Genie und Wahnsinn sind manchmal nur marginal getrennt. Und wenn man einen Film basierend auf einem Roman von Marquis de Sade abdreht, der für das Wort "Sadismus" verantwortlich ist und bekennender Atheist und Befürworter abnormaler sexuellen Phantasien war, kann es einem wie Regisseur Pier Paolo Pasolini gehen - kurze Zeit nach der Uraufführung wird man elendig getötet und mehrfach vorwärts und rückwärts überfahren.
Nun ja, um was geht es in diesem Film?
Italien, in der Zeit in der die Nazis dieses Land plätteten, gab es vier Adlige samt Gefolgsleuten, bestehend aus bewaffneten Heranwachsenden und einer verkorkst durchgeknallten Prostituierten, die jeden Tag neue Geschichten (unter Pianobegleitung) von ihrer bizarren sexuellen Kindheit bis ins "Hohe Alter" (also 17 Jahre alt oder so) erzählt, die 18 Heranwachsende (jeweils 9 vom jeweiligen Geschlecht) sich in einer Halle anhören dürfen und danach ausprobieren sollen/müssen. Denn die vier Adligen haben alle einen an der Schraube: Sie stehen nicht auf normalen Sex, sondern Natursekt, Kavier, auf kleine Knaben etc. und es ist ein Wunder, dass hier nicht noch ein Elefant durch´s Bild läuft, der mit seinem "Rüssel" einen von hinten nimmt.
Nun, den Film zu "überstehen" war kein Problem für mich. Ich will diesen Film auch nicht bis ins Detail auseinander nehmen oder ANALysieren. Ich will einfach die Wirkung beschreiben, die dieser Film auf mich hinterlassen hat.
Pasolini geht hier mit einer Ruhe zu Werke, die dennoch heftig wirkt, weil sie manchmal so plötzlich kommt. Man sieht am laufenden Band Dödel, behaarte Vaginas, Zungeküsse unter Männern, oder männlichen Analverkehr (aber nie bis ins Detail wie in einem Hardcore-Porno), dass dieser Film beinahe schon wie eine Satire bzw Groteske auf mich wirkte. Also alles andere als hart an der Grenze zum Abschalten. Natürlich kam in keiner Sekunde Spannung auf, da man von vorne herein weiß, dass die 18 Opfer dem Tod geweiht sind und Pasolini distanziert geschickt den Zuschauer auch von den Opfern, so dass man gar keine Chance hat, irgendwie mitzufiebern. Man sieht nur zu und wird zum kleinen Mittäter und lechzt danach, wie weit der Regisseur noch geht und wie dieser Film wohl endet.
Zu den vier Adligen muss ich sagen, dass ich selten überzeugendere Schauspieler gesehen habe, die solch eine abnormale, perverse Rolle perfekt verkörpern. Die beste Rolle spielt jedoch Catarina (Borat)to, die ihre Geschichten dermaßen harmlos verpackt und dennoch voll brutaler Vergehen und Verbrechen bestehen, dass man sich echt fragt, was sie hier in dieser abgeschotteten Villa zu suchen hat - und nicht in der Klappse gelandet ist.
Wer jedoch auf echte Exploitation wartet, muss sich bis auf die Schlussminuten gedulden, denn die Gräueltaten werden so was von harmlos und dennoch erschreckend heruntergespielt, dass es einen sprachlos macht. Und erst am Ende kommt echtes "Splatter-Feeling" auf.
Was der Regisseur nun damit erreichen wollte, kann jedem selbst überlassen sein. Ich schließe mich dennoch der Mehrheit an: Es ist eine widerliche Metapher auf den Faschismus, die Konsumgesellschaft und eben auf die abgrundtief schlechte Seele vereinzelter Menschen, die hier Sexualität in allen Belangen ausleben, wie man es noch nie oder nie wieder auf der Leinwand sehen wird. Der Witz an der ganzen Sache ist, dass 90% der praktizierten Sexualhandlungen von jeder Prostituierten heute angeboten werden. Naja, wer es mag...
Dennoch, genau aus diesem Grund ist "Die 120 Tage von Sodom" zurecht ein Skandalfilm, der aber auch gleichzeitig irgendwo und irgendwie zu Recht als Meisterwerk gilt.
Meine Meinung:
Man sollte einmal im Leben diesen Film gesehen haben, egal ob man angeekelt ist oder sich durch zwei Stunden Laufzeit durchquälen muss. Dieser Film hinterlässt einen bleibenden Eindruck über mehrere Tage und man muss sich damit auseinandersetzen.
8/10