Nach so vielen Filmen ist es nicht mehr so einfach, noch einen reingewürgt zu bekommen. Einen Film zu sehen, der einen noch richtig fertig machen kann.
Darren Aronowsky hat das Kunststück fertig gebracht: „Requiem for a dream“ ist ein Werk, nach dem man richtiggehend abfeiern kann, wie gut es einem doch geht, daß man nicht drogenabhängig ist und jetzt schnell etwas Lustiges sehen kann, damit man keine Alpträume bekommt...
Ein ruhiger, fast betulicher Beginn versetzt dabei das Publikum in trügerische Ruhe. Langsam nimmt das Schiff Fahrt auf. Vier Personen. Eine ältere Dame, die allein die meiste Zeit vor dem Fernseher verbringt. Ihr Sohn, der gerne mal den Fernseher versetzt, weil er hie und da gern Drogen genießt. Sein schwarzer Freund, mit dem er das als Geschäft plant. Seine Freundin, in die er verliebt ist und deren Geschäft er fördern möchte.
Was daraufhin folgt, ist wahre Meisterschaft. Aronowsky schickt den Zuschauer eine rasante Abwärtsspirale hinunter, die immer mehr an Geschwindigkeit zunimmt, einen Trip in die Hölle, in die Verdammnis. Denkt euch das Schlimmste, was einer Person passieren kann und dann macht es noch zehnmal schlimmer.
Diesen Trip durchzustehen, wird dann auch von Minute zu Minute immer schwieriger. Ellen Burstyn gibt eine zurecht oscarnominierte Performance als ältere Frau, die in aller Naivität auf ein Bewerbungsschreiben des lokalen Fernsehens hereinfällt und deren Phantasie daraufhin Flügel kennt. Visualisiert wird das durch das tägliche Sehen immer derselben amateurhaften Motivationssendung, in der sie selbst wohl auftreten will. Um jedoch in ein bestimmtes Kleid zu passen, will sie abnehmen. Der Diät ist sie nicht gewachsen, also bekommt sie Diätpillen verschrieben. Doch das sind Aufputschmittel und was sie nicht weiß, das reißt sie in den Abgrund.
Gleichzeitig muß der Zuschauer jedoch noch drei andere Schicksale verfolgen. Jared Leto gibt den Sohnemann, der schon bald seinen Konsum nicht mehr unter Kontrolle hat. Eine Zeitlang fließt noch Geld aus Drogenhandel, doch dann machen widrige Umstände vieles kaputt. Von Koks kommt man zu Heroin. Und seine Beziehung zu seiner Freundin Jennifer Connelly leidet darunter.
Aronowsky hält sich nicht bekannten Bildern auf. Wir haben alle schon mal gesehen, wie Heroin gespritzt wird, Christiane F. ist uns allen bekannt. Stattdessen schneidet er Bilder von Drogenzubreitung und Konsum/Wirkung lediglich dazwischen, mehr Bilder mit steigendem Konsum, schnellere Abfolge, härterer Schnitt, aber stets die gleichen Bilder. Drogen ändern sich nicht, Menschen schon.
Mit dem Verfall wird auch die Bildsprache anders. So wie die vier die Realität wahrnehmen, wird sie uns gezeigt. Fiebriger Glanz, hektische Nervosität, Cold Turkey, unbeschreibliche Visionen, beginnender Wahnsinn, schnellere Spielgeschwindigkeit.
Burstyn verfällt zusehends; im Griff der Pillen, deren Gefahr sie abtut, ihren Traum als letztes Ziel, von Visionen ihres agressiven Kühlschranks bedroht. Connellys Augen werden zunehmend glanzlos, sie stumpft im Drogenwahn ab, am Ende wird ihr egal sein, was sie sich antun muß.
Und es gibt kein Entkommen aus dieser Schlittenfahrt talwärts, keine Erholung, kein nettes Zwischenspiel. Was man sieht, ist zweckdienlich, ergänzend, der jeweils logische nächste Schritt. Das Ende ist so erschütternd, daß es niemanden kalt läßt. Schlagworte können er kaum erfassen: Katatonie nach Elektroschocktherapie; Zwangsarbeit, Amputation, Analpenetration vor einer tobenden Menschenmenge.
Aronowsky wertet nicht, er zeigt nur. Vier Schicksale, erschütternd, nicht mehr. Es ist nicht mal die Faszination des Sehens dabei, die Sensationslust. Im Gegenteil, die Kamera scheint echten Schmerz einzufangen, fast körperlich nachfühlbar, mein Gott, wie tief kann man noch sinken.
Vermutlich kann kaum eine Szene so an die Nieren gehen, wie der Moment gegen Ende, in dem Jared Leto sich eine Heroinspritze mit simpler Gewalt in seine bis zur Fäulnis entzündete Armbeuge bohrt. Wer hier nicht innerlich eine leichte Revolte verspürt, muß irgendwie tot sein.
Deswegen kann man auch auf niemanden wütend sein, der Film provoziert tatsächlich Miterleben und Mitgefühl.
Und das alles für die jeweilige Erfüllung eines Traums, den jeder der vier am Ende mehr oder weniger verliert. Tatsächlich ein Requiem auf einen Traum mit Szenen aus der Hölle. Liveübertragung. Auf allen Kanälen. (9/10)