Vorsicht, Spoiler!!!
"Ein Superheld in der Schaffenskrise".
So könnte der inoffizielle deutsche Untertitel lauten.
Denn was Sam Raimi uns hier präsentiert ist die fast perfekte Balance der Geschichte eines Menschen, der seine Ziele aus den Augen zu verlieren droht, hin und her gerissen zwischen persönlichen Wünschen und Pflichtbewusstsein, und bombastischem Popcorn - Effekte - Unterhaltungs - Kino. Besonders der Kampf zwischen Spiderman und DocOc auf dem Dach einer U-Bahn sieht für die mittlerweile handelsüblichen CGI-Spielereien einfach genial aus, das halsbrecherische Schnitttempo lässt einen die Künstlichkeit solcher Szenen völlig vergessen - atemberaubend!
Doch anders als bei vielen anderen grossen Produktionen der letzten Monate und Jahre steht hier, wie beim ersten Teil, die menschliche Komponente eindeutig im Vordergrund: Peter Parker und Spiderman - zwei Persönlichkeiten, die in einem Körper stecken und beide einen vollen Terminkalender haben. Ganz klar, dass nur die Termine eines der beiden eingehalten werden können und die andere zurückstecken muss. Dieses Ungleichgewicht führt zu unkontrollierten Stressreaktionen: mehrfach versagt Spiderman beim Abschiessen seiner Fangnetze, was bei seinen "Spaziergängen" zwischen den Häuserschluchten unweigerlich zum Absturz führt.
Von einem normalen Leben kann Peter nur träumen, genauso wie von seiner grossen Liebe Mary Jane, deren Liebe er aus Sorge um ihr Leben nicht erwidern kann und die sich schliesslich in die Arme eines anderen flüchtet. Das Knistern zwischen den beiden ist jederzeit spürbar, selten fiebert man als Zuschauer mehr einem Happy-End entgegen. Aber kann es ein solches unter diesen Umständen tatsächlich geben?
Dann ist da noch Harry, Peters ehemals bester Freund, inzwischen Chef von "Oscorb", zerfressen von Geldgier und Hass - auf den vermeintlichen Mörder seines Vaters - Spiderman. Seine Rachegelüste treiben ihn dazu, den gefährlichsten Schurken der Stadt für die Jagd auf Spiderman anzuheuern: Doktor Otto Octavius, vom "Daily Bugle" liebevoll "Dr. Octopus" genannt, ehemals bedeutenster Wissenschaftler im Bereich der Kernforschung im Dienste von "Oscorb", auf dessen Rücken nach einem Unfall riesige, intelligente Greifarme prangen, die ihn zu einer nahezu unbesiegbaren Kampfmaschine machen. Alfred Molina schafft es mühelos, dieser grotesken Figur eine Persönlichkeit zu geben, die allerdings sehr stark an den "Green Goblin" erinnert. Wieder einmal steht hier ein innerer Konflikt zwischen der guten und der bösen Seite im Vordergrund - wie gesagt nicht neu, aber trotzdem gut umgesetzt.
Doch Peter hat sein Kostüm zu diesem Zeitpunkt bereits in den Müll geworfen und versucht verzweifelt, seinem Schicksal zu entfliehen. Ein Vorhaben, dass selbstverständlich zum Scheitern verurteilt ist! Denn um Spiderman zu finden, setzt DocOc auf Anraten von Harry Peter unter Druck, ihm den selben auszuliefern - indem er Mary Jane entführt. In dieser Situation ist Weglaufen nicht mehr die Lösung - er hat keine Wahl, als sich der Herauforderung zu stellen und zu begreifen, was "Verantwortung" tatsächlich bedeutet.
Das Superheldendasein als Versinnbildlichung für das Erwachsenwerden. Die schon im ersten Teil wichtigen Aspekte zu diesem Thema werden im zweiten konsequent weitergeführt und vertieft, auch wenn man gerade am Anfang das Gefühl hat, dramaturgisch auf der Stelle zu treten: Die Darstellung von Peters Alltagsleben ist gewohnt sympatisch, doch die Szenen und die Dialoge wiederholen sich in der ersten halben Stunde immer wieder, was leider in dieser Phase das Erzähltempo stark drosselt und zu einigen Längen führt. Doch dank der brillianten Darsteller sind auch diese Szenen allesamt sehenswert.
Diese Schwäche scheint Sam Raimi von Anfang an erkannt zu haben, denn immer wieder wird die Handlung an kritschen Stellen durch ironische Einlagen aufgelockert. Die kleinen Gags sind perfekt getimet und fügen sich nahtlos in die Handlung ein - das Highlight ist die Szene im Fahrstuhl! Auch werden dadurch, besonders zum Ende hin, die üblichen Kitsch- und Klischeefallen gekonnt umgangen, die schon so manchen Hollywoodfilm zum Scheitern brachten.
Ein genialer Kniff bei der Inszenierung ist der starke Kontrast zwischen der menschlichen Seite des Superhelden und der knallbunten, comichaften Darstellung der Actionszenen und einiger gnadenlos überzeichneter Nebenfiguren wie Mr. Jameson oder Peters Vermieter. Auch hier ist deutlich spürbar, wie der Regisseur sich bemühte, eine emotional bewegene Geschichte zu erzählen ohne dabei den Unterhaltungswert aus den Augen zu verlieren oder das Ganze sich selbst zu ernst nehmen zu lassen.
Endlich eine rundum gelungene Fortsetzung, die trotz einiger kleinerer Schwächen wie in Teil eins beste Unterhaltung und menschliches Drama gekonnt miteinander verbindet. Good Job, Mr. Raimi!
9/10