“Womit habe ich das verdient?”, fragte der Quotenschwarze, als er von einer Anaconda durch die Pampa gejagt wurde.
Das kann ich beantworten. Jede Figur, die dermaßen klischeehaft zum x-ten mal die Horrorfilm-Verhaltensweisen schabloniert, hat es verdient, zu sterben. Und in diesem Fall schlägt die Gerechtigkeit noch viel zu selten zu.
Anacondas. Nur ein Konsonant steht zwischen dem Original von 1997 und seinem etwas überraschenden Sequel. Der Effekt: Eine Pluralisierung, was gleichzeitig eines der typischsten Versprechen einer Fortsetzung ist. Mehr Monster, mehr Tote, mehr Action, mehr Spannung.
Wer sich dabei jetzt aber an die ersten beiden “Alien”-Teile erinnert fühlt, ist selbst schuld. Lieber sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass schon “Anaconda” grandioser B-Schrott war, der aber bestens unterhalten hat. Dann kann eigentlich nix mehr schiefgehen - oder?
Mit weniger Starpower versehen als der Jon Voigt/Ice Cube/Jenny Lopez-Film konnten hohe Erwartungen nämlich eigentlich nicht das Problem sein. Höchstens verwirrend war der Umstand, dass “Anacondas” es tatsächlich ins Kino geschafft hat und nicht à la “Mimic 2 & 3” in die Videotheken verbannt wurde. Aber ansonsten hat niemand genial animierte Schlangen erwartet, niemand hat auf eine brillante Story gehofft, niemand ging ins Kino, um exquisite Schauspielkunst erleben zu dürfen. Und keine Sorge, von den genannten Punkten wird auch nichts geboten. Alles, was man sich von dem Film erhoffte, damit er mit seinem Vorgänger gleichauf zog, war Unterhaltung. Und die ist leider nur bedingt gegeben.
Schematisch beginnt jedenfalls alles wie gehabt. Ein Prolog zeigt mal wieder am Beispiel eines menschlichen Opfers (damals Danny Trejo, jetzt ein unbekannter Einheimischer), wie gefährlich die Schlangen sind - inklusive einem Tiger, der sich vor Angst ins Fell macht. Ein abrupter Schnitt führt uns in die zivilisierte Welt, mal wieder unterlegt mit dem penetranten Gehupe des Straßenverkehrs, das nach den vorhergehenden Naturaufnahmen die Andersartigkeit des Stadtlebens verdeutlichen soll. Neue Ideen wären mal willkommen.
Kurz darauf lernen wir langsam die Crew kennen, die im folgenden als Schlachtplatte für das Dschungelgetier dient. Hier wird klar, dass Stars auch vollkommen unnötig sind, denn unbekannte Gesichter geben ein ebenso buntes Potpourri. Man war sichtlich bemüht, keine zwei identischen Charaktere auf Blumenjagd gehen zu lassen.
Apropos Blumen. Das Hauptmotiv für die Urwaldreise ist ein derart offensichtlicher McGuffin, dass es sich nur um ein B-Movie handeln kann. Optik und Location wirken zwar durchweg professionell, aber spätestens, als von einer lebensverlängernden Orchidee die Rede ist, sollte man aufhorchen. Ich begrüße diese unsinnig aufgezogene Handlung sogar, denn so kann niemals der missverständliche Eindruck entstehen, dass es sich um einen ernsthaften Horrorfilm handelt. Wobei man von einem Horrorfilm sowieso nicht reden kann, da Schockeffekte vollkommen auf der Strecke bleiben. Es ist eher eine Art Abenteuerfilm mit Monster-Beteiligung.
In der ersten Hälfte wird noch ganz frech der Handlungsverlauf von “Anaconda” kopiert. Nach dem Prolog sucht man sich einen erfahrenen Bootsmann (gut, auf Jäger Jon Voigt traf man erst auf dem Amazonas) und schifft durch den Fluss (vielleicht auch in den Fluss, aber das geschieht dann im Off). Als zusätzliches Nerven-Zuckerli begleitet ein kleines Äffchen die Crew. Och, wie süß. Wenn Herr Nilsson sich im Wald verirrt und auf die Schlange trifft, ist das für den Zuschauer natürlich noch viel schlimmer, als wenn ein böses Menschlein verputzt wird. Gerade, wenn man das Original gesehen hat und weiß, wie lecker kleine Äffchen für Anacondas sind. Das ist natürlich auch ein abgegriffenes Mittel des Horrorfilms, welches nur normalerweise in urbanen Horrorgeschichten mit Hunden und Katzen ausgeführt wird. Hier geht’s dann halt was exotischer zu, aber es kann nicht verleugnet werden, dass sich “Anacondas” jeglicher Mittel bedient, die das Genre üblicherweise so hergibt.
