Wie Peter Jackson das Fantasy-Genre salonfähig machte
Der Hobbit Frodo Beutlin (Elijah Wood) geniesst ein friedvolles Leben im Auenland. Doch ein Erbstück seines Onkels Bilbo (Ian Holm) schickt ihn auf ein unerwartetes Abenteuer. Ein mysteriöser Ring fällt in die Obhut Frodos. Sein Mentor Gandalf (Ian McKellen) findet heraus: Es handelt sich um den Einen Ring, einst vom dunklen Herrscher Sauron geschmiedet, um die gesamte Welt zu unterjochen. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Ring zu vernichten und die Zerstörung Mittelerdes zu verhindern: Der Ring muss in der Lava des Mount Doom landen. Dumm nur, dass der Vulkan direkt unter der Nase Lord Saurons vor sich hin blubbert.
So muss sich Frodo auf eine gefährliche Reise machen. Unterstützt wird er von einer bunten Schar Helden. Sein bester Freund Sam (Sean Astin) steht ihm ebenso zur Seite, wie der Zwerg Gimli (John Rhys-Davies) und der Elb Legolas (Orlando Bloom). Auch die Menschen Aragorn (Viggo Mortensen) und Boromir (Sean Bean) erheben für Frodo das Schwert. Doch bald schon stiftet das mächtige Artefakt Zwist unter der Gruppe. Und die Ringreiter Nazgûl greifen bereits mit gierigen Händen nach dem Einen Ring.
J. R. R. Tolkiens Lord of the Rings ist die Bibel der so genannten High Fantasy, die eigenständige und oftmals riesige Welten entstehen lässt, mitsamt unterschiedlichen Kulturen, Völkern, Sprachen, Legenden, etc. Was sich hervorragend als Vorlage für Offline- wie Online-Rollenspiele eignet, läuft sich in Filmform häufig tot. Wenn eine Geschichte sich auf exzessives „Worldbuilding“ verkrampft, driftet sie gerne in die Langeweile des Lore-Overkills ab, wie das gegenwärtig etwa bei Game of Thrones geschieht. Irgendwann muss man sich schon hintersinnen, ob wir denn tatsächlich so viele Figuren, so viele Länder, ja so viel Plot benötigen …
Nicht so bei Lord of the Rings. Denn dieses Buch hat einen betörenden Fluchtpunkt: den einen Ring, Quelle der unendlichen Macht, der süssen Versuchung und des abgrundtiefen Wahnsinns. Die Hauptfigur Frodo ist eine wahrhaft tragische Figur, die eine existentiellen Bürde zu tragen hat. In all dem Willkürlichen, das auch Tolkiens Fantasy-Welt bietet, besteht der Ring als das Absolute. Frodo schlägt sich mit einer grossen Frage herum, die sich fast unabhängig vom eigentlichen Plot abwickelt. Das unterscheidet Lord of the Rings von so manch anderem, geringerem Fantasy-Buch.
Aber wie das verfilmen? 1978 hat Ralph Bakshi es versucht. Sein Zeichentrickfilm The Lord of the Rings ist uneben und grotesk – Bakshi halt –, aber immerhin interessant. 2001 verwandelte Peter Jackson (Braindead, The Frighteners) die literarische Vorlage in die bestimmende Blockbuster-Trilogie des frühen 21. Jahrhunderts. Den Grundstein legte Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring – ein Film, der stilistisch wie inhaltlich von Anfang bis Ende so richtig aufs Gaspedal drückt. Hier reiht sich Exposition an Exposition, Kampf an Kampf, Verfolgungsjagd an Verfolgungsjagd. Die Handlungspunkte drängen sich so dicht aneinander, dass man so manches Mal eine Pause einlegen wollte, klebte man nicht gebannt am Bildschirm, sich fragend, welches gigantische Set Piece uns Jackson als nächstes um die Ohren haut.
Betrachtet man einzelne Szene indes distanziert, so stellt sich zuweilen ästhetisches Grausen ein. Jackson neigt arg zum Kitsch; nicht nur in der einen Liebesszene, sondern auch auf dem Kampfplatz. Hier appelliert er an simple Emotionen, indem er Spektakel ohne Ende bietet. Böse Orks bekommen im Sekundentakt auf die Mütze, die titelgebende „Fellowship“ ist voll nobler Helden, beim Finale gibt’s dann kriegerisches Ehren-Pathos. Auf dem Papier ist das übel, aber auf Film funktioniert es so gut wie selten. Die Effekthascherei verfehlt ihr Ziel kaum. Das liegt einerseits am enormen Stilwillen, der uns hier entgegen brandet. Jackson trägt konstant so dick auf, dass man gar nie auf die Idee kommt „Ja, aber!“ zu sagen. Viel lieber begibt man sich in die berauschende Welt Tolkiens und lässt sich treiben.
Der zweite Grund ist der ambitionierte Takt, den das Drehbuch vorgibt. Es treibt die Protagonisten unerbittlich vorwärts. Die Nazgûl sind den Hobbits von Anfang an auf den Fersen, eine Verschnaufspause können sie sich nicht gönnen. Man merkt, dass Jacksons Wurzeln im Horror-Genre liegen; er wagt es, heftige Schreckmomente zu platzieren, die den Zuschauer ordentlich durchschütteln. Etwa dann, wenn Bilbo gierig nach dem Ring schnappt, oder wenn sich Galadriel (Cate Blanchett) für Sekunden in eine tyrannische Königin verwandelt. Fehlende Variation kann man The Fellowship of the Ring nicht vorwerfen. Bedauernswerter Nebeneffekt des Tempos: Viele Schnitte und Einstellungen wirken überhastet – obwohl der Film bereits überlang ist, wünscht man sich noch ein bisschen mehr Zeit.
Seine Stärken schöpft der Film aus Tolkiens Vorlage, die im Weltenbauen so detailreich wie riesig ist. Jackson gelingt es, die enorme Tiefenschärfe des Buches zumindest zu suggerieren, was an sich schon eine fabelhafte Leistung ist. Dazu trägt auch der bombastische Soundtrack von Howard Shore bei, der den Film in eine Dimension erhebt, die er für sich allein wohl nicht erreicht hätte. An jeder Ecke vermutet man eine noch grössere Geschichte, jede Location ist ein Ort, an dem man noch länger verweilen möchte, als es der Plot zulässt. Lord of the Rings – das ist Fantasy in Reinform, sei es im Buch oder im Film. Das bedeutet aber auch, dass sich so manches Klischee nicht umschiffen lässt. Da gibt es den weisen Magier, die wunderschöne Elfin, den besonnenen König, und und und.
Jackson zeigt uns, weshalb wir diese typischen und abenteuerlustigen Figuren so gerne sehen: Weil sie eine Sehnsucht in uns wecken, die echte Welt möge doch auch so abenteuerlich sein. Besser als im ersten Teil ist Jackson das nie wieder gelungen. In den beiden Fortsetzungen musste er die wunderliche Neugierde des Publikums befriedigen. Daran ist er gescheitert, vielleicht notwendigerweise. Trotzdem: The Fellowship of the Ring steht als fesselndes Monument des Fantasy-Kinos, ambitioniert, bedeutungsschwer, märchenhaft.
9/10