Zombies! Zombies überall!
Der standardisierteste Gag von allen ist der, einen richtig miesen Streifen als Horrorfilm zu bezeichnen, gerade wenn er eben nicht aus dem Horror-Bereich stammt. Das Groteske an “Daniel - Der Zauberer” ist der Umstand, dass die ganze Idee dahinter bei näherer Überlegung tatsächlich gruselig wirkt. Es ist gruselig zu sehen, wie auf der Leinwand - trotz des Filmplakats in Regenbogencouleur - mit den Antifarben Schwarz und Weiß gemalt wird. Wie eine gigantische Manipulationsmaschinerie anläuft, im Vorfeld zu behaupten, das ganze Spektrum abzudecken und dann über die gesamte Distanz einen nach dem anderen in einen Zombie verwandelt. Wie es möglich sein kann, eine solche Leere zum Hype zu pushen und ihr auch noch einen Thron zu bauen. Durch den halbdokumentarischen Look zu sehen, dass es Menschen geben muss, die das Ganze auch noch unheimlich ernst nehmen. Es ist gruselig, wie der renommierte Ulli Lommel, immerhin Ziehkind des legendären Rainer Werner Fassbinder, sich von einem solchen künstlich entstandenen “Phänomen” hat inspirieren lassen, seine Kraft darauf zu verwenden - von einem “Phänomen”, das nichts weiter ist als eine riesengroße Luftblase.
Das Hauptproblem hat dieser Film in seinem Gegenstand - Daniel Küblböck. Dieser Appellativ bezeichnet an dieser Stelle nicht die Privatperson Küblböck oder den *hust* Schauspieler. Ich maße mir weder in dieser Kritik noch sonstwo an, ein Urteil über den Menschen zu machen, weil dies erstens nicht hierhin gehört und zweitens sowieso vollkommen uninteressant ist. Das Problem ist aber, dass das angebliche “Phänomen” Küblböck mindestens genauso uninteressant ist - und genau hier liegt Lommels Denkfehler.
Der Regisseur und Schauspieler lebte so lange isoliert von der deutschen Medienwelt in den USA, dass er den Aufstieg des schrägen Eggenfelders durch die Unterhaltungsshow “Deutschland sucht den Superstar” überhaupt nicht live mitbekam und erst bei einem Treffen in einem RTL-Event vor die vollendeten Tatsachen gestellt wurde, die ihn angeblich so sehr faszinierten, dass er einen Film daraus machen musste.
Ich will, nein ich muss Lommel glauben, dass er wirklich etwas darin gesehen hat und rechne seine augenscheinliche Blindheit einfach mal der Tatsache an, dass er nur das Endresultat zu Gesicht bekam, einen von Medien (die Bild selbstverständlich wieder an vorderster Front) bis zum Anschlag verheizten Teenager, der Deutschland die imaginäre Mauer wiederbrachte - nur dass sie diesmal nicht Ossis und Wessis trennte, sondern Fans und Hasser des kleinen, von der Erscheinung her zwitterhaften Männchens mit Brille. Dazwischen gab es nichts. Wie auch? Wer gerne in Desinteresse schwelgen wollte (so wie ich), der wurde vom Boulevard und Mundpropaganda an seinem Vorhaben gehindert. Man musste schon Kontakt zu Freunden und Familie abbrechen, der GEZ kündigen und dann in den Urwald ziehen... und selbst da bestand die Möglichkeit, dass man Kübi während seiner Teilnahme am “Dschungelcamp” über den Weg lief.
