Vom Buch zum Film
Aus über 1000 Seiten neun Stunden Film zu machen, ist keine Kleinigkeit. Als geplante Story-Änderungen bekannt wurden, rebellierten die Fans und sammelten Zehntausende von Unterschriften. Peter Jackson nahm öffentlich Stellung und einige Pläne zurück. In einem Interview mit Spiegel.de verriet Peter Jackson kürzlich, wie er den Spagat zwischen Werkstreue und Machbarkeit schließlich schaffte: »Es geht um Vereinfachung. Man will ja weder die Original-Geschichte verändern, noch eigene Szenen hinzufügen. Es geht darum, was der Ring mit Frodo anstellt, wie er ihn als Hüter in seinen Besitz nimmt, wie andere, die er trifft, darauf reagieren. Wenn man das einmal hat, muss man nur noch streng in der Auswahl der wichtigen Charaktere sein. Die, die mit dem Gerüst nicht direkt in Verbindung stehen, kommen nicht vor -- egal wie interessant sie sein mögen.« Ob er diese Hürde gemeistert hat werde ich nun versuchen aufzuschlüsseln...
Der Film
Der Film macht den Anfang mit einem Rückblick. In sehr aufwendigen von Galadriel kommentierten Szenen wird die Vorgeschichte erklärt wie Sauron einst vor 3000 Jahren der Ring abgenommen wird. Ausserdem wie die anderen Ringe der Macht geschmiedet wurden. Drei den hohen Elbenkönigen, sieben den Zwergenherrschern und neun den Menschenfürsten. Doch alle sind nichts gegen den einen Ring, der alle anderen beherrscht. Man sieht eine kilometerlage Front aus einer Allianz von Menschen- und Elbenkriegern, gegen die dunkle Wellen von Orks anbranden, wie eine Flut, die böses Unheil bringt. Doch es scheint so, wie wenn Sauron auch allein gegen die stolzen Recken einkommen könnte. Mit einem Schwertstrich fegt er dutzende Kämpfer weg wie Grashalme. Regelmäßig wird der mächtige eine Ring fokussiert. Als der König der Mensch letztendlich fällt schneidet im sein Sohn Isildur die Finger seiner Hand ab, die mitsamt dem Ring in schönster Zeitlupe zu Boden fallen und mit viel Bass aufschlagen. Was nun folgt ist Effektkino vom Feinsten. Saurons Geist verlässt seine imposante Rüstung mit einem Donnerschlag, der eine gewaltige Druckwelle über das Schlachtfeld fegen lässt, worauf die letzten verbliebenen Orkkrieger zu Boden sinken. Die Schlacht ist gewonnen und Isildur nimmt den Ring an sich. Doch die Seele der Menschen ist gierig und anstatt ihn zu zerstören wird er ihn behalten, denn die Macht des Ringes, an den Sauron gebunden ist, korrumpiert seine Seele. Doch nach Jahren wird Isildur überfallen. Er stirbt und seine Leiche versinkt mitsamt dem Ring im großen Fluss Anduin, wo er über Jahrtausende verweilt ...bis er gefunden wird. Der Hobbit Gollum findet den Ring und auch seine Seele wird von ihm vergiftet. Durch ihn erhält er ein ungewöhnlich langes Leben. Im Osten zieht erneut ein Schatten auf ...Saurons Macht kehrt zurück und der Ring spürt, dass seine Zeit gekommen ist und verlässt Gollum. Er wird von dem Hobbit Bilbo Beutlin gefunden, der durch seine Reisen (wie im Vorgängerbuch "der kleine Hobbit" beschrieben) das Nebelgebirge durchquert, wo Gollum seinen Unterschlupf hat. Sanftes Abblenden und noch mystische Worte von Galadriel. Das grandiose zehnminütige Intro endet. Sehr viel Aufwand für etwas, dass andere Hollywoodproduktionen mit ein paar schlichten Texttafeln abkürzen würden. Der Zuschauer ist gefesselt und verlangt nach mehr...
Aber auch die folgende halbe Stunde würde man so in einem Hollywood-Film nicht zu sehen bekommen. Peter Jackson geht es ruhig und gemütlich an und lässt sich viel Zeit (wie Tolkien auch im ersten Kapitel) und stellt Hobbingen und die Hauptcharaktere vor. Schon bei der Ankunft Gandalfs lernt man die Charaktere schätzen. Frodos Versuch wegen Gandalfs verspätetem Eintreffen böse zu sein und Gandalfs eiskalte Reaktion darauf wird schnell durch das Losprusten der beiden alten Freunde in glückliches Wiedersehen verwandelt. Es folgen wunderschöne Aufnahmen des aufwendigen Auenland-Sets, das dem Zuschauer ein wohliges Gefühl spendiert. Wie in vielen Stellen des Film verspürt man hier den Wunsch in den nächsten Flieger nach Neuseeland zu steigen. Auch Gandalf scheint es so zu gehen. Genüsslich wird Pfeife geraucht und die Kunst des Rauchringe blasens demonstriert. Wie schon gesagt nimmt die Vorstellung der Charaktere am Anfang viel Zeit in Anspruch, wird aber speziell für Leser des Buchs niemals langweilig, weil man fast Freudentränen vergießen will ... wie bei einem Wiedertreffen mit alten Freunden. Zum Schmunzeln gibt es aber auch genug, etwa wenn Gandalf sich in Bilbos kleiner Hobbitbehausung mehrmals den Kopf anstößt. Als Bilbo dann letztendlich Hobbingen verlässt ist im Roman gerade mal erst der Prolog vorbei und der Film nimmt sich geruhsame 30 Minuten dies zu tun. Wenn man das allein schon mit der grottigen Zeichentrickversion aus den Siebzigern vergleicht, wo dieser Punkt nach 5 Minuten erreicht wird. Sehr löblich...
