Review

Die 120 Tage von Sodom

Meine Güte. Also ich behaupte mal, dass ich mittlerweile selbst schon eine ganze Menge gesehen habe. Aber Pier Paolo Pasolinis berühmt berüchtigte Verfilmung der literarischen Vorlage des Marquis de Sade (von dem sich der Begriff Sadismus ableitet) ist so ziemlich das abstoßenste, widerlichste und menschenverachtenste Stück Film, dass mir je unter gekommen ist.
Die Geschichte wurde von Frankreich des 18. Jahrhunderts nach Italien in das Jahr 1944 verlegt. Vier gesellschaftlich hochgestellte und auf dem ersten Blick sehr vornehme Nazis nehmen mit Hilfe einiger ihnen unterstellter Soldaten 18 Jugendliche als Geiseln und verschleppen sie in eine Villa. Von da an beginnt für diese ein Martyrium aus nahezu ununterbrochenen Vergewaltigungen, Erniedrigungen und Folterungen.
Ja, storytechnisch ist da nicht viel zu holen. "Salò" hält sich bewusst zurück, verzichtet auf jegliche Charakterisierung und zeichnet lieber 120 Minuten des Elends. Es gibt keine Bezugspersonen, keine Hoffnung, nicht einmal die Namen vermag man sich richtig merken zu können. Es gibt keine Gespräche unter den Jugendlichen, keine Fluchtpläne oder -versuche und nur selten geringe Gegenwehr. In Salò sind Menschenleben nur Dreck, die Jugendlichen nicht mehr als atmendes Fleisch auf zwei Beinen.
Was sich schon zu Beginn jeglicher filmischer Konventionen entsagt entwickelt sich im Verlaufe zu einer dermaßen drastischen Orgie aus abstoßenden Szenen, dass ich wohl nie näher dran war den Grundsatz, keinen Film vor dem Ende auszuschalten, zu brechen. Pausenlos nehmen sich die vier Nazis, die sich untereinander im elaborierten Code unterhalten und nur mit Betitelungen wie "Herr Präsident", "Montsignore" und "Exzellenz" anreden ihre identitätslosen Opfer um sie in Nebenräumen für ihre Triebe zu missbrauchen. Geschlechter spielen da keine Rolle mehr. Die Jugendlichen werden zu homosexuellen Handlungen gezwungen, werden nackt wie Hunde an Halsbändern gehalten, müssen sich gegenseitig anpissen und werden im Höhepunkt der Geschmacklosigkeit gezwungen zusammen mit den vier Herren ihre eigenen Exkremente zu verspeisen. Währenddessen zitieren die vier Herren Nietzsche und andere Philosophen und lassen sich immer neuere Erniedrigungen einfallen. Schließlich – wie sollte es anderes sein – gipfelt Salò in einer Folterorgie, in der einige Jugendliche, die in Hoffnung auf den schnellen Tod vorher bewusst oder auch heimlich die „Regeln“ gebrochen haben aufs schlimmste gequält und ermordet werden. Zungen und Kopfhäute werden abgeschnitten, Genitalien mit Kerzen verbrannt und Brustwarzen weggeschmort. Dann schließt der Film und zerstört damit auch den letzten Hoffnungsschimmer auf Flucht oder Rache, lässt stattdessen eher noch die Option offen, dass sich alles bald wiederholen wird.
Bleibt nun die Frage, wie man mit einem solchen Film umgeht, wo er doch auf den ersten Blick nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Grausamkeiten bietet. Dabei hält sich die Kamera im Gegensatz zu beispielsweise Fulci’s Filmen meist auf Distanz, das Treiben wird auf Entfernung gehalten, allerdings auch ohne Schnitte, Kameraschwenks oder –fahrten. Stattdessen bleibt sie fast die ganze Zeit über statisch im Raum stehen und verweigert dem Zuschauer frühe Wegblenden oder andere Zugeständnisse an die Moral.
Salò ist radikal wie kaum ein anderer Film, doch was will er eigentlich? Ist er tatsächlich eine Parabel auf den Faschismus oder ein gesellschaftskritischer Aufruf gegen die reiche Klasse, die durch ihren Reichtum denkt, sich von den zu beachtenden Menschenrechten freikaufen zu können? Oder verbirgt sich hinter dem für eine reine Sadismusorgie eigentlich zu künstlerisch inszenierten Film doch nichts weiter als ein aussageloses Filmmachwerk, dass versucht sich an die Ekelspitze der Filmgeschichte zu stellen? Beides will mir nicht so recht zusagen. Ersteres erscheint mir einfach zu dürftig – zu drastisch und ausgelassen werden hier die Erniedrigungsorgien zelebriert, als dass sich neben all dem Ekel noch eine klare, legitimierende Aussagekraft entdecken lässt. Nicht mehr hierfür, da hätte man sich auch deutlich zurück halten können. Das einzige Motiv der vier Herren scheint die Befriedigung der eigenen kranken Phantasien zu sein, ansonsten wird überhaupt nicht auf das grausame Treiben eingegangen. Andererseits kann man dem Film, egal wie sehr man ihn hasst (was ich durchaus verstehen kann) alles nachsagen – nur nicht dementieren, dass er einen nicht zum Nachdenken bringt. Doch zu einem wirklichen Ergebnis hat mich das allerdings auch nicht gebracht.
Wie bewertet man nun den Film? Eine simple Punktbewertung drauf und ab ins Lager der 2,3,4,5- Punkte Filme (oder mehr?) ? Ich weiß es nicht. Vielleicht erschließt sich mir eines Tages der Sinn des Films, vielleicht würde dies bei einem weiteren Mal Ansehen geschehen. Dies wird aber glaube ich daran scheitern, dass ich mir den Film einfach kein zweites Mal ansehen will. Denn stille Faszination oder Interesse hat er bei mir wirklich nicht geweckt. Dominierend war stattdessen eher der Drang angewidert auszuschalten.
Trotz allem bleib ich vorerst bei ?/10 Punkten. Vielleicht ändert sich dies ja nach einiger „Verdauungszeit“. Ich lasse mich auch gern belehren. Nach oben und unten ist da theoretisch fast alles drin. Mein Gefühl deutet im Moment aber eher ganz stark nach unten.

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