Der erste Kinofilm um den maskierten Netzschwinger kann sich nach wie vor rühmen, mit einem weltweiten Einspielergebnis von 821 Millionen, die gewinnträchtigste Marvel-Comic-Adaption zu sein. Kein Wunder also, dass Sam Raimi („The Evil Dead“, „Army of Darkness“) für die Umsetzung des zweiten Teils stattliche 200 Millionen Dollar zur Verfügung standen. Zu sehen ist davon nur leider wenig.
Dabei ist der Beginn, nach diversen Achterbahnfahrten durch Blutbahnen, Chromosomen und Genen in der Verwandtschaft, mit einem einleitenden Rückblick in Form eines sanft gezeichneten Comics die wohl eleganteste Einführung einer Fortsetzung seit „Blade II“ - als Zusammenfassung des Erstlings zu wenig, als Einleitung in das anstehende Abenteuer aber sehr gelungen.
Leider wird schnell deutlich, dass sich „Spider-Man 2“ in storytechnischer Hinsicht nur bedingt weiter entwickelt hat. War der Vorgänger noch eine unentschlossene Lovestory, die unter dem Kampf gegen den Grünen Kobold zu leiden hatte, so entwickelt die Geschichte sich hier konsequent und vor allem logisch weiter. Das Leben als Superheld, das er nun schon zwei Jahre führt, ist für Peter Parker (Tobey Maguire, „Pleasantville“, „Seabiscuit“) alles anderes als leicht. Die Schulnoten sinken bedrohlich und in seinem Job als Pizzabote wird er gekündigt. Irgendwie muss er sein Leben mit dem Kampf gegen das Böse unter einen Hut bekommen und das gelingt ihm nur mit vielen Kompromissen. Die ohnehin nicht einfache Beziehung zu seiner großen Liebe Mary Jane (Kirsten Dunst, „Mona Lisa Smile“, „The Virgin Suicides“), die sich ihm Schritt um Schritt entfremdet, erleidet fast Schiffbruch und seine Freundschaft zu dem immer noch vom Hass auf Spider-Man zerfressenen Harry Osborn (James Franco, „City by the sea“) wird auf eine harte Probe gestellt.
Sam Raimi präsentiert Spider-Man beziehungsweise Peter Parker als den wohl menschlichsten und authentischsten Superhelden des Marvel-Universums. Die Identifizierung mit ihm fällt leicht und das ist eine seiner Vorzüge. Immer noch die Bürde, die Schuld am Tod Onkel Bens, mit sich tragend und mit finanziellen Sorgen im Gepäck, ist er im Herzen jemand wie du und ich. Doch so sehr ich Raimis ambitionierten Charakterausbau in der ersten Hälfte auch honorieren möchte, er überfrachtet das Skript mit all seinen Motiven und sorgt so dafür, dass der Spannungsbogen einem ausgeleierten Gummiband gleicht.
Weit weniger kreativ geriet die Auswahl des neuen Bösewichts. Mit Doc Ock (Alfred Molina) ist wieder ein Wissenschaftler am Werk, der nach einem misslungenen Experiment der Schizophrenie verfällt und mit technischem Firlefanz ausgestattet wird. Molina hat nach William Dafoe ein schwieriges Erbe anzutreten und punktet vor allem in den Dialogen während der ersten Begegnung mit Peter Parker. Schade, dass er, nach dem Unfall, zu einem beliebigen, konturlosen Bösewicht verkommt, bei dem von Trauer und Schmerz nichts mehr zu spüren ist. Seine menschliche Seite hätte ruhig öfter in den Vordergrund treten dürfen.
Seine Auseinandersetzungen mit „Spider-Man“ kranken an den selben Problemen, mit denen schon der erste Teil glänzte. Trotz des Megabudgets sieht der CGI-Effekt-Overkill keineswegs perfekt aus, auch wenn die Effekte sich natürlich weiter entwickelt haben. Selbst Gegenstände, die man problemlos „echt“ oder zumindest mit Modellen darstellen hätte können, werden hier im PC designt. Die Künstlichkeit trieft „Spider-Man 2“ aus jeder Pore. Comic-Adaptionen brauchen für ihre Realisierung Computer gestützte Effekte, keine Frage, nur warum gelingt es Raimi nicht sie mit traditionellem Handwerk zu koppeln? Bryan Singer hat das beispielsweise mit seinen beiden „X-Men“ – Filmen einwandfrei vorgemacht. Ich für meinen Teil habe es auch gern mal nicht ganz so spektakulär, wenn es dafür etwas realistischer aussieht.