Doch ich möchte mich nicht mit Storydetails aufhalten. Jeder, der die Bücher gelesen hat weiß, dass die Story genial ist und daher möchte ich mich von nun ab mehr mit dem Film selbst beschäftigen.
Sämtliche Locations sind hervorragend ausgewählt bzw. aufgebaut. Liebe zum Detail lässt sich an jeder Ecke erkennen. In Bilbos Haus beispielsweise findet Gandalf die Schatzkarte aus "der kleine Hobbit". Peter Jackson nutzt die natürliche Schönheit des Landes, indem er soviele Kameraschwenks einsetzt wie es ihm möglich war, um einen großen Rundumblick über das Gebiet zu schaffen. Selten ist das Bild starr. Die grandiosen Kamerafahrten in den Minen beim Orthanc oder in Moria könnten nicht besser sein. Beispielsweise tritt Boromir zum Kundschaften aus Balins Grabkammer schon fliegt die Kamera als Pfeil vom Bogen eines Ork abgeschossen auf ihn zu. Gut...dieser Effekt ist spätestens seit Costners "Robin Hood" nichts Neues, doch hier ideal eingesetzt.
Wie auch im Buch hat der Film spannende Etappen, die durch "Ruhephasen", in denen sich der Zuschauer erholen kann, unterbrochen werden. Und das ist auch gut so. Der Film hat ab dem Verlassen des Auenlands etwas unangenehm hektisches an sich. Ständig passiert irgendetwas und der Zuschauer fühlt sich fast Stress ausgesetzt. Dabei hat es fast den den fahlen Beigeschmack eines schlechten John Woo Actionfilms, der sich von einer Actioneinlage zur nächsten hangelt. Doch vor diesem Schicksal rettet Peter Jackson den Film, indem er die eigentliche Story nie aus den Augen verliert und dem Zuschauer Verschnaufpausen, wie beispielsweise Elronds Haus oder Lothlorien, spendiert.
Perfekte Darstellerwahl
Jacksons Film lebt nicht zuletzt von der sehr guten Besetzung. Der 79-jährige Christopher Lee (Älteren als Dracula in guter Erinnerung) spielt Saruman den Weißen. Seine funkelnden Augen und schneidende Stimme passen perfekt zum Führer des Ordens der Grauen. Er ist hier ähnlich perfekt besetzt wie schon im Zeichentrickfilm "Das letzte Einhorn". Der Theaterschauspieler Ian McKellen (zuletzt Magneto in X-Men) verleiht Gandalf die passende Mischung aus Augenzwinkerei und verborgener Macht. Vor 4 Jahren als erste Gerüchte zur Verfilmung laut wurden, hörte man vermehrt Sean Connerys Namen in Zusammenhang mit Gandalf. Auch dieser hätte einen wunderbaren Gandalf abgegeben und ich muss gestehen, dass ich enttäuscht war, als dieser die Rolle abgelehnt hatte. Doch ich wurde sehr positiv gestimmt, als ich mich näher mit Ian McKellen beschäftigt hatte. Auch erste Fotos von ihm in seinem Kostüm überzeugten mich. Er ist ein sehr talentierter Schauspieler, der anhand seiner wunderbaren Mimik soviel sagen kann ohne wirklich den Mund zu öffnen. Man denke da nur an den Gesichtsausdruck, als Frodo sich meldet den Ring nach Mordor zu bringen. Eine nicht weniger gelungene Besetzung ist Sean Bean, der wie schon im Actionfilm Ronin einen von Zweifeln zerrissenen Außenseiter mimt. Diesmal ist es Boromir, Sohn des Statthalters von Gondor, der den Ring so gerne für sein Volk selbst haben möchte. Der putzig-kernige Zwerg Gimli wird von John Rhys-Davies gegeben, Computerspielern als Paladin aus Wing Commander 3 + 4 bekannt oder als Sallah in den Indiana Jones Teilen. Und Elijah Wood verkörpert den Ringträger Frodo ebenso zart und gleichzeitig unzerbrechlich, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Nur bei der Besetzung vom Elbenführer Elrond mit Hugo Weaving war ich mir nicht so sicher: er erinnerte mich die ganze Zeit an Die Matrix, dort war er der fiese Agent Smith...aber er hat eine sehr gute schauspielerische Leistung abgeliefert. Der nächste im Bunde ist Viggo Mortenson. Mir ist er vor allem aus "Ein perfekter Mord" oder "Crimson Tide" bekannt und er war IMO auch eine sehr gute Besetzung für den Charakter von Aragorn. Er kam mir nur etwas still und unfreundlich rüber. Weitere männliche Hauptrollen: Billy Boyd (Hobbit Pippin), Dominic Monaghan (Hobbit Merry), Orlando Bloom (Elb Legolas), Sean Astin (Hobbit Sam), Ian Holm (Bilbo Beutlin). Liv Tyler (Elbin Arwen) und Cate Blanchett (Galadriel) sind die einzigen Damen im ersten Teil, sie geben ihren eigentlich kargen Rollen erstaunliche Bedeutung. Das die Rolle von Liv Tyler verglichen mit dem Buch verstärkt wurde habe ich persönlich begrüßt, den nur durch den Einsatz von romantischen Szenen zwischen ihr und Aragorn (die im Buch überhaupt nicht vorkommen) läßt sich später deren Hochzeit im dritten Teil erklären, was mir im Buch sehr seltsam vorkam, da Arwen kaum erwähnt wurde.
