Ob J. Edgar Hoover nun übertrieb oder nicht, als er die Barker-Bande als die größten Verbrecher in der Kartei des FBI bezeichnete – Kate „Ma“ Barker und ihre Söhne haben es jedenfalls zu schillernden Personen der Popkultur geschafft. Selbst wenn man mit ihrem Lebenslauf nicht vertraut ist, so ist man doch bestimmt vertraut mit dem Bild einer dominanten älteren Lady, die ihre einfältigen Söhne bemuttert und zu Verbrechen anstiftet. Ein solches Bild hat sich als archaisches Muster im allgemeinen Bewusstsein festgesetzt. Man würde Parallelen ziehen zu Comic-Konstrukten wie den Panzerknackern in „DuckTales“ oder den Daltons aus den Lucky-Luke-Comics, die unter matriarchaler Führung die Umgebung unsicher machten und im Zweifelsfall darauf vertrauen konnten, dass ihre Ma sie wieder aus dem Schlamassel befreien würde, in den sie sich geritten hatten. Bei der popkulturellen Verarbeitung der Barker-Story geht es also vielleicht weniger um die Verbrechen selbst als vielmehr um das merkwürdige Familienband, unter dessen Banner sie begangen wurden.
Was konkret den Filmbereich angeht, besetzte Roger Corman mit seiner sehr freien Barker-Adaption „Bloody Mama“ keineswegs eine unberührte Nische. So erschien bereits 1960 der Neo-Noir „Die gnadenlosen Killer“ über die Barker-Familie, gedreht von Bill Karn, der in seiner gerade mal ein Jahrzehnt umfassenden Regie-Karriere hauptsächlich auf FBI- und Kriminalgeschichten abonniert war. Auch Karns „FBI räumt auf“ (1957) behandelt neben anderen Kriminellen derselben Ära bereits Ma Barker. Ferner befassten sich verschiedene TV-Serien mit den Barkers, darunter auch die Krimi-Serie „Die Unbestechlichen“, basierend auf der Autobiografie von Prohibitionsagent Eliot Ness, die in den 80er Jahren noch einmal Grundlage für die gleichnamige Verfilmung von Brian de Palma werden sollte. 1967 erschien zudem Arthur Penns „Bonnie und Clyde“, der heute als Schlüsselwerk für den Beginn der New-Hollywood-Ära verstanden wird und seinen Kult Eigenschaften zu verdanken hat, die auch den Barkers unterstellt werden können. Es ist die unorthodoxe Verbindung zwischen den Ganoven, die wie ein Brandbeschleuniger auf die begangenen Straftaten einwirkt und im Zuge aufkochender Emotionen zwangsläufig in einer Tragödie enden muss. Der Stoff im Grunde, aus dem Kassenschlager gemacht sind.
Corman selbst hatte schon 1958 als Regisseur positive Erfahrungen mit der Epoche der Prohibition gemacht, als er mit Charles Bronson in der Hauptrolle die Geschichte von „Machine Gun Kelly“ verfilmte. Es verwundert also nicht, dass er zunächst mit „Chicago-Massaker“ (1967) und dann schließlich mit „Bloody Mama“ dorthin zurückkehrte, wo er erste Kritiker-Lorbeeren einheimsen konnte. Später produzierte er außerdem noch „Big Bad Mama“ (1974) von Steve Carver, der die „Bloody Mama“-Prämisse praktisch mit einer rein weiblichen Besetzung variiert.
Shelley Winters übernimmt in „Bloody Mama“ die Hauptrolle. Eine entwaffnend logische Wahl, hat sie doch in der trashigen TV-Serie „Batman“ bereits eine auf Mrs. Barker basierende Schurkin namens „Ma Parker“ gespielt, die ihre nicht sehr hellen Kinder dazu anstachelte, die lästige Fledermaus an die Wand zu nageln, wobei sie auch selbst mal gerne zur Maschinenpistole griff. Unter Corman kann sie nun zeigen, ob sie die Figur auch in einem seriöseren Ambiente trifft. Ihr zur Seite stehen Don Stroud als Sohn Herman, Robert Walden als Sohn Fred, Clint Kimbrough als Sohn Arthur und ein blutjunger Robert De Niro noch ganz am Anfang seiner Karriere als Sohn Lloyd. Vier blonde Jungs in Latzhosen und eine emanzipierte Frau mit den tröstlichen Rundungen einer fürsorglichen Mutter, das ist der unzertrennliche Kern von Cormans Gangsterballade.
Damit stemmt er sich bewusst gegen die aus der realen Geschichte überlieferten Fakten, um eine eigene dramaturgische Linie fahren zu können. Nicht filmtauglich genug wäre es wohl gewesen, wenn das Drehbuch die Wege der Bandenmitglieder noch mehr hätte auseinanderdriften lassen, so wie es in Wirklichkeit geschah. Zusammen bleibt, was zusammen gehört, ist nicht nur das Motto der Matriarchin, sondern auch der narrativen Perspektive dieses Films, ganz egal, was Historiker dazu sagen. Corman legt höchsten Wert darauf, inzestuöse Strukturen innerhalb der Familie zu zeichnen und nutzt dabei die Verschiebungen der Machtverhältnisse als essenzielle Plot Points.
