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1973 sitzt der würdevoll gealterte Hollywood-Veteran Edward G. Robinson mit Charlton Heston am Esstisch und ringt sich angesichts echten, natürlichen Obstes in Zeiten synthetischer Nahrung ein paar Tränen der Rührung ab - so geschehen in Richard Fleischers "Soylent Green" (1973). Fünf Jahre zuvor hatte Kubrick bereits die Nahrung seiner Raumfahrer in etwas grotesker Art & Weise als quadratisch gepresste Sandwich-Variation präsentiert, die nach Aussagen der Raumfahrer trotz verschiedener Geschmacksrichtungen ohnehin alle gleich schmecken - wenngleich von Ma(h)l zu Ma(h)l immer besser. Erst dem Auserwählten Bowman, der als Sternenkind ein verheißungsvolles Ende mit sich bringt, ist die Gnade des natürlichen Essens gegeben, das er irgendwo in den Tiefen des Alls in einem neoklassizistischem Saal zu sich nimmt - so geschehen in "2001: A Space Odyssey" (1968). In "A Clockwork Orange" (1971) wird Kubrick dann aus dem natürlichen Nahrungsmittel schlechthin, aus der Milch - von jedem Menschen im Säuglingsalter aus der Mutterbrust gezogen - einen künstlichen Drogencocktail machen, den die jugendlichen Aggressoren vor ihren Gewaltverbrechen konsumieren: Der Mensch ist, was er isst und eine Gesellschaft pervertiert mit dem Verfall ihrer natürlichen Esskultur.
Die Zeit, in der gerade der Science Fiction Film besorgniserregende Blicke in eine Zukunft wirft, in welcher u. a. diese traditionelle Esskultur verlorengegangen ist, folgt auf die Flower Power und Back to the Roots Bewegungen der jungen Gegenkultur: Im Rahmen solch einer fortschrittskritischen Naturverbundenheit steht auch Trumbulls "Silent Running". Und wie ein Jahr später in "Soylent Green" wird bereits hier eine Schreckensvision einer untergegangenen Naturverbundenheit und natürlichen Esskultur in Szene gesetzt, die angesichts des populären gesellschaftlichen Trends keinerlei Argumentation für nötig erachtet.

Trumbulls Klassiker führt eine Zukunft vor Augen, in der die letzten Wälder einer verseuchten Erde unter riesigen Glaskuppeln mit Raumschiffen durch das All befördert werden - mit dem Ziel, sie wieder auf der Erde anzusiedeln, sobald dies möglich ist. An Bord der Valley Forge kümmert sich Bruce Dern als naturverbundenes Blumenkind mit dem sprechenden Namen Freeman Lowell liebevoll um die Pflanzen des riesigen Gewächshauses, während seine drei Kollegen weder am Gewächs, noch an Früchten und Gemüse Interesse zeigen (sie essen im Gegensatz zum verlachten Freeman ihre Synthetiknahrung). Es gibt zwischen ihnen keinerlei Interessenkonflikt, aber aufgrund anderer Prioritäten nimmt Freeman die Rolle des verschrobenen, unverstandenen Außenseiters ein, des Freaks (in der Gegenkultur zum Begriff einer positiv konnotierten Selbstbeschreibung avanciert) mit dem sich eine damalige Zielgruppe durchaus identifizieren sollte. (Zumal seine etwas rüpelhaften, lärmenden Kollegen auch nur sehr wenig reizvolles Identifikationspotential in sich bergen.)
Als jedoch die Auftraggeber aufgrund kommerzieller Interessen von dem ursprünglichen Vorhaben Abstand nehmen und den Befehl geben, den gesamten Pflanzenbestand vollständig auszurotten, kommt es schließlich - der Film läuft noch keine Viertelstunde - doch zum bislang ausgebliebenen Interessenkonflikt [Achtung: Spoiler!]. Freemans Kollegen wollen dem Befehl Folge leisten, Freeman selbst will die von ihm bislang sorgsam versorgten Gewächse schützen. In der Folge des Konflikts sterben Freemans Kollegen; einen von ihnen bringt er im direkten Zweikampf mit den eigenen Händen um, zwei andere sprengt er mitsamt einer der drei Gewächshauskuppeln von der Valley Forge ab. Der Kommandozentrale entzieht sich Freeman, indem er technische Probleme vortäuscht und sich in Richtung Saturn absetzt. In der Folge kümmert er sich um die Pflanzen, spielt mit den Mini-Robotern Huey und Dewey Karten, trauert den Kollegen nach, gegen die er eigentlich gar nichts hatte. „Silent Running" beschränkt sich in der Folge auf eine wenig dramatische Schilderung des so bizarren, wie unaufgeregten Alltags des Weltraumreisenden (kleine Höhepunkte: Freemans reuevolle Grabrede bei der Beerdigung des Ermordeten durch die Roboter, ein Unfall, in dessen Folge ein Roboter beschädigt und von Freeman anschließend fürsorglich aber nur teilweise erfolgreich repariert wird, sowie Freemans Erschrecken darüber, dass er beinahe in Gedanken Synthetik-Nahrung zu sich genommen hätte), der jedoch bald feststellen muss, dass seine Gewächse dahinkränkeln: die ausreichende Versorgung mit Sonnenlicht hat Freeman in seiner Trauer über die Kollegen vergessen. Als Freeman erfährt, dass ein Suchkommando ihn entdeckt hat und in Kürze andocken wird, vertraut er die Pflanzen der Obhut eines Roboters an, schickt die Gewächshauskuppel als Flaschenpost in die Weiten des All und sprengt sich zusammen mit dem weiteren, beschädigten Roboter in die 'Luft'.

