Der letzte Tango in Paris“ ist wohl einer der Skandalfilme, die das Kino hervorgebracht hat. Verboten gewesen in einigen Ländern, das sagenumwobene „X-Rating“ in Amerika erhalten, Cast & Crew angeklagt. All dies trägt zu seinem Ruf bei, genauso wie die Sexszenen und obszönen Dialoge. Doch nun, mehr als dreißig Jahre später, scheint dieses Skandalöse doch recht verblasst zu sein. Wir werden schon im Nachmittagsprogramm mit reichlich nackter Haut bombardiert, One-Night-Stands sind Gang und Gäbe und in den Großstädten wird wie eh und je anonym nebeneinander hergelebt. Was macht nun das reizvolle und anziehende des Films aus?
Sicher ist es die Story: Wer findet es nicht reizvoll, Sex mit einem Unbekannten zu haben, sich zu treffen nur um des Sexes wegen; seine täglichen Sorgen, das tägliche Leben hinter sich zu lassen und einfach das zu machen, worauf man Lust hat, wie unsere beiden Protagonisten in diesem Film.
Paul (Marlon Brando) ist Witwer und besitzt ein kleines Hotel in Paris. Bei einer Wohnungsbesichtigung trifft er auf die junge Jeanne (Maria Schneider). Nach einem kurzen Gespräch haben sie Sex miteinander. Von nun an fungiert diese Wohnung als Liebesnest für die beiden. Namen sind verboten und zuerst auch Geschichten aus ihrem Leben; nur der Liebesakt ist wichtig, welcher nicht wirklich zimperlich von Statten geht. Zwischen diesen Passagen wird dem Zuschauer das Leben der Akteure außerhalb ihrer „Beziehung“ nahegebracht. Schnell erkennt man, dass Paul ein gebrochener Mann ist: sein Hotel ist ein schäbiges Etablissement, seine Frau hat Selbstmord begangen und dutzende Affären gehabt, und dann ist auch noch die Schwiegermutter angereist.
Aber auch Jeannes Leben ist nicht wirklich rosig. Ihr Freund dreht einen Dokumentarfilm über sie ohne ihre Erlaubnis, und die Beziehung besteht eigentlich nur aus Oberflächlichkeit. So scheint ihr die Affäre trotz aller Grobheiten von Pauls Seite die Geborgenheit zu bieten, die sie im wahren Leben nicht bekommt. So beginnt sie auch langsam den Eisblock Paul aufzutauen und sie lassen immer Privates einfließen. Während es bei Paul außerhalb nur noch schlimmer wird, kann Jeanne ihre Beziehung retten und ist nun komplett zwischen Paul und ihrem Freund hin und her gerissen. Viel zu spät gesteht sich Paul die Liebe zu Jeanne ein und rennt damit ins Verderben.
Es ist schwer diesen Film zu besprechen, da sich bei ihm doch stark die Meinungen spalten. Einige sehen in ihm nicht mehr als einen provozierenden Pseudoarthausfilm, für andere wiederum ist es ein cineastisches Meisterwerk.
Bertolucci spielt in dem Film bewusst mit den menschlichen Urtrieben wie Liebe, Lust und Angst, aber auch mit Abhängigkeit und Unabhängigkeit, und bringt den Film dadurch dem Publikum nahe. So beinhaltet die Beziehung zwischen Jeanne und Paul, welche ja auch der Hauptgrund der Entrüstung war, all diese Punkte und zeigt auf, wie sich Menschen verhalten, wenn sie die Liebe beiseite lassen bzw. sie nicht an sich heranlassen können. Dies wird sehr drastisch durch die teilweise, auch aus heutiger Sicht, leicht abstoßenden Sexszenen projiziert, die dadurch ihre Funktion als stilistisches Mittel unterstreichen. So scheint der Film durch diese Geschichte Kritik an der Gesellschaft und unserem heutigen Leben zu nehmen. Die Oberflächlichkeit vieler Beziehungen (Jeanne und ihr Freund) steht genauso zur Disposition wie das anonyme, lieblose Leben vieler Menschen, die einfach nur auf Befriedigung innerster Triebe bedacht sind, dabei aber das Zwischenmenschliche verdrängen. So scheint Pauls Motivation für diese Beziehung aus seiner gescheiterten Ehe zu seiner Frau her zu rühren, da er den Glauben an wahre Liebe verloren hat und nun mit aller Vehemenz versucht ein Näherkommen oder gar ein erneutes Verlieben in eine Frau zu vermeiden, da er Angst hat, er könne wieder verletzt werden.
