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Lenas Neugier ist noch längst nicht gestillt, tausende Fragen sind noch zu stellen, unzählige Erfahrungen zu machen. „Ich bin neugierig – Blau“ versteht sich nicht als Fortsetzung zum Vorgängerfilm sondern als komplettierende Ergänzung, fokussiert andere Themengebiete und setzte andere Schwerpunkte als „Gelb“. Wenngleich die narrative Ebene nicht entscheidend vertieft wird schaffte es Regisseur Sjöman erneut einen Publikumserfolg und eine weitere Kontroverse hervor zu rufen. Während sich der Vorgänger vorwiegend der untergehenden Monarchie widmete, sowie der Klassenunterschiede Schwedens, interessiert sich Lena nun für die Trennung von Kirche und Staat, weiterhin für die Frauenrolle in der schwedischen Gesellschaft. Wieder schreitet sie mit idealistischem Eifer voran, stets überzeugt von ihren Vorstellungen. Dabei scheut sie sich nicht, anders denkende, vor allem Konservative, als dickköpfig abzutun und damit ihre Meinung zu verurteilen. Außerdem findet sich dasselbe Motiv in ihrer Beziehung zum Filmregisseur Sjöman (der sich erneut selbst spielt), denn ihre zwiespältige Beziehung bedroht stetig das entstehende Kunstwerk. Nicht umsonst warnte Ingmar Bergmann seinen Schüler Sjöman davor, sich in seine Hauptdarstellerin zu verlieben. Letzterem Aspekt fügt „Blau“ seinem Zwillingsfilm aber nur marginale neue Einsichten hinzu, sodass die Originalität des Erstlings in dieser Hinsicht auf der Strecke bleibt.

Gleiches gilt für die Guerilla-Ästhetik des Filmmaterials, mit dem Sjöman ganz neue Maßstäbe in Sachen freier Montage setzen konnte. War „Gelb“ anstrengend und überreizend, so kommt „Blau“ eher ruhig daher und konfrontiert den Zuschauer nicht mit einer anhaltenden Schnittwut. Ansonsten ist aber alles beim Alten geblieben, was nicht zuletzt an der quasi gleichen Entstehungszeit des Films liegt. Die Trennlinie zwischen fiktiver und pseudodokumentarischer Erzählebene ist bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht, wieder wurde ohne Drehbuch gefilmt, wieder mit freier Körperkultur experimentiert. Zeigte Sjöman zunächst erstmals in einem schwedischen Film einen nackten Mann, so ist es hier eine lesbische Liebesszene, die Aufsehen provoziert. Und obwohl die Rechnung ein zweites Mal aufging hat „Blau“ nicht viel Neues zu erzählen, der erhoffte neue Blickwinkel auf den Vorgänger bleibt weitgehend unerschlossen und fragil. Auch wenn der Film nicht im geschwätzigen Dialogschwall ertrinkt, so verweigert er dennoch einen eindeutigen Zugang und bezieht keine richtige Position zum Sujet, was auf Dauer nur noch verärgert. Der fragmentarische „Geld“ wird kaum sinnvoll ergänzt und das wenig akzentuierte Spiel von Lena Nyman beginnt überdies zu nerven. Sjöman überspannt den Bogen gleich an mehreren Fronten und kommt nicht über prätentiöse Selbstkopie hinaus.

So erscheinen auch die vielen Spitzfindigkeiten in Bezug auf die zeitgenössische Lage Schwedens zunehmend als oberflächlich und sensationalistisch, was im ersten Teil noch weitgehend durch die formale Innovation ausgeglichen wurde. In „Blau“ ruht sich der Regisseur aber zu sehr auf einem erfolgreichen Konzept aus, ohne sichtliche Motivation künstlerisches Neuland zu erschließen oder dem Vorgänger ernsthaft zu komplettieren. Unterm Strich bleibt eine zwittrige Attitüde anzumerken: Einerseits versteht sich Sjömans Film als Manifest der Studentenbewegung, andererseits nimmt er deren naiven Idealismus auch aufs Korn.

04 / 10

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