Im Grunde hätte man die Geschichte auch als Sci-Fi-Thriller inszenieren können, in welchem drei Raumfahrer von einem wahnsinnig gewordenen Kollegen umgebracht werden, weil sie seinen etwas schrulligen Plänen im Wege stehen. Trumbull jedoch entscheidet sich dafür, Freemans Morde sehr früh und sehr zügig abzuwickeln und ihn als positiv gezeichnete, tragische Hauptfigur zu schildern - und sollte ein Publikum nicht allein schon aufgrund der eigenen Naturverbundenheit auf Freemans Seite stehen, hat Trumbull noch einen zusätzlichen Kniff eingebaut, um seinen Protagonisten zur Identifikationsfigur zu stilisieren: In einer Szene streicht er mit seiner Hand sanft über das Conservation Pledge des Outdoor Lifes, auf welchem er quasi als guter Amerikaner gelobt, die natürlichen Ressourcen seines Landes zu verteidigen. Freeman handelt also keineswegs nur aus reinem individuellen Interesse heraus, sondern zusätzlich auch in seiner Rolle als Patriot. (Dass das beherbergende Raumschiff Valley Forge heißt, mag vor diesem Hinblick nicht allein darauf zurückzuführen sein, dass der gleichnamige ausgediente Flugzeugträger als Set gedient hatte - ein wenig schwingt sicherlich auch das historische Valley Forge mit, in welchem die Ausbildung der Kontinentalarmee durch von Steuben während des Unabhängigkeitskrieges erfolgte.)
Ann Dettmar macht in ihrem Aufsatz zu „Silent Running" darauf aufmerksam, dass die Rechtschaffenheit des Handelns der Hauptfigur prinzipiell vom Auge des Betrachters abhängt: "[H]ier liegt die große Schwäche des Drehbuches, das sich nicht die Mühe macht, dem Zuschauer Lowells Werte verständlich zu machen, weil die Autoren davon ausgehen konnten, genau im Trend zu liegen. Ein Gegner der Ökologiebewegung jedoch wird mit Recht in Freeman Lowell nichts weiter als einen Extremisten sehen, der nicht davor zurückschreckt, für seine verschrobenen Ideen drei Menschen zu töten."[1] Als Fazit attestiert sie dem Film die Schilderung "der Konfrontation des Individuums mit einer nur scheinbar harmonischen Gesellschaft"[2], deren Problematik jedoch bloß angerissen werde.
Doch auch wenn Trumbull die Konfliktsituation kaum vertieft und mit der Parteinahme für Freeman reichlich einseitig schildert, lässt sich dem Film durchaus eine Moral entnehmen, die unabhängig von der Parteinahme des Zuschauers ist: Wenn eine Gesellschaft die Bedürfnisse ihrer Minderheiten vollkommen außer Acht lässt, produziert sie sich ihre eigenen Amokläufer. Unabhängig davon, ob Freemans Handeln richtig oder falsch ist, bleibt es seine einzige Möglichkeit, sich seinen Lebenssinn zu erhalten. Auf diese Weise gerät die endgültige Zerstörung der Pflanzenwelt tatsächlich zu einer unmoralischen Handlung: nicht, weil die letzten Gewächse unwiederbringlich ausgelöscht werden, sondern weil ohne jede Diskussionsbereitschaft die Lebenssinn stiftenden Elemente einer Minderheit getilgt werden: offenbar muss eine Mehrheit schon aus purem Eigeninteresse auf Minderheiten Rücksicht nehmen.
Man muss solch eine Lesart schon ein wenig von außen an den Film herantragen, um ihn für sich fruchtbar zu machen: "Silent Running" liefert seinem Publikum keine Argumentation, sondern setzt ihm Naturverbundenheit und Patriotismus als Werte vor, die garantieren sollen, dass es den Film als Drama um den tragischen Helden Freeman, der unausweichlich zum Mörder werden muss, genießen kann. Freemans Selbstzweifel bilden dann auch die komplexesten Szenen des Films, während derer sich die hochgehaltenen Werte am ehesten hinterfragen lassen.
Was Freemans Naturverbundenheit betrifft, ist auch seine Beziehung zu den Robotern Huey und Dewey von Interesse: Ist Freemans Naturverbundenheit nicht bereits pervertiert, wenn seine Beziehung zu zwei ansatzweise menschlich agierenden Maschinen intimer ist, als die Beziehung zu echten Menschen? Ist es ein ironischer Kommentar Trumbulls, der aufzeigt, dass sich die Liebe zur Natur und die Liebe zur Technik keinesfalls gegenseitig ausschließen müssen? Oder ist es der pessimistische Blick in eine Zukunft, deren Menschheit unmenschlicher geraten ist als ihre Maschinen?