So ist die Beziehung jedoch schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt, denn ohne die Liebe kann sie nur schiefgehen. Dies wird von Paul auch erkannt, wobei es jedoch zu spät ist und er Jeanne endgültig verloren hat, da sie all das, was von Bertolucci angeprangert wurde in ihrer Beziehung zu ihrem Freund bereinigen konnte.
Auch schafft sie es, sich aus der Abhängigkeit von Paul zu lösen, andersherum ist es jedoch nicht so.
So könnte man den Film als eine Art Warnung sehen, dass ein Leben ohne die o.g. Elemente aussichtslos bzw. nicht lebenswert sei.
Abgesehen von der, wie ich finde, doch eindrucksvollen Aussage des Filmes, die heute sicherlich noch mehr zählt als zu der damaligen Zeit, findet sich bei der Durchführung des Filmes wenig zu bemängeln. Bertolucci schafft es eine Atmosphäre zu erzeugen, welche schwer zu beschreiben ist. Es hängt immer ein Gefühl von Angst im Raum, teilweise knistert aber auch die Erotik. Es ist ein interessanter Cocktail, welcher durch die hervorragende Arbeit der Kamera und der Beleuchter noch viel mehr verstärkt wird. Wenn die Kamera langsam in einem kaum beleuchteten Zimmer herumfährt, man nicht viel mehr als die nackten Körper der Darsteller sieht, wirkt das schon befremdlich aber auch genauso anziehend. So ist der Film aus visueller Sicht ein riesiger Augenschmaus.
Genau wie die Kamera, ist eigentlich der Film durch eine ruhige Erzählweise geprägt, was leider teilweise zu recht zähen Passagen führt, welche dem Film die meisten Abzüge gibt. So sind es hier besonders die Szenen, die das Privatleben der Beiden näher beschreiben.
Neben den genannten Punkten gibt es noch einen, der den Film zu einem bleibenden Eindruck macht: Marlon Brando.
Seine Darbietung des Paul gehört sicherlich zum Besten, was der Film hervorbringt. Er schafft es wie kein anderer, diesen gebrochenen Mann darzustellen in den einfühlsamen, wie auch in den aggressiven Szenen. Letztere werden mit einer Authentizität vorgeführt, welche schwer zu beschreiben ist. Man muss sich diese Passagen anschauen: seine obszönen Dialoge, die Wutausbrüche, die Gemeinheiten. Das waren noch richtige Schauspieler, die ihr Handwerk hervorragend verstanden haben.
Ihm zur Seite steht die bezaubernde Maria Schneider, die Brando zwar nicht das Wasser reichen kann, aber trotzdem eine sehr starke Performance hinlegt. Besonders in den gefühlvolleren Szenen zeigt sie ihr großes Talent und der Zuschauer leidet förmlich mit ihr mit, wenn sie von Paul ausgenutzt wird.
Ebenso herausragend ist der wunderbare Saxophonsoundtrack, der den kompletten Film unterstreicht. Mit seinen seichten Klängen versprüht er eine Melancholie und Trübsinnigkeit, die perfekt zu den gezeigten Bildern passt, mit seiner Einfachheit aber genauso den Stil des Filmes unterstreicht.
Nun bin ich am Ende meiner Kritik, und ich hoffe, ich konnte annähernd das zum Ausdruck bringen, was ich im Kopf hatte. Sicherlich ist der Film schwierig und wohl eher für ein erfahreneres Publikum geeignet. Auch sollte man etwas Zeit zum „Verdauen“ mitbringen, wodurch er sicherlich nicht für Zwischendurch geeignet ist. Wenn man jedoch Zugang zu ihm gefunden hat, entfaltet sich seine Klasse und ich kann den Film jedem Fan anspruchsvoller Filme empfehlen. Leider verspielt er bei der teilweise langatmigen Inszenierung wichtige Punkte, was ihm letztendlich aber noch starke 8 Punkte einbringt.