Review

Mit welchen Erwartungen geht man an einen Skandalfilm heran, der
bereits 30 Jahre auf dem Buckel hat? Am besten nicht mit allzu hohen,
denn schon zu oft wurde man am Ende enttäuscht, da viele Sachen, die
seinerzeit Entrüstungsstürme auslösten, heute niemanden mehr jucken.

Beim „Letzten Tango in Paris“ war es vor allem die Thematik
(hemmungsloser Sex, ohne etwas vom Partner wissen zu wollen), welche
die Sittenwächter ärgerte. Das kann man durchaus nachvollziehen, denn
es ist tatsächlich die pure Lust am Verbotenen, am Unmöglichen, die das
Paar in immer heftiger werdende Sexspielchen treibt, was schließlich in
der erwarteten Katastrophe endet. Zum Ende hin eskalieren die
Liebesakte beinahe, auch aufgrund der unmöglich obszönen Wortwahl der
Beteiligten, und das ist dann wirklich das schockierendste, neben der
Szene, in der Brando seine tote Frau beschimpft.

Beeindruckend ist die Regiearbeit Bertoluccis immer noch, die von
außergewöhnlichen Kamerafahrten (häufig Verfolgerperspektive) und
bemerkenswerten Lichtspielen gekennzeichnet ist. Im Wohnhaus Pauls ist
es ohnehin düster wie in einer muffligen Höhle, über Paris scheint
niemals die Sonne und das Apartment, in der sich Paul mit Jeanne zum
Sex trifft, sieht ebenfalls vergilbt und unnatürlich aus. Eine ganz und
gar freudlose Optik.

Dramaturgisch offenbaren sich die ersten krassen Schwächen, denn
spannend ist das Treiben aus heutiger Sicht auf keinen Fall, dazu ist
alleine die Ausgangssituation zu abgedroschen. Wenn man es flapsig
beschreiben will: Geiler alter Sack trifft sich mit junger,
geheimnisvoller Frau zum Anonymfick. Wäre da nicht der Hintergrund mit
Pauls toter Frau (Suizid), „Der letzte Tango in Paris“ wäre inhaltlich
ganz schlecht. Das hochgepriesene, doppelbödige Innenleben der
Protagonisten kann ich ebenfalls nirgends entdecken, man kann sogar
schon recht früh erahnen, was als nächstes passiert.

Natürlich spielt Brando hier wie um sein Leben, zeigt Großteile
seines Körpers und das ist umso erstaunlicher, als dass er erstens alt
und zweitens seit Filmen wie „Endstation Sehnsucht“, „Viva Zapata“ und
„Der Pate“ längst ein Superstar war. Das ist auch heute noch
bemerkenswert, doch alles in allem ist die vermoderte Atmosphäre auf
den Inhalt leicht übertragbar, soll heißen: In diesen Zeiten schockiert
das niemanden mehr so richtig. Wer sich nur ein Fünkchen Unterhaltung
erwartet, sollte fernbleiben, ebenso pubertierende Jungs, die mal
gelesen haben, dass es hier ganz zügellos zugehen soll. Der Film ist
für Entertainment viel zu sperrig, aber stellenweise noch immer
faszinierend. Wer sich für künstlerisch anspruchsvolle Klassiker
interessiert und schon immer eine Ahnung hatte, dass Butter nicht nur
als Brotaufstrich seinen Zweck erfüllt, der dürfte begeistert sein.

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