Vor zehn Jahren wurde Sean Veil wegen dreifachen Mordes angeklagt. Nur mit knapper Mühe konnte er damals der Justiz entrinnen und seitdem besteht sein Lebensinhalt darin, jede Sekunde seines Lebens mit akribischer Sorgfalt auf Video aufzuzeichnen, um jederzeit ein Alibi vorweisen zu können, falls ihm wieder eine Straftat vorgeworfen werden sollte. Und tatsächlich: Ein Mord, der bereits vor einigen Jahren verübt wurde, wird entdeckt - und Veil ist der Hauptverdächtige. Sein hieb- und stichfestes Überwachungssystem scheint sich in Nichts aufzulösen, als er feststellt, daß die Videoaufzeichnungen der Tatzeit aus seinem Archiv verschwunden sind. Ist Veil wirklich ein paranoider Mörder?
Die Iren können also nicht nur sauguten Whiskey herstellen, auch ihre Thriller gehen runter wie ein Gläschen Feuerwasser. Von Anfang bis zum Schluss in eine beklemmende Atmosphäre gehüllt, zeigt der Film das Leben eines Mannes, der sich, obwohl nie verurteilt, sein eigenes Gefängnis errichtet, um sich vor dem echten Gefängnis zu bewahren: Jeden seiner Schritte überwacht Sean Veil: wenn er unterwegs ist, schnallt er sich eine Kamera vor den Bauch, er rasiert sich die Haare, um aufzufallen, alles das nur, damit er jederzeit eindeutig belegen kann, wo er wann gewesen ist. Sein Heim, eine heruntergekommene Fabrik mit dem Charme eines postindustriellen Alcatraz, gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Focault beschreibt in "Überwachen und Strafen" das Panoptikon von Bentham als ein fast perfektes Gefängnis, in dem die Gefangenen, in der festen Überzeugung, rund um die Uhr von Wärtern bewacht zu werden, mit einem Minimum an Sicherheitsvorkehrungen ein Maximum von Überwachung erfahren: Sie selbst bewachen jeden ihrer Schritte. Das wird in "Freeze Frame" noch eine Stufe weiter geführt: Der Gefangene ist physisch frei, doch er selbst ist sein schlimmster, penibelster Gefangenenwärter, der sich ganz dem allwissenden Auge der Videokamera überantwortet. Um der Welt seine Unschuld zu demonstrieren, macht er sich freiwillig zu einem absolut gläsernen Menschen, der jegliche Individualität aufgibt und ganz für den prüfenden Blick der Kamera lebt. Hervorragend beispielsweise die Szene, als er von einer Journalistin um ein Interview gebeten wird. Er fragt "Ohne Kamera?". Die Journalistin geht davon aus, daß er seine Persönlichkeit schützen will und beeilt sich, ihm zu versichern, daß die Kamera jederzeit abgestellt werden kann, wenn er das wünscht, doch gerade das erzürnt Veil und macht ihn mißtrauisch - eine Sekunde ohne Kamera ist eine Sekunde ohne Alibi.
Die Gesellschaft, die ihre Bürger nicht mehr mit der Frage konfrontiert "Was hast Du getan?", sondern "Beweis uns, daß du es nicht getan hast/tust/tun wirst!", wird repräsentiert durch einen windigen Profiler, der selbst eine ganze Menge Leichen im Keller zu haben scheint, und einen jähzornigen, alten Kommissar, der felsenfest von Veils Schuld und Hinterlist überzeugt ist. In einem Land wie Großbritannien, das von Überwachungskameras nur so wimmelt, ist die beklemmende Utopie von "Freeze Frame" vielleicht noch deutlicher spürbar, doch auch im "freien" Deutschland lässt sich die Furcht Veils vor diesen beiden Rachedämonen gut nachvollziehen. Der einzige Schutz vor der Anklage ist nicht die Dunkelheit, sondern das gnadenlose Licht der Öffentlichkeit. Das wiederum macht ein menschenwürdiges Leben unmöglich. Um welchen Preis er sein Leben in Freiheit weiterlebet, wird Veil einmal gefragt. Er weiß keine Antwort.
Was diese moderne Variante von "Der Prozess" gegen Ende etwas langatmig macht, ist das nicht enden wollende Wer-war's-wirklich-Spielchen in den letzten 20 Minuten. Bis dahin ist "Freeze Frame" ein erstklassiger Thriller, dramatisch, beklemmend und großartig inszeniert.