Irritierende oder gar kritische, reflektierende Momente besitzt "Silent Running" insgesamt jedoch zuwenig und so überzeugt die Regiearbeit Trumbulls, der als Effekt-Spezialist von "2001: A Space Odyssey" über "The Andromeda Strain" (1971), "Close Encounters of the Third Kind" (1977), "Star Trek: The Motion Picture" (1979) und "Blade Runner" (1982) bishin zu "Tree of Life" (2011) tätig war, in erster Linie wegen der beachtlichen, aber erfreulich unaufdringlich eingesetzten Effekte. Bruce Derns einprägsames Spiel, die liebevoll entworfenen Roboterfiguren (weniger liebevoll mittels beinamputierter Statisten zum 'Leben' erweckt) und einige hübsche Bildkompositionen, die in Verbindung mit Peter Schickeles Soundtrack und den lieblich-schnulzigen Songs "Silent Running" & "Rejoice in the Sun" von Joan Baez teilweise eine geradezu lyrische Wirkung entfalten, sorgen zusätzlich für gehobene formale Qualitäten.
Inhaltlich eher unbefriedigend, formal überaus ordentlich, ist "Silent Running" eine kleine, etwas kitschig-naive Perle des Genres, der man ihre Entstehungszeit jederzeit anmerkt: heutzutage wirkt Trumbulls Spielfilmdebut daher auch kaum noch futuristisch, funktioniert kaum noch als überzeugende Dystopie, sondern eher als rührig-altmodisches Zeitdokument. (Im Gegensatz dazu konnte sich sein zweiter und letzter Spielfilm "Brainstorm" (1983) als früher virtual reality Klassiker neben "TRON" (1982) einige innovative Aspekte bewahren, wenngleich auch hier die Form gelungener ausfällt als der Inhalt.)

6,5/10


1.) Ann Dettmar: Lautlos im Weltraum. In: Thomas Koebner (Hg.): Filmgenres. Science Fiction. Reclam 2003; S. 233.
2.) Ebd.

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