„Skinheads! Mal wieder!“
Große Teile der Skinhead-Szene ließen sich in den 1980er-Jahren zunehmend von Rechtsextremisten und Neonazis infiltrieren und politisieren. In Deutschland schien ab Mitte jenes Jahrzehnts der Bruch mit den eigentlichen Wurzeln der Subkultur offensichtlich und Skinhead zum Synonym für stumpfe rechtsradikale Schläger geworden zu sein. 1985 erreichte die Eskalation der Gewalt ihren vorläufigen traurigen Höhepunkt, als erst Mehmet Kaymakçı und dann Ramazan Avcı von sich Skinheads nennenden Neonazis brutal ermordet wurden. Diese Taten dürften Autor und Regisseur Bernd Schadewald als Inspirationsquelle für seinen zweiten Hamburger „Tatort“ um die Ermittler Paul Stoever (Manfred Krug) und Peter Brockmöller (Charles Brauer) gewesen sein, der 1987 produziert und ausgestrahlt wurde. Ein Jahr zuvor hatte Schadewald bereits mit „Verlierer“ ein Händchen für jugendsubkulturelle Themen bewiesen.
Erdal Bicici (Tayfun Bademsoy, „Treffer“), Sohn türkischer Einwanderer, will seine deutsche Freundin Dagmar Lobeck (Heike Faber, „Wer lacht schon über Rosemann“) heiraten. Während Erdals Eltern sich für ihren Sohn freuen, hadert insbesondere Dagmars Vater (Ulrich Pleitgen, „Stammheim“) mit der Entscheidung seiner Tochter – er möchte keinen „Ausländer“ zum Schwiegersohn. Die Verlobungsfeier findet im Restaurant Erdals Vaters Mehmet (Djamchid Soheili, „Die längste Sekunde“) statt, der zuvor von Schutzgelderpressern (Jan Fedder, „Großstadtrevier“ und Georg Blumensaat, „Otto – Der neue Film“) abgezockt werden sollte, die beiden Gangster jedoch des Lokals verwies. Mitten in die Feier platzt eine neonazistische Schlägertruppe von „Skinheads“, die alles kurz und klein und Erdal totschlägt. Erdals trauernder und auf Rache sinnender Vater vermutet die Schutzgelderpresser als Drahtzieher hinter dem Totschlag, in diese Richtung ermittelt auch Brockmöller. Stoever sucht die Boneheads auf und gewinnt nach und nach das Vertrauen des jungen Kralle (Mario Irrek, „Verlierer“) – die Spur führt schließlich zur Neonazi-Partei DAF…
Schadewald tut gut daran, die Ausländerfeindlichkeit der sich Skinheads nennenden Schläger nicht als isoliertes Phänomen asozialer, trinkender Jugendlicher darzustellen, sondern die Analogien zum alltäglichen bürgerlichen Rassismus herauszuarbeiten, der von Dagmars Vater verkörpert wird und sich in der Neonazi-Organisation DAF ballt. Das Publikum wird dabei zunächst auf eine leicht zu durchschauende falsche Fährte gelockt, indem Schadewald kurz vorm Überfall die Schutzgelderpresser auftreten lässt. Den Anschlag der kurzgeschorenen Bande inszenierte er dann bewusst in erschreckender Brutalität und zoomt dabei auf die „Hass“-Tätowierung (inkl. SS-Runen) auf den Fingerknöcheln des Totschlägers, die fortan als Merkmal bei der Tätersuche dienen.
Nach dieser Zäsur verrät der Habitus der Ermittler, dass es sich keinesfalls um ein neues Phänomen, sondern um die Zuspitzung einer seit längerem grassierenden rechtsextremistisch motivierten Gewaltentladung handelt. Stoever sucht daraufhin den Treffpunkt der Schläger an der U-Bahn-Station Stephansplatz auf und schafft es langsam, an Jüngling Kralle heranzukommen, der Einblicke in das Weltbild der Neonazi-Schläger gewährt. Bicici macht derweil gemeinsame Sache mit seinen Erpressern, um den Totschläger zur Verantwortung zu ziehen. Dagmars Vater wiederum gibt Erdal eine Mitschuld, weil er sich wehrte – was die Verharmlosung rechter Gewalt bis hin zur Täter/Opfer-Umkehr durch die Gesellschaft veranschaulicht. Wie zu erwarten, stellen sich die Schläger schließlich als nützliche Idioten einer Neonazi-Partei heraus, denn während diese sich einen bürgerlichen Anstrich geben kann, setzt das Fußvolk den in die Welt gespritzten Hass in die Tat um.
All das ist richtig und wichtig – und einmal mehr leider hochaktuell. Rechtsextremismus und Faschismus sind keine Erscheinungen irgendwelcher Jugendgangs, sondern tief in der Gesellschaft verwurzelt. Und was der gescheitelte Demagoge mit Anzug und Schlips predigt, führt der Stiefel aus. Parteien und Organisationen wie die FAP, die NPD, die AfD, diverse Burschenschaften, Pro NRW, Pegida und wie sie alle heißen distanzieren sich nach außen hin gern von Gewalt, können sich aber Handlanger gewiss sein, um ihre Positionen auf der Straße mit Gewalt durchzusetzen, wobei auch vor Mord und Totschlag nicht zurückgeschreckt wird. Fatal ist es, dass Schadewald die parolenhaft vorgetragenen Argumente Kralles unwidersprochen im Raum stehen lässt – manch Zuschauer(in) wird ihm seinerzeit in seinen ausländerfeindlichen Ressentiments zugestimmt haben. Auch die Darstellung auf der Polizeiwache randalierender und sich über die Bullen lustig machender „Kameraden“ dürfte gerade jüngeres, für Subkultur anfälliges Publikum eher imponiert denn abgeschreckt haben.
Leider versäumt Schadewald ferner die Gelegenheit, auch in Bezug auf den Skinhead-Kult Aufklärungsarbeit zu leisten: Die alles andere als rassistischen Wurzeln der Subkultur bleiben unerwähnt, die Neonazi-Schläger werden stets als Skinheads bezeichnet – womit man dazu beitrug, diese Bezeichnung als Synonym für Rechtsradikale zu etablieren. Traditionellen oder schlicht nichtrassistischen Skinheads machte man es damit noch schwerer und erwies der übriggebliebenen Szene damit einen Bärendienst. Diese trat ab 1988 dann beispielsweise als SHARP („Skinheads Against Racial Prejudice”) in Erscheinung, erstarkte insbesondere in den 1990ern wieder, hatte jedoch seither mit Vorurteilen und Anfeindungen, verursacht durch die von ihnen verächtlich „Boneheads“ genannten kurzhaarigen Neonazis auf der einen und den Medien (wozu auch dieser „Tatort“ zählt) auf der anderen Seite, zu kämpfen. Damit macht dieser „Tatort“ vieles richtig, aber eben auch einiges falsch. Zeit für ein paar Richtigstellungen wären durchaus gewesen, doch Schadewald entschied sich stattdessen für Live-Aufnahmen eines „Die Toten Hosen“-Gigs in der Hamburger Fabrik.