Pasolinis Saló ist ein eine merkwürdige Mischung aus Autorenfilm und Exploitation. Zum einen sein zugänglichster, was den Handlungsfortschritt betrifft zumindest, zum anderen aber gerade durch die beinahe schon enthüllende Detailverliebtheit in Sachen sexueller Unterwerfung und Folter ein Film bei dem die meisten Menschen in meinem Umfeld ihre Gesellschaft bei einem Kinobesuch verweigern würden (und es auch tun). Viele Sade-Kenner, u. a. der französische Semiologe Roland Barthes, bezichtigen Pasolini einer "fehlerhaften" Sade-Interpretation, doch der Vorwurf greift zu kurz. Es stimmt zwar, daß ein Aspekt, nämlich der des sardonischen, bisweilen sogar ziemlich fein-ironischen Humors des Marquis, in Pasolinis Film völlig fehlt, ja bewußt ausgegrenzt wird, doch das ergibt sich m. E. aus dem marxistischen Ideal des Regisseurs und seiner Bourgeoisiekritik, daher die Absicht, mit diesem Film die "Natur des Faschismus" darzustellen. Dies ist eben schon auch ein Aspekt des Sade'schen Werkes (in letzterem Falle eher bezogen auf den Absolutismus). In dieser Hinsicht ist Saló allerdings als gelungen anzusehen, denn die bürokratische Präzision der 4 "Sadisten", mit der sie ihre Vernichtungstableaux entwerfen und ausführen steht denen der Buchvorlage "Die 120 Tage von Sodom" in nichts nach. Ganz im Gegenteil, der erschreckende Aspekt des Sadeschen Werkes, der von seinen Fans gerne unter den Tisch gekehrt wird, kommt in Saló with a vengeance wieder. Mit einem gewissen Pathos könnte man sagen, daß nach diesem Werk tatsächlich nur der (gewaltsame!) Tod seines Erschaffers folgen konnte, so kompromißlos wie seine Höllenfahrt zu ihrem bitteren Ende von ihm geführt wurde. Daß es nicht durch die Hand eines "Faschisten" kam, sondern durch die eines Proletarierkindes, das nach Pasolinis Ansicht eher die Zukunft einer besseren Welt hätte sein sollen, ist nur wieder ein Beispiel für die immerwährende Ironie des Schicksals. Erwähntes Ende, ebenfalls ein Anstoß der Diskussion, wird von den meisten, mit denen ich gesprochen habe, als defätistischer Schlußpunkt der Vernichtungsorgie gesehen, doch mag auch das Gegenteil wahr sein: zwei miteinander tanzende Jungen, die sich über ihre Freundinnen unterhalten - natürlich eine Konterkarierung der zur gleichen Zeit im Hof des Schlosses stattfindenden Foltern. Doch könnte Pasolini gerade hier eine Art Morgenröte am Horizont gesetzt haben wollen, denn eigentlich zeigt diese Szene auch die Unkorrumpierbarkeit der Jugend: inmitten des Höllenkreises des Blutes schwärmen sie von zarten Banden, sind also nicht zerstört, moralisch wie körperlich, sondern sehen sogar einer Zukunft entgegen. Gerade diese Möglichkeit macht den Film aber noch verstörender. So gesehen eigentlich Pflichtprogramm für alle, die sich mit dem Phänomen der "Bestie Mensch" auseinandersetzen wollen.