Effektkino....oder doch nicht?
Sehr löblich war der Einsatz der Special Effekt. Wo derzeit in den Kinos Filme, die von billigen Effekten nur so überladen sind seltsamerweise Hauptsaison zu haben scheinen hält dieser Film sich, was den offensichtlichen Teil angeht sehr zurück. Dennoch strotzt der Film vor Effekten geradezu...man sieht sie nur nicht! Und genau das ist es, was Hollywoodfilme in den letzten Jahren verlernt haben. Wo man hinsieht findet man bei "Herr der Ringe" einen Special Effekt....wenn man weiß, dass er da ist. Angefangen bei den künstlich verkleinerten Darstellern, der Hobbits, die im Vergleich zu Menschen extrem klein sind. Dann lustige Details für Kenner, wie z.B. dass Legolas im Schneegebirge AUF dem Schnee läuft und nicht darin, wie der Rest der Gefährten. Aber auch die offensichtlichen Effekte können sich sehen lassen. Wann immer Frodo den Ring überstreift, sieht er das fürchterliche Schattenreich samt lidlosem Auge Saurons. Eine Springflut wird zur Pferdeherde oder eine gute Königin zur Schreckensgestalt. Von den Hunderten von Goblins oder Orks ganz zu schweigen. Auch Gandalfs Feuerwerk hätte man sich am Sylvesterabend am liebsten vor der eigenen Haustür gewünscht.
Der Bau der Kulissen - egal ob im Computer oder real - kann überzeugen. Wer sich wie ich Moria immer als (wenn auch großen) Bergwerksstollen vorgestellt hat, bekommt im Film große Augen. Die Zwergenstadt Balins ist gleichzeitig bedrückend eng und unfassbar weitläufig. Aber an dieser Stelle des Films erkennt man erstmals qualitative Mängel bei den Special Effekts: sieht man die Minen von Moria in der Totale dann kann man die vor den Orks fliehenden Gefährten ganz deutlich als Computerfiguren erkennen, die über das Bild ruckeln und nur ein Minimales an natürlichen Bewegungsabläufen spendiert bekommen haben. Doch dieser Moment fällt glücklicherweise nur sehr kurz aus. Peter Jacksons eigene Effektschmiede Weta hat gute Arbeit geleistet, die selbst ILM nicht hätte besser machen können. Über das Aussehen des Balrog jedoch kann man sich streiten. Wer ihn sich immer wie Pyros vorgestellt hat war glücklich, alle anderen mussten es hinnehmen.
Jedoch ist die Begegnung zwischen Gandalf und dem Balrog ist an Dramatik kaum zu überbieten -- und während die acht Überlebenden ins Freie stolpern, wischen sich die Damen neben mir verstohlen die Augen....schuld daran ist zweifelsohne auch der geniale Soundtrack.
Fazit
Wie man aus der Kritik sicher entnehmen kann, liebe ich den Film geradezu. Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt. Herr der Ringe dagegen ist großes Kino. Mit Liebe zum Detail. Mit Mut zur Langsamkeit. Mit beeindruckenden Kamerafahrten. Mit Action, Gefühl und auch etwas Gewalt. Man merkt, wieviel Mühe und Können hineingeflossen ist. Fantasy-Freunde zu begeistern, ist das eine. Ich behaupte aber, Herr der Ringe wird ein breiter Erfolg werden und auch viele Leute anziehen, die Tolkiens Bücher nie gelesen haben. Und darum sind für mich Harry, Hermione und Ron auf der Leinwand bloße Rotzlöffel, die Kinderquatsch veranstalten, Frodo und Compagnions dagegen wahre Helden. Ich werde auf jeden Fall werde nocheinmal in Die Gefährten gehen -- schon um mir die Wartezeit auf Die zwei Türme (Weihnachten 2002) und Die Rückkehr des Königs (2003) zu verkürzen. Oder um es mit den Worten von Gandalf zu sagen: "Du kannst hier[an] nicht vorbei!"