Review

Hier haben wir also einen der Skandalfilme schlechthin. Zumindest wurde das lang behauptet und mittlerweile schon wieder etwas verharmlost, denn "Der letzte Tango in Paris" mag skandalumwoben sein, doch das bezieht sich eher auf sein Erscheinungsdatum als auf seinen Inhalt und die Inszenierung. Heutzutage ist der Film sicherlich nicht für jedermann geeignet, doch für eine FSK 16 Freigabe reicht es immerhin. Und das auch zurecht.

Ich gebe zu, auch ich war lange vom Mythos um diesen Klassiker befallen, ohne ihn je gesehen zu haben. In vielen Rezensionen bekam ich zu lesen, was für ein Aufsehen Bertoluccis Film damals sorgte und auch meine Mutter, die zu dieser Zeit kurz vor der Volljährigkeit stand, berichtete mir von diesem polarisierenden Machwerk. Nun, fast 35 Jahre nach Erscheinen des Films, kann mancher nur noch über so viel Entsetzen lachen, denn was man im Endeffekt in diesen 125 Minuten zu sehen bekommt, ist nicht sonderlich schockierend. Wenn man sich denn im dementsprechenden Alter befindet. Doch ganz kalt lässt es einen auch wieder nicht.

Weil ich von polarisierend sprach; "Der letzte Tango in Paris" mag teilweise provokant und für diese Zeit überraschend freizügig und offen wirken, doch man sollte darüber hinwegsehen, dass man mit diesem Meisterwerk das Wort "Skandal" assoziiert. Der Film hat nämlich viel mehr verdient als ihn nur anzusehen, um mitreden zu können, wie abartig er ist. Erstens mal ist er das gar nicht und zweitens steckt in dem Film etwas Wunderschönes, Fesselndes und zugleich Einzigartiges. Auch wenn die Sexszenen gegen Ende an Intimität (wenn man es so nennen möchte) und Klarheit zunehmen, darf man nicht vergessen, oder gerade deswegen, dass das Ding auf dem Bildschirm einfach ein Geniestreich ist.

Düster und wortkarg beginnt er, ein Mann ohne Namen und eine Frau, auch ohne Namen, begegnen sich zufällig und haben kurz darauf in einer leerstehenden Wohnung Sex. Ohne vorher viel zu reden. Dann wird klar, dass der Mann kurz zuvor seine Frau per Selbstmord verloren, er dies alles andere als verarbeitet oder nachvollzogen hat und er somit einfach abschalten will. Durch den Sex. Völlig anonym, ohne etwas voneinander zu erzählen, beginnen die Beiden, sich öfters zu treffen, stets mit dem Ziel, wild übereinander herzufallen. Es besteht die strikte Abmachung, das ohne irgendwelche Gefühle handzuhaben und auch nicht mehr voneinander zu wollen. Doch was ist, wenn sich einer plötzlich nicht mehr an die Abmachung hält ?

Ein Film voller Symbolik. Die Wohnung, so leer und so kalt, wie die Beziehung von Jeanne und Paul (die Namen erfährt man im Laufe des Films). Keine Möbel, keine Pflanzen, Nichts. In völliger Anonymität haben die Beiden wilden Sex miteinander, ohne viel zu reden oder von sich preiszugeben. Zwischen diesen Treffen erfährt man, was die Beteiligten in ihrer restlichen Zeit machen. Hier ein großer Kontrast. Wo Jeanne mit ihrem Freund, den sie doch recht kaltblütig betrügt, auf muntere Art und Weise eine kleine Dokumentation über das Verhalten einer x-beliebigen Frau, in diesem Fall sie selbst, drehen, begibt sich Paul auf so etwas wie eine Erlebnisreise in die Vergangenheit. Wenn er in der Wohnung ist, in der sich seine Frau kürzlich das Leben genommen hat und sich noch überall Blut befindet und er schweigend am Fenster steht, dann geht das nicht nur unter die Haut, sondern direkt ins Mark. A propos. Der Film ist voll von tieftraurigen, verzweifelten Szenen. Wenn Paul neben seiner toten Frau sitzt, diese umgeben mit Blumen, und er darüber nachdenkt, wieso sie ihn betrogen hat und gleichzeitig auf sie einredet und sie aufs Grässlichste beschimpft, Sekunden später jedoch in Tränen ausbricht und sich zutiefst entschuldigt, dann geht einem das sehr nahe. Marlon Brando leistet nicht nur in dieser Szene eine unglaubliche Authenzität.

Doch zurück zur Symbolik. Ständig werden die beiden Protagonisten in der verwahrlosten Wohnung über zerbrochene Spiegel eingefangen. Paul, die zerrüttete Seele, die mit einem herben Verlust zu kämpfen hat und sich zunächst lieber einer wildfremden Frau hingibt anstatt über die Frage des Warums zu sinnieren. Jeanne, die Teenagerin mit Freund, die noch keine klaren Vorstellungen vom Leben hat, geschweige denn vom Erwachsensein. Doch auch sie findet ihren Reiz an der alltäglichen oder allwöchentlichen stillen Verabredung. Genaueres ist nicht bekannt, da der Film auf jegliche Zeitangaben oder ähnliche Details verzichtet.

Den letzten Tango aber als reines düsteres Trauerspiel voller Pessimismus zu bezeichnen wäre auch falsch. Denn bei allen Versprechungen und Abmachungen, ist es nicht schön, zuzusehen, wie sich die Beiden näherkommen, auch wenn es ja beide vordergründig gar nicht mögen ? Da erzählt Paul plötzlich über seine Jugend und die Erinnerungen an seinen Vater, ohne Punkt und Komma zu kennen. Ihm scheint es zu gefallen, dazuliegen und jemanden zum Reden zu haben. Der ihm auch noch gespannt und aufmerksam zuhört.

Eingefangen wird dies von einer unglaublich genialen Kameraführung, die einem wirklich sofort ins Auge sticht und Bilder kreiert, wie sie nur seltenst zu sehen sind. Nicht zuletzt ihr ist es zu verdanken, dass der Film trotz seiner teils Dialoglastigkeit, teils Verschwiegenheit nie zu einem Langweiler wird, sondern im Gegenteil zu jeder Sekunde unterhält, ja sogar fasziniert. Begleitet werden diese famosen Bilder oft mit einer mehr als passenden Musik, die das Filmerlebnis gekonnt abrunden.

"Der letzte Tango in Paris" stellt für mich absolutes Pflichtprogramm dar, den man nicht aufgrund seiner provokanten Sexszenen gesehen haben sollte, sondern wegen seiner Einzigartigkeit, der phänomenalen Kameraarbeit sowie einem grandiosen Brando. Düster, traurig, riskant, wunderschön und irgendwie auch ehrlich. Danke.

9/10 Punkte

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