John Carpenters "Assault - Anschlag bei Nacht" verdankt einem Remake aus dem Jahr 2005 wieder eine erhöhte Aufmerksamkeit. Nicht nur, das endlich eine restaurierte Fassung auf DVD parallel dazu erschien, sondern auch, weil man sich wieder ein Bild der Stärken seines Films machen kann. Im Vergleich zu der - keineswegs schlechten - Neuverfilmung, erkennt man gut die Stilmittel, die heute in keinem Film mehr verwendet werden, obwohl gerade darin die Zeitlosigkeit seines Werkes begründet ist.
1976 handelte es sich bei Carpenters erst zweitem Langfilm um eine Low-Budget-Produktion - ein Fakt ,der ihn zu sparsamen und effektiven Methoden zwang. Dabei machte er sich die Anfang der 70er Jahre steigende Jugendkriminalität zu Nutze, die eine Folge der späten 60er Jahre war. Tatsächlich stieg die Verbrechensrate gar nicht eklatant an, aber wie in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, wurden lange Zeit feste Strukturen auch in der Kriminalität in Frage gestellt und veränderten sich. So konnten sich etwa in den Bronx von New York, ein Stadtteil, der jahrzehntelang in italienischer Hand war, die Afro-Amerikaner stärker durchsetzen. Solche Veränderungen gingen natürlich nicht ohne Gewalttaten ab und hinterliessen bei den "Normalbürgern", die grösstenteils weit von diesen Geschehnissen entfernt lebten, den Eindruck eines totalen Niedergangs. Ganz davon abgesehen, dass in den 70er Jahren die gesamte Bürgerschicht in ihren Grundfesten erschüttert wurde und solche Verunsicherungen immer schon Grundlage von Horror-Szenarien bildeten.
Carpenters Szenario in "Assault" war zwar nicht real im dokumentarischen Sinne, entsprach aber durchaus den vorhandenen Ängsten in der Bevölkerung und spielte geschickt mit einer vorstellbaren Situation. Diese wird gleich zu Beginn heraufbeschworen, als sechs junge Menschen, die sich durch einen schmalen Gang vorwärts bewegen, ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt erschossen werden. In der Polizeimeldung, die kurz danach im Radio gesendet wird, wird stattdessen von einem Feuergefecht gesprochen, bei dem das Leben der Polizeibeamten in Gefahr gewesen wäre - also eine Leugnung der polizeilichen Selbstjustiz. Doch Carpenter liegt es fern, irgendwelche moralischen Finger zu heben und er will weder die polizeilichen Methoden kritisieren, noch damit den Gegenschlag der Jugendbanden legitimieren. Er will mit dieser kurzen anfänglichen Sequenz nur vermitteln, dass die Situation längst ausser Kontrolle geraten ist und das selbst die schrecklichsten Nachrichtenmeldungen noch weit der Realität hinterher hinken - womit er die klassische bürgerliche Paranoia bedient.
Um das noch zu unterstreichen, greift er zu einer weiteren brutalen Konsequenz. Er zeigt vier junge, bewusst ethnisch gemischte Männer (ein klarer Hinweis auf die gesellschaftlichen Veränderungen), die Rache wegen des polizeilichen Anschlags schwören und daraufhin mit ihrem Auto durch ihr Gebiet fahren. Scheinbar unmotiviert drehen sie immer wieder um, bis sie sich einem Eisverkäufer nähern und ihn bedrohen. Ein 12-jähriges Mädchen, dass sich wegen einer fehlenden Kugel Walnuss-Eis beschweren will und zufällig stört, wird ohne Zögern erschossen - ein klarer Tabubruch im Kino bis heute, mit dem Carpenter die Verunsicherung in seiner Story radikal steigert.
Aus heutiger Sicht wirken viele Darstellungen auf Grund der technischen Möglichkeiten eher betulich. Das Tempo des Films ist ruhig und Carpenter zeigt viele lange Einstellungen, mit denen er die Einsamkeit und die Leere in diesem Teil von Los Angeles noch betont. Sieht man sich dagegen das Remake an, so erkennt man sofort die heutigen Massstäbe an Action-Filme mit ihren schnellen Schnitten, den sich in ständiger Bewegung befindlichen Protagonisten und den detaillierten Shoot-Outs. Doch diese Plakativität verdeckt die Verharmlosung des Konzepts, denn das Remake versuchte für alle Geschehnisse eine Begründung abzugeben. So gibt es hier einen korrupten Polizisten, der sämtliche Geschehnisse beeinflusste, und damit einen klaren kriminellen Hintergrund.
Der fehlt bei Carpenter, der nur ein glaubwürdiges Szenario aufzieht, aber die tatsächlichen Motivationen im Dunklen lässt. So ist es weder klar, ob die Jugendbanden die Polizeistation angreifen, weil sie es auf Grund des Mordes an sechs ihrer Kameraden schon zuvor vorhatten oder ob sie spontan auf den Tod des Mörders des kleinen Mädchens reagieren, der von deren Vater erschossen wurde. Dieser flüchtete danach in die nur noch mit wenigen Polizisten und zwei Sekretärinnen besetzte Polizeistation. Auch die beiden Protagonisten des Films - der Polizeioffizier Ethan Bishop (Austin Stoker) und der zum Tode verurteilte Mörder Napoleon Wilson (Darwin Joston), der zufällig dort in einer Zelle landet - deuten nur an, warum sie sich ausgerechnet an diesem verlassenen Ort befinden. Bishop übernimmt hier seinen ersten verantwortlichen Job als Polizeioffizier, aber es wird nicht klar, warum man ihm eine solch undankbare Aufgabe gibt, und Wilson hat mehrfach gemordet, aber man erfährt keine Details darüber.
Durch diese totale Reduzierung, die auch auf eine Personifizierung der angreifenden zombie-artigen Masse verzichtet, entsteht nicht nur eine ungeheure Spannung, sondern dahinter verbirgt sich auch Carpenters gesellschaftskritischer Ansatz. "Assault" wird durch die fehlenden Erklärungen zu einer Parabel auf eine sich unsinnig steigernde Gewalt, auf die Hilflosigkeit üblicher Vorgehensweisen und die Überholtheit vorgegebener Muster. Erkennbar ist das auch daran, dass hier trotz der vielen Toten keinerlei Befriedigung oder Erfüllung von Rachegelüsten entsteht, sondern einzig in der entstehenden Beziehung zwischen Bishop und Wilson ein positiver Aspekt in einem sonst äusserst pessimistischem Szenario aufgezeigt wird. Genau diese Haltung wurde durch das Remake völlig verwässert, denn durch die direkte Schuldzuweisung an bestimmte Personen, ging der universelle Eindruck der Geschichte verloren und reduzierte Carpenters Szenario auf eine blosse Action-Story.
Sicherlich ist es schwierig, die Verunsicherung der 70er Jahre heute nachzuempfinden, aber die Stärke in "Assault" liegt auch darin, dass Carpenter trotz dieses Hintergrundes vor allem an einer spannenden Story gelegen war. Ihm war klar, dass diese erst richtig überzeugen kann, wenn die Atmosphäre möglichst authentisch wirkt und es gelang ihm eine überzeugende Symbiose zwischen damals aktueller Paranoia und einer im Grunde bekannten Bedrohung Weniger durch eine überlegene Masse von Angreifern, die so einen einmaligen stilbildenden Film hervorbrachte, der heute noch überzeugen kann (8/10).