Sicherlich mag das ein interessanter Gegenstand sein, etwas, das eine Nation in zwei Teile spaltet. Polarisierung fasziniert immer, und nur aus diesem einen Grund hat es Küblböck überhaupt so weit ins Bewusstsein der Deutschen geschafft. Nur stellt sich die Frage: Hat es da ausgerechnet einen Daniel Küblböck gebraucht, um diese massenpsychologische Agenda in einem Film zu verarbeiten? Definitiv nicht. Lommel hat sich möglicherweise ein vom Denkansatz her interessantes Projekt verbaut, das durchaus Potenzial gehabt hätte... wäre es an einem anderen Gegenstand aufgezogen worden. Nun hat Lommel zwar die Aufmerksamkeit Deutschlands, er wird auch ein paar blinde Fans erreicht haben (die sich aber ganz sicher nicht für einen massenpsychologischen Diskurs interessieren). Nur die Kritiker hat er zu Recht diesmal nicht auf seiner Seite, und den Spott der restlichen Nation hat er mit seinem immerhin kühnen Vorhaben, das muss man ihm lassen, auch auf sich gezogen. Der Anspruch, etwas zu erzählen, seelenlos eingetauscht gegen reine Provokation - Ist es das wirklich wert?
Denn Fakt ist, dass ein Daniel Küblböck nur die absurde Spitze eines popkulturellen Auswuchses ist, der eigentlich im Keim hätte erstickt werden sollen. Die Quotenshow um das Niedermachen und Abfeiern von begabten und weniger begabten SängerInnen, die sich eine Karriere ausrechnen, ist per se schon ein Verbrechen am Geschmack und eine Beleidigung für alle ernsthaften Künstler, die niemals den Durchbruch schaffen werden. Dass diejenigen, die es dann tatsächlich nach oben geschafft haben, versuchen, sich auch mit aller Kraft dort zu halten, kann man ihnen nicht verübeln - wenn überhaupt, dann denjenigen, die ihnen dazu die Chance geben. Und das trifft nun nicht nur auf “Deutschland sucht den Superstar”, das “Dschungel-Camp” oder die “Bild” mit ihren Gurkenlaster-Berichten zu, sondern auch auf “Daniel, der Zauberer” - wenn auch hier der Verdacht nahe liegt, dass es diesmal nur ein Begleiteffekt ist und tatsächlich so etwas wie künstlerische Ambitionen im Vordergrund standen.
Derer sind leider nicht mehr viele in dieser Absurdität von Film zu sehen. Vielmehr gehört Lommel für so ziemlich alles, was er dazu beigetragen hat - u.a. als Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler (Daniels Zaubermeister) - ganz bitterböse bestraft.
Natürlich muss man alles nach Trash-Kriterien beurteilen. Digicam-Optik trifft auf Laiendarsteller, alleine das reicht schon, der Pose jegliche Seriosität zu nehmen. Und irgendwie wirkt es wie Selbstverteidigung. Freilich ist all das bewusst auf schlecht gekämmt, nach dem Motto: “Wenn wir erst gar nicht versuchen, professionell zu sein, kann uns auch keiner vorwerfen, dass wir es nicht geschafft haben”. Insofern wird sich Lommel also durchaus seiner Limitierungen durch den selbst auserwählten Gegenstand bewusst gewesen sein, auch wenn all das später mit den Begriffen “semi-dokumentarisch” und “Authentizität” rechtfertigt worden ist. Immerhin spielt Kübi sich selbst, und wo er nicht einmal sein eigentliches Metier beherrscht (muss ich jetzt hier noch ein herzliches “Ist nur meine Meinung” dahinter setzen?), wie soll er da auch nur ansatzweise schauspielern können? Andererseits hätte ihm eine wundervolle Trashfilm-Karriere zuteil werden können, wäre er nicht auf die Hure “Superstar” reingefallen, denn selten sah ich jemanden in einer Hauptrolle derart mies agieren - alleine aufgrund der Tatsache, dass Küblböck unter anderem einen von Selbstzweifeln geplagten Kerl spielen muss, dem die Verantwortung über den Kopf wächst und der schließlich gar gekidnappt wird und kurz vor seiner Hinrichtung per Kopfschuss steht. Kübis schauspielerische Antwort auf diese dramatische Szene? Ein keckes Lächeln. Sein Glück, dass auch alle anderen Rollen mit Amateuren besetzt wurden, darunter diverse Angehörige von Hauptdarsteller und Regisseur. Insofern könnten masochistische Trash-Extremgänger sogar auf ihre Kosten kommen.