Spider-Man (man erinnere sich, er hat „nur“ Spinnenkräfte) wirkt hier mitunter, als hätte er etwas zu viel Kryptonit geschlabbert. Ein Fall aus höchster Höhe ist genauso unproblematisch wie ein Flug durch die Luft, dank Schleudereffekt durch sein Netz. Absoluter Negativhöhepunkt ist aber der Kampf zwischen ihm und Doc Ock auf der Straßenbahn. Nicht nur, dass die Effektmacher hier häufig und offensichtlich absichtlich mit Unschärfe und Verwischeffekten arbeiten, um die nicht ganz so perfekten Animationen etwas aufzupolieren, die ganze Rettungsaktion ist völlig überzogen und schwach programmiert.
Umso mehr Spaß macht die vorherrschende Selbstironie, denn auch „Spider-Man 2“ nimmt sich nicht sonderlich ernst. Der Sprung ins Ungewisse ist schon aus Teil 1 bekannt, doch das Fahrstuhlgespräch mit Hal Sparks dem Darsteller der US-Schwulen-Daily-Soap „Queer as Folk“ um seinen eng anliegenden, kratzenden Anzug ist wirklich zum Brüllen. Die Straßenmusiker spielen das Urtheme Spider-Mans, während die stets direkt in die Kamera schauenden und kreischenden, hysterischen Frauenbilder offensichtlich beabsichtigt sind. Beste Szene hinsichtlich des Humors ist aber Parkers befreites Auftreten zu B. J. Thomas „Raindrops keep falling on my head“ – inklusive Fettnäpfchen.
J. K. Simmons ist als Zeitungschef J. Jonah Jameson auch im zweiten Teil wieder der heimliche Star – eine Reinkarnation seines Comic-Pendants. Man kann ihn kaum besser verkörpern. Seine zynischen, selbstherrlichen, egoistischen und von Vorurteilen geprägten Ausbrüche sind einfach herrlich. Hier wird ihm noch mehr Screentime zugestanden als im Vorgänger und in Teil 3 darf es meinetwegen noch mehr sein. Während Marvel-Legende Stan Lee nur den Bruchteil einer Sekunde im Bild ist und eine Passantin rettet, darf auch Raimis-Spezi Bruce Campbell wieder ran. Als Türsteher ist sein Cameo hier sogar größer als in den meisten anderen Filmen Raimis. Auch Brüderchen Ted wird hier natürlich nicht vergessen.
In schauspielerischer Hinsicht gibt es auch diesmal keinen Grund sich zu beschweren. Tobey Maguire gibt den schüchternen Peter Parker wieder sicher, obwohl der Charakter ja eigentlich von Unsicherheit geprägt ist. Kirsten Dunst ist als Mary Jane diesmal etwas emotionslos und blass, fällt aber nicht völlig aus der Rolle. Molina tritt das Erbe Dafoes würdevoll an, wird nur leider ab dem Experiment, außer in wenigen Szenen, völlig verschenkt. Über Jameson-Darsteller J. K. Simmons braucht man kein weiteres Wort verlieren.
Fazit:
„Spider-Man 2“ ist leider nicht die erwartete Steigerung und hat neben zu wenig Action vor allem mit fehlender Spannung zu kämpfen. Sam Raimi konzentriert sich zu stark auf Peter Parkers Privatleben und vergisst dabei was eine Comic-Verfilmung Marvels zu einem Großteil ausmacht. Der Kampf gegen das Böse und das ist mit Doc Ock böse verschenkt. Angesichts des Megabudgets von 200 Millionen Dollar fallen die CGI-Effekte recht schwach aus und werden zudem noch zu oft eingesetzt. Trotz Weiterentwicklung der Charaktere, Selbstironie und ordentlichen schauspielerischen Leistungen ist „Spider-Man 2“, auch dank des mangelhaften Tempos, genau wie der Vorgänger, zumindest für mich, eine Enttäuschung.