Review

Der Film nach dem Film.
Nun, da „Spider-Man“ alle Rekorde gebrochen hatte, musste man sich die Frage stellen, wie viel Potential wirklich in dem Stoff steckte. Die Einführung der Charaktere, Peters Entdecken seiner Fähigkeiten, sein erster Schwung durch die Häuserschluchten New Yorks - das waren leichte Punkte, sichere Treffer.
Aber jetzt, da das Publikum wusste, wie die Charaktere aussahen, mit welchen Effekten zu rechnen war, da wurde die Sache interessant. Denn ab jetzt kam es auf den Inhalt an. Würden die Leiden des jungen Parker erneut ein Millionenpublikum bannen können?
Und -das muss ja nicht zwangsläufig verknüpft sein- würde erneut ein guter Film dabei herausspringen?

Ja und ja.

Wie sein Kollege Bryan Singer mit „X-Men 2“ gelingt es auch Raimi, direkt auf dem Vorgänger aufzubauen, statt sich in Wiederholungen zu ergehen. Peter ist zwar in seine Rolle als New Yorks Superheld hineingewachsen, hat aber sein reguläres Leben komplett vernachlässigt. Seine Uni-Noten, sein Kontostand und die Beziehungstemperatur zu Mary Jane haben neue Tiefststände erreicht. Die Verantwortung, in der er sich nach dem Tode seines Onkels sieht, lässt er nicht für sein eigenes Leben gelten. Wieder einmal ist es an der Zeit, Entscheidungen zu treffen.
Und so funktioniert „Spider-Man 2“ in direkter Verbindung mit seinem Vorgänger als großes Coming-of-age-Drama im Superheldenoutfit. Damit stehen Raimis Filme in der Tradition der klassischen Marvel-Comics, die auch immer einen erzieherischen Auftrag erfüllen wollten, statt nur den „Fight des Monats“ zu präsentieren. Traumhaft sicher wechselt der Film ruhige Momente mit atemberaubenden Actioneinlagen ab, zu keiner Zeit entsteht das Gefühl, irgendetwas in diesem Film wäre erzwungen worden oder passe nicht hinein. In dieser Hinsicht ist der Film auch seinem Vorgänger überlegen. Raimi geht hier spürbar selbstsicherer, ohne den gewaltigen Druck des Erstlings im Nacken, zu Werke, was sich auch in augenzwinkernden Selbstzitaten äußert.
Unter anderem greift ein Chirurg in einer wüsten OP-Sequenz wie weiland Ash zur Kettensäge, das klassische „Spider-Man Theme“ wird von einer Straßenmusikantin unter die Passanten gebracht und die New Yorker versammeln sich erneut beschützend um ihren geschwächten Helden (wenn auch mit anderem Resultat, was gut Raimis Anspruch veranschaulicht, seine Geschichte weiter zu entwickeln). Und wenn Peter wie einst in den Comics temporär seine Kräfte einbüßt und den Fahrstuhl nehmen muss, oder sich sein Kostüm in der Waschmaschine als nicht farbecht entpuppt, dann ist der Film so nah dran an der Vorlage wie möglich.

Darüberhinaus sind auch die Actionsequenzen von allererster Güte, insbesondere die Zugfahrt ist ein dynamisches Meisterstück, das mit seiner Detailverliebtheit (Spidey rettet Passanten per Sicherungsnetz, während er der entfesselten Metro hinterherjagt, surft hinter Taxis, etc.) nachhaltig im Gedächtnis bleibt.
Doch wäre all dies wertlos ohne eine berührende Geschichte, und insbesondere hier trumpft „Spider-Man 2“ richtig auf. Peters Versuche, sein Leben und die Beziehung zu MJ in den Griff zu bekommen, seine Ohmacht angesichts ihrer anstehenden Hochzeit mit dem Sohn von J. Jonah Jameson (ausgerechnet!), Harrys fanatische Jagd auf den Mörder seines Vaters, der wissenschaftlich gescheiterte und im Herzen gebrochene Otto Octavius, all das ergibt ein faszinierendes Geflecht aus glaubwürdigen Charakteren, das nicht nur den Geist der Vorlage atmet, sondern auch einen auf eigenen Beinen stehenden Film erzeugt. Man muss kein Comic-Leser sein, um „Spider-Man“ zu mögen. Die dem Genre zugrunde liegenden Unmöglichkeiten werden mit Natürlichkeit und Augenzwinkern aufbereitet. Wohl der Hauptgrund für den durchschlagenden Erfolg dieser Filmreihe.

Zu den Darstellern: Tobey Maguire ist nach wie vor eine traumhafte Wahl für Peter Parker. Wo sich Batman mit schweren Depressionen und Wolverine mit dubioser Vergangenheit herumplagen, ist Spider-Man nun einmal der Held, der nicht weiß, wie er seine Miete bezahlen soll. Der Held, der nicht so recht weiß, wie man Frauen anspricht. Der Held von nebenan. Maguire gelingt es, dies ausgezeichnet zu vermitteln, sein jungenhafter Charme würde theoretisch noch für fünf weitere Filme tragen.
Und was für Maguire gilt, gilt erst recht für seinen Gegenspieler: Alfred Molina ist die beste Besetzung für Octavius, die man sich nur wünschen kann. Er vermittelt ebenso das manische Verfolgen seiner wissenschaftlichen Ziele wie die gebrochen-menschliche Seite, die die Gegner Spider-Mans stets auszuzeichnen pflegt. Seine Taten sind nachvollziehbar, sein Blick mitfühlend bis eiskalt und seine Techno-Tentakel wesentlich beeindruckender als der Gleiter des Kobolds.
Auch der Rest des Ensembles liefert Überdurchschnittliches ab. Kirsten Dunst darf ihrer Mary Jane deutlich mehr Profil verleihen und die Beziehung zu Peter zu mehr als dem üblichen der-Held-bekommt-das-Mädchen-Klischee werden lassen, James Francos Harry wird sicherlich mit Hinblick auf den dritten Teil die spannendste Entwicklung durchmachen und Rosemary Harris und J.K. Simmons sind immer noch genau so, wie man sich ihre Figuren immer „in echt“ vorgestellt hat. Hierfür seien exemplarisch Jonahs Meinungsumschwung („er war ein Held/er ist ein Dieb“) und Mays Reaktion auf Peters Geständnis genannt. Nicht zu vergessen natürlich Bruce Campbell, der von seinem Kumpel mal wieder eine Bombenrolle verpasst bekommen hat. Nein, es gibt einfach nichts zu bemängeln, alles andere wäre aufgesetztes Gekrittel.

Fazit: Raimi setzt tatsächlich in allen Belangen noch einen drauf und legt mit „Spider-Man 2“ eine der besten Comic-Adaptionen aller Zeiten vor. Zügellose visuelle Fantasie trifft auf ein großartiges Drehbuch, das sich dagegen sperrt, seine Figuren einer schablonenhaften Lächerlichkeit preiszugeben. So ernsthaft kann Spaß sein. Amazing.

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