Ebenso geben sich die Dialoge innerhalb der Gruppe. Die eine Hälfte heult, weil sie nach Hause will, die andere sagt in ihrer unendlichen Coolness kein Wort, und einer geht mal wieder über Leichen und hat nur Dollarzeichen in den Augen. Die ganze Chose ist ein Schmierentheater erster Güte und wird unterlegt mit den nervigsten Klischeeverhalten, die man sich vorstellen kann. Der anfangs angesprochene Quotenschwarze ist nur die Spitze eines Eisberges.
All das ist aber noch zu vertragen, wenn denn nur Action und Atmosphäre stimmen. Letztere stimmt dann tatsächlich auch halbwegs. Spannung, die die Luft zerteilt, sucht man zwar vergebens, aber die Location ist sehr schön anzusehen und übertrifft stellenweise sogar den Vorgänger. Es werden zwar nur selten weitflächigere Landschaftsaufnahmen gezeigt, aber es gibt wieder saftiges Grün mit viel Kleingetier, das für Vielfalt sorgt. Nur etwas mehr Regen hätte es gerne sein dürfen.
Aber ausgerechnet mit Action hapert es. Ausgerechnet mit dem, was uns der Titel unterschwellig suggeriert. Mit dem Hinweis auf mehrere Schlangen in der Paarungszeit erwartet man auch, von einem Anaconda-Overkill erschlagen zu werden. Statt dessen zeigen sich die eigentlichen Attraktionen des Films etwa so oft, wie sich ein wildes Tier in Gefangenschaft den Zoobesuchern zeigt. Die Angriffe der Schlangen sind darüber hinaus, wie es der Zahn der Zeit erfordert, viel zu schnell geschnitten; wahrscheinlich auch in dem Wissen, nicht gerade die beste Animationsarbeit geleistet zu haben. “Anaconda” traute sich dagegen durchaus, das computeranimierte Vieh mal längere Zeit auf einmal zu zeigen. Ein Verbergen der schlechten Animationsarbeit ist da meiner Meinung nach überhaupt nicht notwendig, denn solange man sich des B-Charakters des Films bewusst ist und die gezeigten Bilder dynamisch aussehen, macht das überhaupt nix. Anaconda Nr. 1 konnte sich zeitweise wundervoll präsentieren. Die Unterwasserschlange mit dem Bauch in Menschenform war ein Bild für die Götter, der Angriff auf den Kahn bei Nacht wirkte wie der furiose Angriff eines einarmigen Octalus, und die Attacke in der verlassenen Holzhütte sah trotz fehlenden Realismus sehr spektakulär aus; ich bin fast geneigt zu sagen, wie die Light-Version der finalen Raptoren-Attacke auf den T-Rex in “Jurassic Park”. Solche denkwürdigen Szenen fehlen in der Fortsetzung leider vollends. Es gibt ein paar Verfolgungsjagden, die in ihrem Schnitte- und Verwischungswahn den Autoverfolgungsjagden der Bourne-Filme Konkurrenz machen. Ekliges wie das Verschlingen eines Menschen bei lebendigem Leibe wird ebenfalls vermieden. Nur das Bild einer toten Schlange mit aufgeschlitztem Bauch, aus dem die Beine des im Prolog verspeisten Opfers herausragen, kann einen ähnlichen Ekel erzeugen. Ansonsten gefällt aus Action-Sicht noch die Szene mit dem Wasserfall, aber das war’s auch schon. Die Orchideen, das eigentliche Ziel, kommen gar nicht mehr zum Vorschein; dabei hätte ein riesiges Orchideenfeld den perfekten Untergrund gegeben für eine finale Schlacht.
So ist “Anacondas” ein optisch tadelloses, inhaltlich aber vollkommen misslungenes Sequel, das an den eigenen Grenzen des Machbaren scheitert. Die teilweise schon unverfrorenen Klischees mag man noch verzeihen, aber nur mit deutlich angehobener Action hätte man das Interesse des Zuschauers gewinnen können. Fakt ist aber, dass “Anaconda” die erinnerungswürdigeren Schlüsselbilder zu bieten hatte, an denen es hier trotz höherer Schlangenzahl mangelt. Zumindest vom Aufwand her gegenüber “Mimic 2" und vor allem “3" die bessere Wahl; trotzdem setzt man lieber aufs Original oder auf Renny Harlins Haischocker “Deep Blue Sea”.