Für den siebenjährigen Jeremiah bricht in dem Moment unvermittelt eine heile Welt zusammen, als seine leibliche Mutter Sarah ihn von seinen Pflegeeltern abholt. Die unstete Sarah pendelt von Beziehung zu Beziehung, ohne Rücksicht auf ihren Sohn zu nehmen, der unter diesen ständig wechselnden Lebensumständen mehr als nur leidet. Nachdem Jeremiah von einem pädophilen Bekannten seiner Mutter missbraucht wird, bricht er aus - nur um dann in der Obhut seiner bigotten Großeltern zu landen. Dort wird er mit harschen Methoden zu einem treuen Gottesdiener umerzogen, ein Schicksal, das er aber auch bald zu akzeptieren beginnt. Einige Jahre später taucht Sarah erneut in Jeremiahs Leben auf und sie entführt ihn aus ihrem verhassten Elternhaus. Gemeinsam steuern sie nun einer ungewissen, aber in keinem Fall positiven Zukunft entgegen.
Kindesmisshandlung kann sich auf die verschiedendsten Arten äussern, was einem in diesem zutiefst aufwühlendem Drama sehr eindrucksvoll vor Augen geführt wird. Und so ist es auch nicht verwunderlich, das einem während der Ansicht vorliegender Geschichte streckenweise eine schier unbändige Wut überkommt, denn Asia Argento zieht in ihrer Rolle als sprichwörtliche Rabenmutter wirklich alle Register, um durch ihr Verhalten gegenüber ihrem siebenjährigen Sohn den Zuschauer auf die Palme zu bringen. Reisst sie den kleinen Jeremiah doch aus der wohlbehüteten Umgebung seiner Pflegefamilie heraus, nur um mit ihm durch das ganze Land zu fahren, wobei sie hauptsächlich die verschiedendsten Männerbekannschaften pflegt und sich überhaupt nicht um die Erziehung ihres Sohnes kümmert. Körperliche Züchtigungen und verbale Bedrohungen stehen hier auf der Tagesordnung, so das der Junge bald vollkommen verstört ist und von diversen Visionen heimgesucht wird. Muss Jeremiah doch den unsteten Lebenswandel seiner Mutter hautnah miterleben ohne sich dagegen wehren zu können, was schon eine fast zwangsweise entstehende Hilflosigkeit in die Story einbringt, die sich aber nicht nur auf den Jungen bezieht, sondern auch den Zuschauer befällt. Größtenteils sitzt man nämlich absolut fassungslos vor dem heimischen Bildschirm und mag kaum glauben, was einem hier in schockierenden und verstörenden Bildern präsentiert wird.
Da heiratet die Mutter einfach einmal auf die Schnelle einen wildfremden Mann, mit dem sie dann postwendend über das Wochenende nach Atlantic City fährt, um sich zu amüsieren. An sich ist das ja nichts Schlimmes, doch Jeremiah wird einfach im Haus zurückgelassen und ist sich selbst überlassen. Schon diese Passage kann einen im tiefsten Inneren erschüttern, doch viel schlimmer kommt es, als der neue Daddy allein zurückkommt weil Sarah ihn verlassen hat. Denn in der folgenden Nacht dient der kleine Jeremiah als reines Sexobjekt, das anal vergewaltigt wird. Spätestens ab diesem Moment überkommt einen eine grenzenlose Wut auf die junge Mutter, die vollkommen unfähig ist, sich um die Erziehung eines Kindes zu kümmern, kommt sie doch noch nicht einmal mit ihrer eigenen und absolut kaputten Existenz zurecht. Der Zuschauer befindet sich schon längst in diesem fast ohnmächtigen Zustand der Hilflosigkeit und versucht vollkommen vergeblich, sich gegen das stark beklemmende Gefühl zu erwehren, das die gegebene Situation bei ihm auslöst. Hier bleibt es aber auch lediglich beim Versuch, dann die grausame Faszination dieses Werkes hat einen schon lange in Beschlag genommen und die von den Abläufen ausgehende Intensität verfehlt keinesfalls ihre brachiale Wirkung, denn der gesamte Film ist ein einziger Keulenschlag in die Eingeweide des Betrachters.