Obwohl im ersten Drittel einige Zeitsprünge vollzogen werden, sind der Vorgeschichte nur wenige Sequenzen gewidmet. In einem Prolog von weniger als zwei Minuten Laufzeit wird die Persönlichkeit der Protagonistin mit dem angedeuteten Trauma der Vergewaltigung durch die eigenen Brüder erklärt, was in dem jungen Mädchen den Wunsch weckt, eine eigene, harmonische Familie zu gründen (mit Kindern, die alles für ihre Mutter tun würden). Ihr späterer Ehemann George (Alex Nicol) wird in einer herzzerreißend kurzen Szene mit einer Mischung aus Mitgefühl und Kälte brutal zurückgelassen. Doch so schnell diese Momente auch abgehandelt sind, vergessen bleiben sie nicht: Immer wieder erinnern sich die Söhne an die traurigen blauen Augen ihres Vaters und treffen aufgrund dieser Erinnerung auch Entscheidungen, die einen Einfluss auf alles Weitere haben werden.
Natürlich ist Corman vor allem an aufregenden, bisweilen sogar reißerischen Entwicklungen interessiert, da der Unterhaltungswert offensichtlich einen höheren Stellenwert genießt als ein historisch akkurates Portrait der Vergangenheit. Nur, ausbeuterisch oder gar geschmacklos wird er deswegen nicht. Die angedeuteten Perversionen, die das Handeln der degeneriert auftretenden Barkers bestimmen, bleiben eben genau dies: Andeutungen, die zur einen oder anderen Seite hin ausgelegt werden können. Kein Zweifel besteht lediglich daran, dass in der Jugend dieser Frau etwas kaputtgegangen ist und sie es durch ihre Erziehung an die nächste Generation übertragen hat. Der kurze Augenblick zu Beginn des Films kann nicht ausreichen, um jegliche Verhaltensweisen von ihr oder ihren Kindern zu erklären, doch der Einblick in den Alltag reicht aus, um zu veranschaulichen, wie sich das Leben der normalen, in die Gesellschaft integrierten Mitmenschen Tag für Tag, Verbrechen für Verbrechen von den Barkers entfernt und wie der protektionistische Mantel immer dicker, die Schlinge immer enger wird.
Dieser Effekt tritt auch ein, weil die Dialoge fast ausschließlich auf die primitive Verständigung der Brüder untereinander und die verblendeten Kommandos des Oberhaupts konzentriert bleibt. Es gibt keine Perspektivenwechsel, in denen zum Beispiel ein FBI-Agent ermittelt und dabei intelligente Schlussfolgerungen zieht, die im Kontrast stehen zur unreflektierten Hinterwäldler-Aura der Familie. Man bleibt gewissermaßen in der Barker-Blase und bekommt von der Außenwelt nur das mit, was angespült wird. Dazu gehört beispielsweise ein naives Mädchen, das sich arglos dem Versteck der Bande schwimmend im See nähert und daraufhin mit Lloyd flirtet – für Robert De Niro die Gelegenheit, eine beeindruckende Demonstration von Einfältigkeit zu liefern. Dazu gehört auch eine Gefängnissequenz, in der Fred die Bekanntschaft mit dem bisexuellen Insassen Kevin (Bruce Dern) macht, der sich später der Bande anschließt. Und vor allem gehört dazu eine Episode um die Entführung eines Bankers zwecks Lösegeld. Pat Hingle brilliert in der Rolle des Entführten, indem er seine Entführer mit psychologischem Feingefühl einen Blick auf deren eigene Abgründe werfen lässt – einer der filmischen Höhepunkte, in denen auch und gerade die Rolle von Shelley Winters einen Knackpunkt überschreitet.
Zur Unterstützung des Effekts dudelt der hauptsächlich aus Folk, Country und Gospel bestehende Soundtrack ohne Höhepunkte vor sich hin, beinahe so, als würde permanent ein Radio laufen. Das ist manchmal etwas anstrengend, führt aber zu einem äußerst spannenden Subtext, der die Tragödie langsam offenlegt, ohne sie mit ausholenden Gesten betonen zu müssen. Völlig frei von Eitelkeit verwehrt sich der Film trotz einiger berührender Augenblicke dem Pathos, das „Bonnie und Clyde“ noch ausgezeichnet hatte, um eher auf eine Erkenntnis zu setzen, die sich irgendwo zwischen lautstarken Familienversammlungen und einem letzten Schussgefecht mit der Polizei entfaltet. Dieses wiederum ist etwas merkwürdig geschnitten (wo kommen da auf einmal die picknickenden Schaulustigen her), aber durchaus packend in ihrer Chronologie und neben einer Autoverfolgungsjagd und einem in Flammen aufgehenden Oldtimer wohl so ziemlich die einzige Action, die man zu erwarten hat.
Für einen Low-Budget-Film fällt außerdem die Ausstattung beachtlich aus. Zwar verschwinden die aufkeimenden 1970er Jahre nicht völlig hinter der Illusion der Prohibitionszeit, aber Kostüme, Kulissen, Accessoires und Vehikel bemühen sich um Authentizität, auch gerade was den Schauplatz des letzten Schusswechsels angeht. Gleichwohl sind natürlich keine großen Stadtpanoramen oder dergleichen zu erwarten, da sich ein Großteil der Story im Hinterland abspielt, verborgen von Wäldern und Wiesen.
Zu einem Gangster-Epos fehlt sicher einiges, zu einer ernsthaften Biografie über Ma Barker ohnehin, aber „Bloody Mama“ ist zumindest gespickt mit menschlichem Drama und ausweglosem Schicksal. Corman erschafft nur eine kleine Welt, diese involviert aber durch ihre tiefen Abgründe, die sich hinter der Fassade des bedingungslosen Familienzusammenhalts eröffnen. Die Grenzen des Groschenromans werden immer wieder dann gesprengt, wenn Dinge lediglich angedeutet anstatt gezeigt werden. Irgendwie verständlich, dass dieser Film von der Kritik weitgehend gestraft wurde und er dennoch vom Macher selbst offenbar sehr geschätzt wird.