dichten Atmosphäre lebt. Jeff Bridges gibt alles, hat gute Schauspieler an seiner Seite und kann sich ganz auf seinen Regisseur verlassen. Letztlich fehlt „Wild Bill“ zwar der Tiefgang, denn er behandelt seine Figur nur oberflächlich, doch in knapp 90 Minuten mit viel Action und Abwechslung umgesetzt, kann man sich mit diesem Manko arrangieren.