Aber im Prinzip ist der komplette Ansatz ein Kunstwerk an Abwehrhaltung in Vollendung. Besonders stolz ist Lommel nämlich auf die Tatsache, dass die schärfsten Kritiker Küblböcks angeblich im Voraus entschärft werden, weil der Film kein reines Aufzählen der positiven Eigenschaften des Zaubermännchens sei, sondern ebenso offen mit den negativen Aspekten umgehe - repräsentiert durch die drei Killer, die sich in den Kopf gesetzt haben, den bayrischen Superstar umzunieten, und zwar auf einem Konzert, nachdem sie sich vorher als Riesenfans in die unmittelbare Nähe gebracht haben.
Fraglich ist nun, wo Lommel glaubt, den Kritikern die Waffen genommen zu haben. Wenn er nämlich meint, die würden sich mit drei komisch auf Gothic geschminkten Typen identifizieren, die den ganzen Tag vor der Glotze sitzen, das Kübi-Konzert verfolgen und ihm Hasstiraden entgegenwerfen, dann hat er sich wohl geschnitten. Derart überzeichnete Figuren werden automatisch ebenso zur Karikatur wie Daniel selbst; hätte Lommel da irgendeinen Effekt erzielen wollen, hätte er Identifikationsfiguren erschaffen müssen.
Ansonsten ist es eine glatte Lüge, dass hier angeblich das komplette emotionale Spektrum aufgefahren wird. Die Inszenierung ist genau wie das Drehbuch eindeutig darauf ausgelegt, alle Menschen davon zu überzeugen, was für ein toller Kerl Daniel eigentlich ist - menschlich wie künstlerisch. Und hier kommt der Grusel ins Spiel: scharfe Kritiker und zuletzt gar die Attentäter werden allesamt von der “positiven Energie” infiziert und finden plötzlich alle den Kleenen unheimlich dufte. Ich sag’s ja: Zombies. Romeros Filme haben im Prinzip nicht anders funktioniert, nur diesmal werden die Leute eben nicht gebissen, um zu einem von ihnen zu werden, sondern sie werden mit Kübls magischem Zauberblick angeschielt, bis sie nicht mehr anders können als ihm ihre zerrüttete Seele auszuschütten und zu Fans zu werden. Übelste Propaganda, die Gottseidank nicht funktionieren wird.
Lommels Inszenierung ist leider ein anti-experimentelles Trauerspiel - zumindest wirkt es so durch die grässlichen Bilder, die dem geneigten Zuschauer hier serviert werden. Klischees werden wie aus dem Lehrbuch aufgefahren: Sinnloser Parallelschnitt hier, lahmarschige Schnittmontage da. Alles garniert mit ausufernden Ausschnitten aus Küblkonzerten, die mitunter in ihrer Selbstpräsentation an Bollywood erinnern und vor allem die “positive Energie”, den dümmsten McGuffin seit seiner Erfindung, transportieren sollen. Wer also auf den Regisseur als letzte Konstante gesetzt hat, den Film nicht ganz ins Bodenlose rutschen zu lassen, der sollte seine Hoffnungen lieber aufgeben und sich anderen, wichtigeren Dingen widmen.
Was das jetzt überhaupt alles sollte, weiß ich nicht. Lommel hat sein Talent durch eine fatale Fehleinschätzung an einen Gegenstand verschwendet, der es wohl kaum wert ist, noch weiter beachtet zu werden. Es hat sich wie zu erwarten herausgestellt, dass das “Küblböck-Phänomen” nicht einmal annähernd über genügend Substanz verfügt, um dem eigentlichen Phänomen dahinter, nämlich der Polarisierung der Masse, Rechnung zu tragen. Lommel ist also ebenso einer Fata Morgana auf den Leim gegangen wie die Millionen Zuschauer, die den Kermit des Music Business bis ins “Superstar”-Finale und darüber hinaus gefeiert haben. Warum das alles, wird zumindest mir auf ewig ein Geheimnis bleiben.