Schläuche aus Wind und Regen weisen dem eingeschüchterten Amerikaner üblicherweise den Weg zum transsylvanischen Schloss, auch dem Briten flattert der Trenchcoat beim Passieren apokalyptischer Matte Paintings so lange um die Beine, bis er sich wie von selbst zum verfallenen Herrenhaus bewegt. Diese Wetterphänomene von der westlichen Seite des Globus sind auch der Toho im fernen Japan nicht entgangen. Wenn es noch einen Beweis brauchte für den großen Einfluss, den der englischsprachige Vampirfilm der 30er und 60er Jahre auf das Weltkino hatte, dann liefert ihn „The Vampire Doll“, der Auftakt einer losen Vampir-Trilogie nach bestem britisch-amerikanischen Vorbild. Frei nach dem Motto: Egal ob USA oder England; Hauptsache Asien.
Auch im ländlichen Umfeld Tokios spielt das Duett aus Wind und Regen die erste Geige, und das nicht nur in der Einführung, sondern über den kompletten Film. Von außen prasseln die Tropfen aufs Dach, durch die Eingeweide der Gewölbe haucht ein Wehklagen, das ganz bewusst dem Wimmern einer verzweifelten Frau nachempfunden ist. Die fast ausschließlich im Halbdunkel gefilmte Landschaft, die als solche durchaus eine lokale Note einbringt, ist stets überzogen mit der Gothic-Patina der Hammer-Studios. Selbiges gilt für das Anwesen, dessen äußere Architektur sich fast bis zur Unsichtbarkeit in die buschigen Wipfel des Waldes schmiegt. Im Inneren begrüßt die Hausherrin den Gast wie einst Dracula von der Treppe aus, allerdings wirkt alles eine Nummer kleiner als bei Universal. An der Wand hängen Gemälde, die auch von den Sets der Corman’schen Poe-Adaptionen stammen könnten. Und der Besucher, der in der Exposition über den Unfalltod seiner Freundin aufgeklärt wird, wandelt bald darauf wie von Sinnen durch die Gänge, streift altertümliche Requisiten, blickt durch Schlüssellöcher und stößt dann endlich auf die charakteristisch japanische Note: Eine übernatürlich wirkende Gestalt, die wie Zimmerdekoration in der Kadrage Berücksichtigung findet und sich vom Hintergrund lediglich durch ihre blasse Färbung abhebt.
Gleichwohl ist auch diese Inszenierung des Vampirischen, das dank Abwesenheit von Fangzähnen oder Kreuzen eigentlich nur suggestiv als solches bezeichnet werden kann, streng genommen kein japanisches Eigenmerkmal, auch wenn die Erscheinung der vermeintlich Toten mit ihren unheimlichen Kontaktlinsen und ihrem blassen Teint eine komplette Historie voller Rachegeister aufleben lässt, die ihrerseits spätestens mit „Ringu“ das westliche Kino beeinflusst hat. Fast zeitgleich ließ der Franzose Jean Rollin in Werken wie „La Vampire Nue“ oder „Le Frisson des Vampires“ seine untoten Damen in Standuhren posieren oder sie materialisierten sich einfach von einem Schnitt zum nächsten in der Dunkelheit. Dann natürlich Mario Bava, in dessen „Operazione Paura“ die Gestalt in Weiß zu einem Schlüsselbild wurde. Selbst Hitchcocks Psychothriller hallen nach, wo das Übernatürliche mit dem Realismus kollidiert. Die wenigen Szenen, in denen sich „The Vampire Doll“ nicht wie ein jenseitiger Wachtraum anfühlt, in denen er ausnahmsweise zur Nüchternheit des Gegenwärtigen findet, da meint man, die ersten Fäden des Drehbuchs zu „Psycho“ gesponnen zu bekommen; kein Zufall, dass diese Eindrücke in einem waschechten Zitat aufgelöst werden, nur eines von mehreren, mit denen sich der Film ans westliche Kino haftet.
Die von Regisseur Michio Yamamoto erbrachte Eigenleistung bleibt so gesehen recht überschaubar. Und dennoch fühlt sich seine Arbeit nicht so leer und bedeutungslos an wie man es von manchem Epigonen kennt. Eine Antwort könnte sein, dass „The Vampire Doll“ trotz seiner offensichtlichen Rest-der-Welt-Referenzen innerhalb des japanischen Genre-Kinos eben doch wieder eine Kuriosität darstellt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich handelt es sich eben auch um eine mit sichere Hand inszenierte Arbeit, die sowohl Kamera als auch Musik, Dialog und Schauspiel stilvoll zu leiten weiß. Der Verzicht auf sprunghafte Schreckmomente, Theatralik oder bedeutungslose Wasserfälle aus Dialogzeilen erlaubt die Bedeutungssuche im Blätterrascheln der umliegenden Baumgruppen und die sinnhafte Wortbildung im Wehklagen des Windes. Yamamoto benötigt erstaunlich wenig, um den Zuschauer fest an die Geschichte zu binden. Drastik erlaubt er sich erst mit dem Schlussakkord. Bis dahin bannen leere Räume und Geister in toten Winkeln, während das investigative Treiben nach Vorbild der Antihelden aus den Geschichten Poes oder Lovecrafts schichtweise an der Auflösung der Mysterien arbeitet, die sich hinter dem banalen Vorwand eines Autounfalls verbergen.
„The Vampire Doll“ ist also ein Film voller Reize, obwohl er im Grunde nichts Sinnliches an sich hat. Keine Erotik wie bei Rollin, keine prächtigen Farben wie bei Bava, kein Suspense wie bei Hitchcock und keine Exzentrik wie bei Hammer. Trotzdem sind all diese Inspirationen wie noch einige andere in den Fußnoten eines Films vertreten, der sein Heil in der Imitation sucht, um etwas auf merkwürdige Weise Besonderes daraus zu gewinnen, das eigentlich gar nicht mal so charakteristisch für irgendetwas ist. Erst recht nicht für den japanischen Horrorfilm.
(6.5/10)