Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren
Als in den Jahren 1967/68 die Studentenrevolte in Deutschland ihrem Höhepunkt entgegen schritt, bahnte sich – analog zum (bildungs-)politischen Aufbegehren – eine Gruppe junger Wilder den Weg an die Spitze der deutschen Kino-Unterhaltung… Es war die filmische Geburtsstunde der „Lümmel von der ersten Bank“ rund um ihren „Anführer“ Pepe Nietnagel.
Eben dieser Pepe Nietnagel (Hansi Kraus) ist es, der die Lehrkörper des Mommsen-Gymnasiums regelmäßig zur Weißglut treibt. So ergeht es auch Studienrat Dr. Knörz (Rudolf Schündler), der nach einem Streich Nietnagels den Weg in ein Sanatorium antreten muss. An die Stelle des „Knörzerich“ rückt der junge Dr. Kersten (Günther Schramm), der ganz nach dem Geschmack von Pepe und seiner 10a ist und das Gegenteil zum ansonsten recht konservativen Lehrkörper darstellt.
Basierend auf der Satire „Zur Hölle mit den Paukern“ des Pädagogen und Schriftstellers Alexander Wolf verfasste Franz Seitz jr. (Produzent und Drehbuchautor des Oscar-prämierten Filmes „Die Blechtrommel“) unter seinem Pseudonym Georg Laforet die Drehbücher zu allen sieben in dieser Reihe erschienenen Filmen und traf damit den zeitgenössischen Geschmack: Die Zuschauer strömten in Scharen in die Lichtspielhäuser der Republik und ergötzten sich an den ersten schelmischen Streichen des Lausbuben Pepe Nietnagel. Dass Seitz, pardon – Laforet, mit „Die Lümmel von der ersten Bank“ sicherlich kein Film gelungen ist, der in der internationalen Filmhistorie Beachtung finden sollte, dürfte bereits zur damaligen Zeit klar gewesen sein, doch eines steht fest: Dieser Film war der Auftakt für eine der gelungensten und erfolgreichsten deutschen Filmreihen aller Zeiten. Und ja, sicherlich dürfte auch das bereits eingangs erwähnte Treiben an den Universitäten der Nation ein wenig zum Erfolg des ersten Teiles beigetragen haben. Die Revolte wurde quasi von den Hochschulen auf das Gymnasium „herunter“-projiziert, die hintergründige Aussage blieb die gleiche: mit alten pädagogischen Traditionen und Methoden soll gebrochen, etwas frischer Wind soll unter die Talare gebracht werden! Das zeigt sich in „Die Lümmel von der ersten Bank“ vor allen Dingen darin, dass sämtliche Vertreter des Lehrkörpers von den Streichen der Klasse 10a „heimgesucht“ werden (könnten), bis auf einen: den jungen, liberalen Lehrer Dr. Kersten. Sicherlich ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung des vornehmlich erzkonservativen Pädagogentums der End-60er, denn gerade diese erzkonservativ eingestellten Lehrer werden hier vortrefflich auf die Schippe genommen: sei es nun Rudolf Schündler mit seinem leider viel zu kurz geratenen Auftritt als Dr. Knörz, der wundervolle Balduin Baas als ehemaliger Wehrmachtsoldat Dr. Blaumeier oder Ruth Stephan als Studienrätin Pollhagen… sie alle verleihen ihren Figuren, auch wenn sie immer wieder Opfer von üblen Streichen werden, genau das, was sie trotz ihrer – vor allen Dingen aus heutiger Sicht – fragwürdigen Einstellung irgendwie sympathisch macht: trottelige Liebenswürdigkeit. An der Spitze – sozusagen als König – dieser „Trottel“ steht mit Theo Lingen als Oberstudiendirektor Dr. Taft eine der konstantesten Persönlichkeiten der gesamten Filmreihe und ohnehin einer der besten deutschen Darsteller der damaligen Zeit, der auch heute noch bei (fast) jedem seiner Auftritte in den „Lümmel“-Filmen von mir Szenen-Applaus bekommt…
Wenn diese Riege der „Altehrwürdigen“ dann Opfer von Streichen wie einem vorgetäuschten Selbstmord werden oder eine von Pepe Nietnagel eingefädelte Gedenkfeier abgehalten wird, von der auch während der Feier niemand so recht weiß, wessen im Rahmen dieser Feststunde gedacht werden soll, dann darf auch heutzutage noch herzlich gelacht werden. Die durchweg fantasievollen Streiche, die hier aus der Vorlage von Alexander Wolf herausgekitzelt wurden, sind wirklich herrlich dreist und urkomisch! Manches wirkt sicherlich etwas angestaubt, doch den Kern der Sache dürfte auch der heutige Zuschauer noch ohne weiteres erkennen: Spaß! Und den bereitet in der Riege der Jungdarsteller – wen wundert’s – vor allen Dingen Hansi Kraus, der einen Jungen verkörpert, den der eine oder andere sicherlich mit einem Klassenkameraden aus der eigenen Schulzeit in Verbindung bringen kann oder den man sich einfach als Klassenkameraden gewünscht hätte: er ist der immerlustige Klassenclown, der mit seinen Streichen seine Mitschüler in Lachkrämpfe und seine Lehrer in den Wahnsinn treibt. Dass ihm die Rolle des „Lausbub“ im Blut liegt, durfte er bereits Jahre zuvor in Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“ unter Beweis stellen. Die Rolle des Pepe Nietnagel kann getrost als konsequente Weiterführung dieser Rolle angesehen werden und schließlich bereitete sie Kraus auch weitaus mehr Beachtung als die Rolle des Ludwig in den Thoma-Verfilmungen.
Neben Hansi Kraus dürfen wir noch Uschi Glas (ja, vor 40 Jahren war die gute Frau noch recht ansehnlich) als Pepes Schwester Marion und Hannelore Elsner (dasselbe Urteil wie bei Frau Glas, nur noch um einiges ansehnlicher) als französische Austauschstudentin Geneviève Ponelle bewundern, die beide vor allen Dingen durch ihre jugendliche Unbekümmertheit punkten können.
Man fasst es nicht…,
jetzt komme ich dann auch so langsam zum Schluss und möchte nur noch
frisch, fromm, fröhlich, frei
meine abschließenden Worte zu den „Lümmeln von der ersten Bank“ loswerden:
Regisseur Werner Jacobs gelang in Zusammenarbeit mit Georg Laforet mit „Die Lümmel von der ersten Bank“ ein Film, mit dem ich Kindheitserinnerungen verbinde, die mir kein anderer Film in dieser Form bereitet, und der auch heute noch zu meinem Amüsement beitragen kann. Und ich denke, ich stehe mit dieser Einschätzung glücklicherweise nicht ganz alleine da. Es steht jetzt jedem zu, die Arme zu verschränken und zu sagen „Nein, so einen Mist schau ich mir nicht an“. Doch eines muss anerkannt werden: „Die Lümmel von der ersten Bank“ stellen eine Filmreihe dar, die Generationen übergreifend seine Zuschauer auf eine gewisse Art und Weise geprägt hat. Und in dieser Filmreihe stellt der erste Teil einen der besten dar, der vor allen Dingen neben all dem Klamauk, der geboten wird, durch die latente Kritik an einem veralteten Schulsystem überzeugt. 7/10