Dennoch gibt es während des Geschehens auch einen Moment, in dem sich die negativen Emotionen für die Mutter in pures Mitleid verwandeln, da man im Laufe der Zeit auch ihre Eltern kennenlernt. Denn nachdem Jeremiah nach seiner Vergewaltigung im Krankenhaus genäht werden musste, wird er in die Obhut seiner Großeltern gegeben, bei denen es sich scheinbar um religiöse Fanatiker handelt. Dargestellt werden die beiden von Peter Fonda und Ornella Muti und obwohl die beiden nur einen ganz kleinen Raum in der Geschichte einnehmen, ist ihre Bedeutung für die Ereignisse doch immens wichtig, liegt hier doch offensichtlich der Grund dafür, warum Sarah aus ihrem Elternhaus ausgebrochen ist und diesen unsteten Lebenswandel führt. Natürlich darf das keineswegs als Entschuldigung dienen, allerdings bringt man nun etwas mehr Verständnis auf, denn in diesem Elternhaus möchte man selbst auch auf keinen Fall leben. Herrschen dort doch strengste Disziplin und der religiöse Fanatismus in Reinkultur, den auch Jeremiah zu spüren bekommt.
Neben der ungeheuren Intensität und einer fantastisch umgesetzten Geschichte sind es insbesondere die darstellerischen Leistungen, die einem in diesem Film ganz besonders ins Auge stechen. Vor allem Asia Argento ist ganz besonders hervorzuheben, verkörpert sie doch die Rolle der Rabenmutter auf eine so brillante Art und Weise, das man ihr für diese Leistung ein großes Kompliment aussprechen muss. Das Schauspiel ist dabei schon fast erschreckend authentisch und hinterlässt einen sehr glaubwürdigen Eindruck, der schon etwas Grausames an sich hat. Doch auch die anderen Darsteller liefern allesamt einen wirklich tollen Job ab, wobei gerade die kleineren Nebenrollen mit sehr bekannten Gesichtern besetzt sind. Neben den schon erwähnten Peter Fonda und Ornella Muti trifft man beispielsweise auch auf Winona Ryder oder Marilyn Manson. Doch der eigentliche Superstar dieses erschütternden Dramas ist Jimmy Bennett, der den jungen Jeremiah darstellt (der ältere Jeremiah wird später von Dylan Sprouse gespielt) und eine Performance an den Tag legt, die einem eine Gänsehaut verursachen kann. Er verleiht der Figur eine Seele und ein Gesicht, allein ein Blick in seine traurigen Augen zerreisst einem fast das Herz. Es ist immer wieder absolut überragend, wenn schon kleine Kinder in der Lage sind, eine solch fantastische Leistung abzuliefern, wie es in diesem Film der Fall ist.
Insgesamt gesehen kann man Asia Argento nur zu diesem tief aufwühlendem Film gratulieren, auch wenn sie selbst als hauptdarstellerin nicht unbedingt viele Symphatien auf ihrer Seite haben dürfte. Dennoch ist gerade ihre Darstellung der Mutter in der absoluten Spitzenklasse anzusiedeln und verleiht dem Geschehen eine erschreckende Authenzität, die beim Zuschauer für ein absolutes Gefühls-Chaos sorgt. Ständig möchte man in die teils grausamen Ereignisse eingreifen, um einen kleinen Jungen vor dem totalen Verfall seiner kindlichen Seele zu bewahren und verfällt dabei immer wieder in eine Hilflosigkeit, die einem fast schon körperliche Schmerzen bereitet. Wer nah am Wasser gebaut ist, sollte sich ganz genau überlegen, ob dieser Film der Richtige für ihn ist, gibt es doch etliche Passagen, in denen durchaus die Tränen fließen könnten, denn auch grenzenlose Wut kann für einen regen Tränenfluß sorgen.
Fazit:
"The Heart is Deceitful Above All Things" ist ein aufwühlendes und extrem intensives Drama, bei dem man eine ganze Weile benötigt, um das verstörende Geschehen richtig sacken zu lassen. Die erschreckende Glaubwürdigkeit der Geschehnisse hinterlässt einen sehr bitteren Beigeschmack beim Zuschauer, den man auch noch lange nach der Sichtung des Filmes richtiggehend schmecken kann. Grandiose Darsteller und eine Geschichte, die extrem unter die haut geht, sorgen hier für ein Filmerlebnis der ganz besonderen Art, das man sicherlich nicht so schnell wieder vergisst.
9/10