TITICUT FOLLIES von Frederick Wiseman ist einer der kompromisslosesten – und auch kontroversesten – Dokumentarfilme, die jemals veröffentlicht wurden.
TITICUT FOLLIES ist jedoch keine typische Dokumentation. Es gibt keinen Sprecher (der Wahrheiten oder auch Unwahrheiten erzählt), auch keine Interviewsequenzen. Der Film ist eine 60er-Jahre-Momentaufnahme der unmenschlichen Zustände im "Bridgewater State Hospital" in Bridgewater, Massachusetts. Das "Spital", deren Insassen alle als geisteskrank und/oder sexuell gefährlich katalogisiert wurden, erinnerte zu dieser Zeit eher an ein typisches, heruntergekommenes Gefängnis.
"Titicut Follies" ist der Name einer Gesangs- und Tanzgruppe, die aus Insassen dieses Krankenhauses besteht. Titicut ist der indianische Name des Gebiets rund um das Krankenhaus in Bridgewater, das englische Wort Follies bedeutet Verrücktheiten. Zu Beginn und am Ende des Films sieht man Bühnenaufnahmen der "Titicut Follies"-Truppe, sonst gibt es im gesamten Film keine Musik zu hören.
In Amerika war TITICUT FOLLIES viele Jahre lang verboten. Nein, mit der MPAA hatte dies natürlich nichts zu tun (der Film hätte zum Beispiel ja auch "unrated" veröffentlicht werden können). Das zuständige Gericht in Massachusetts teilte die Auffassung, dass die Privatsfähre einiger Insassen verletzt würde. Das Filmverbot kam den zuständigen Behörden von Bridgewater, dem damaligen Direktor usw. natürlich gar nicht ungelegen...
Die Kameraführung ist teilweise etwas unruhig, die schwarzweißen Aufnahmen mögen unspektakulär wirken. Details werden aber tatsächlich in aller Deutlichkeit gezeigt: Ob Nacktheit oder ein Schlauch, der einem Patienten durch die Nase eingeführt wird, weil man ihn Zwangsernähren muss.
Wer sich fast täglich irgendwelche True Gore-Dokus ansieht, dürfte TITICUT FOLLIES vermutlich so uninteressant und wenig sehenswert finden wie Mainstreamer, die sich gar nicht erst einen Schwarzweiß-Film ohne Score ansehen möchten.
Und das ist sehr schade!
TITICUT FOLLIES ist ein wirklich eindrücklicher Dokumentarfilm, der mich nachdenklich gestimmt hat. Und er ist einer der wenigen Filme, die auch tatsächlich etwas bewirkt haben: Dank dem Film haben sich die ursprünglich menschenverachtenden Bedingungen in dieser Bridgewater-Einrichtung verbessert.
8 Punkte