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Dustin Hoffman spielt einen jungen Collage-Absolventen, der ein Verhältnis mit seiner verheirateten und wesentlich älteren Nachbarin, gespielt von Anna Bancroft, beginnt. Als dann jedoch ihre Tochter wieder nach Hause kommt und sich Hoffman in diese verliebt will Bancroft ihr alles erzählen.

Meiner Meinung nach gibt es keine zeitlosen Klassiker, da jene Klassiker, die in ihrer Zeit Grenzen gebrochen haben, Neues probiert haben und einen Meilenstein gesetzt haben in der Folgezeit dutzendfach kopiert und teilweise auch perfektioniert wurden, allerdings gibt es Klassiker, deren Schauwert langsamer verfällt, als der anderer Klassiker und "Die Reifeprüfung" gehört definitiv dazu. In "Die Reifeprüfung" wurden erstmals moralische Grenzen gebrochen, so wurde die Beziehung einer verheirateten Frau mit einem wesentlich jüngeren Mann erstmals vorurteilsfrei auf die Leinwand gebracht. Auch wenn Teenie-Filme wie "American Pie" noch wesentlich weiter gegangen sind, zumal "Die Reifeprüfung" wirklich alt ist (Dustin Hoffman bekam den Golden Globe als bester Nachwuchsdarsteller) kann man sich Mike Nichols Meisterwerk immer noch ansehen, zumal es für jeden Fan von Filmen zum Pflichtprogramm gehören sollte.

Aber nicht nur bei der Story wurden neue Maßstäbe gesetzt, auch Regisseur Mike Nichols trug seinen Teil zu diesem unvergessenen Meisterwerk bei. Erstmals wurde Popmusik, in diesem Fall von Simon and Garfunkel, in einem Film verwendet, um in den einzelnen Szenen gezielt die merkwürdig melancholische, aber doch emotional fesselnde Atmosphäre aufzubauen, die die meiste Zeit über besteht. Darüber hinaus gelingen Nichols viele Szenen mit enormer Ausdruckskraft, wie z.B. die Swimming-Pool-Szenen, in denen Hoffman entspannt und vor sich hinträumt, oder die eine oder andere sinnlich erotische Szene. Nichols baut darüber hinaus konstant Dramatik auf, die er in den letzten Minuten hervorragend entlädt, womit der Film zum Ende hin sogar spannend wird. Was "American pie" und Co bei dieser Liebes-Komödie jedoch nie übertreffen konnten und angesichts ihres Niveaus wohl auch nie toppen werden, ist der überaus amüsante und spitze Wortwitz, den auch Alt-Meister Woody Allen nicht besser hätte inszenieren können. Die Dosierung der Gags stimmt ebenfalls, womit der Film die ganze Zeit über den nötigen Ernst und das nötige Einfühlvermögen waren kann. Mit Filmen wie "Hautnah", "Die Waffen der Frauen" und "Der Krieg des Charlie Wilson" blieb Nichols seinem Genre auch weiterhin treu.

Die Story ist ebenfalls hervorragend und besticht durch tragische, amüsante, einfühlsame und satirische Momente. Mit einer vielschichtigen Charakterkonstruktion und einer vorurteilsfreien Inszenierung der Affäre einer verheirateten Frau hat der Film durchaus Tiefe und nimmt nebenbei mit ein paar sarkastischen Momenten, die Zügellosigkeit der jungen Generation aufs Korn, zeigt sich aber dennoch verständnisvoll und ist zu keinem Zeitpunkt verletzend. Das Beziehungsdreieck um Hoffman ist ebenfalls gut dargestellt und durch die starke Charakterkonstruktion ist jederzeit nachvollziehbar, warum er wie handelt. Außerdem hat das Thema nach wie vor Aktualität. Trotz dem vielschichtigen Einblick in die Welt eines Heranwachsenden und dessen sexuelle Entwicklung ist die eigentliche Handlung, der Plot, nicht sonderlich komplex und schnell erzählt, umso beachtlicher ist es, was Nichols daraus macht. Und genau hier, bei der Handlung liegt das Problem des Films. Damals konnte die Story um einen Jungen, der sich in die Tochter seiner Affäre verliebt noch überraschen, vielleicht sogar schockieren, aber heute, über vierzig Jahre später ist die Story sehr vorhersehbar, da eben diese Handlung nicht zeitlos ist und dutzendfach kopiert wurde. Die Story ist damit hervorragend, aber nicht so zeitlos wie der Rest des Films.

Allein um den jungen, erstmals für den Oscar nominierten und mit dem Golden Globe als bester Nachwuchsdarsteller prämierten Jahrhundertdarsteller Dustin Hoffman in seiner ersten größeren Rolle zu sehen, sollte man sich den Film nicht entgehen lassen. Wie später in "Wag the Dog" oder "Mad Ciy" sieht man schon hier stellenweise seine einzigartige Eigenironie und seinen Sarkasmus. Hoffman spielt seine Hauptrolle sehr einfühlsam und überzeugt damit auf ganzer Linie und wurde zu Recht mit "Die Reifeprüfung" über Nacht zum Star. Anna Bancroft ist, wie man es von ihrer Rolle erwartet lasziv, herrisch und sarkastisch und liefert damit eine hervorragende Vorstellung ab und zeigt nach "The Miracle Worker" und "The Pumkin Eater" erneut, dass sie zu den besten Darstellerinnen Hollywoods gehörte. Die schwarzhaarige Schönheit Katharine Ross passt mit ihrer niedlichen Art perfekt in ihre Rolle und leistet vor allem im Zusammenspielt mit Hoffman sehr gute Arbeit.

Fazit:
Auch wenn die Handlung nach 40 Jahren relativ vorhersehbar und unspektakulär ist, ist "Die Reifeprüfung" mit ihrem intelligenten Wortwitz, ihrem Sarkasmus, ihrer einfühlsamen und vielschichtigen Charakterkonstruktion und ihrer starken Inszenierung mit dem hervorragenden Soundtrack von Simon and Garfunkel immer noch eine sehenswerte Tragi-Komödie, die gerade jetzt, in der Zeit des Teenie-Fäkal-Humors eine überaus willkommene Abwechslung bietet. Für jeden Cineasten ein Muss!

80%

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