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“Children of the Night. What Music they make.”. So lautet eine von Bela Lugosis berühmtesten Zeilen als Dracula. Könnte er damit womöglich die spanischen Kollegen gemeint haben, die des Nachts die Kulissen des amerikanischen Filmteams eroberten?

Denn zur Nachtruhe war mitnichten Drehschluss im Schlosse Dracula. Parallel zu Tod Brownings Film entstand jeweils in der anderen Hälfte des Tages eine spanische Version derselben Geschichte. Browning und seine Crew traten um acht Uhr morgens zum Dreh an - einen halben Tag später rückte die Crew von Regisseur Melford nach, um mitunter beinahe identische Szenen mit unterschiedlichen Schauspielern zu drehen. Beide Filme basieren auf dem gleichen Skript, das lediglich von Baltasar Fernández übersetzt und leicht modifiziert wurde – eine Vorgehensweise, die er bereits für eine spanische Version von “The Cat Creeps” (1930) angewandt hatte. Drehorte und Kulissen blieben identisch, selbst die Regieanweisungen für die Darsteller sollten sich nicht ändern - im fertigen Film stehen die Schauspieler exakt so zueinander, wie sie es auch in der US-Version taten.

Eine berechtigte Frage drängt sich durch diese Fakten auf: Wozu der ganze Aufwand? Was hat es für einen Sinn, parallel nochmal dasselbe zu drehen, als gälte es, dem Sprichwort “Doppelt gemoppelt hält besser” eine Existenzberechtigung zu verleihen? Die Antwort darauf ist banal: „Drácula“ ist als eine frühe Form der Synchronisationsarbeit zu verstehen. Eine moderne Synchronisationstechnologie stand zu jener Zeit noch nicht zur Verfügung, so dass man die Gunst der Stunde nutzte, die gerade bereitstehenden Kulissen verwendete und Geld sparte. Ein Schema, das sich von den Double Features der 60er Jahre für die Bahnhofskinos bis in die von Mehrteiler-Blockbustern geprägte Gegenwart hinein bewahren würde.

Aber: Dreht man einen kompletten Film neu, dies auch noch mit einer vollkommen neu besetzten Crew, so ist reine Synchronisation selbstverständlich nicht zu erwarten. “Drácula” ist eine eigenständige Interpretation, die zwar zugegeben unmissverständlich mit Brownings Arbeit verknüpft ist, dennoch eine eigene Richtung verfolgt... und die hat den Kritikern mehr zugesagt.

Mit der außergewöhnlichen Laufzeit von fast 100 Minuten PAL-Zeit bewegt sich die spanische Version fast schon in epische Gefilde. Alleine deswegen kann von einer simplen Kopie für das spanische Publikum schon nicht die Rede sein, denn das US-Pendant schafft es gerade mal auf rund 72 Minuten. Da die Drehbuchvorlage identisch ist und sämtliche Szenen hier wie dort auf irgendeine Weise verarbeitet wurden, ist die Laufzeitdifferenz vor allem in verlängerten Dialogen zu lokalisieren, die einige interessante Ansätze weiterstricken, welche im eigentlichen Original nur gedämpft zur Geltung kamen. Nicht umsonst wirkte dieses nämlich phasenweise ähnlich improvisiert wie ein Theaterstück und weniger wie ein flüssig zu einem Ganzen verbundener Film. Speziell die Figuren Renfield, Mina (hier allerdings Eva genannt) und Van Helsing profitieren von den meist sinnvollen Dialogerweiterungen, wird ihnen doch deutlich mehr Screentime zuteil als im US-Pendant.

Aber auch Regie und Kamera wirken teils einfallsreicher als die bisweilen erstaunlich undynamisch wirkende Arbeit des Zweigespanns Tod Browning und Karl Freund. George Melford, der übrigens die spanischen Schauspieler dirigieren musste, ohne auch nur ein Wort Spanisch zu sprechen, überrascht immer wieder mit Szenenarrangements, die deutlich frischer wirken als in Brownings eher statischer Vision. Hervorstechend dabei ist etwa die komplette Betäubungssequenz Renfields; als sich die Bräute über den betäubten Mann hermachen, werden uns vollkommen neue, ideenreiche Perspektiven zuteil. Dass Renfield sich kurz zuvor beim Speisen an einem Messer schneidet und nicht etwa an einem Stück Papier, ist ebenfalls eine der zahlreichen zunächst unscheinbar wirkenden Veränderungen, die dem Ganzen aber eine individuelle Note verleihen. Hier wird mit einer eigenen Signatur geschrieben, die keineswegs, wie man aufgrund des geringen Bekanntheitsgrads von “Drácula” annehmen würde, irgendwo in den Fußzeilen der Filmhistorie vermodert. Melfords Werk hat mehr Einfluss ausgeübt, als auf den ersten Blick sichtbar wird - diverse Szenen, die beispielsweise in Mel Brooks’ Parodie von 1995 vorkommen, sind keineswegs der US-Version entnommen, sondern entstammen einzig und allein der spanischen Version.

George Robinsons Kameraarbeit fängt die innovativen Einschübe des Regisseurs derweil äußerst stilvoll und modern ein, wo sein Gegenpart Karl Freund für seine Verhältnisse doch ziemlich konservativ blieb, indem er sich der Tradition des Stummfilms verschrieb. Die Begrüßung Draculas auf der Treppe, nur ein Beispiel, erscheint durch die völlig gelöste Kamera wie eine komplett vom Ursprung abgetrennte perspektivische Furie, ein hektischer Totentanz, der dem Grafen eine eindrucksvolle Introduktion beschert. Die zu Nacht gedrehte Version erscheint deswegen im Gesamtbild deutlich moderner und auch rasanter - und das, obwohl die Dialoge stark ausgeweitet wurden.

Einen weiteren Punktsieg erringt die spanische Version darin, nicht so sehr sittlichen Beschränkungen unterlegen gewesen zu sein wie die US-Version, deren Darstellungsfreiheit durch die amerikanische Prüderie entscheidend eingeschränkt wurde. Ganz besonders wälzt sich das auf die Garderobe nieder. Die Damen geizen für damalige Verhältnisse nicht mit Reizen, was insofern einen positiven Effekt hat, als dass die Schutzlosigkeit von Draculas wichtigstem Opfer umso stärker anzusehen hervorgehoben wird. Unschuld und Sexualität – eine Kombination mit unwiderstehlicher Durchschlagskraft. Eva-Darstellerin Lupita Tovar schmunzelte noch Jahrzehnte später darüber, wie man sie zur Erotik-Ikone aufbaute.

Geteilter Meinung kann man über die Besetzung der Hauptrolle sein. Rein schauspielerisch erachte ich persönlich Lugosis Leistung nicht nur als die klar bessere, ich würde Carlos Villarías in gewissen Szenen sogar gnadenloses Overacting unterstellen, bei dem sein Gesicht eher an eine Faschingsmaske erinnert als an einen Vampirgrafen. Die unmenschliche Unnahbarkeit Lugosis erreicht Villarías jedenfalls nicht. Andererseits soll der ungarische Akzent, den die Produzenten ihm nahegelegt hatten, Kritikern zufolge sehr gut gelungen sein, was ich mir aber nicht zu bewerten anmaße. Wohltuend kommt allerdings die spärliche Gestik des Spaniers rüber im Gegensatz zu Lugosis überbordender Theatralik. Wenn sich bei der Unterhaltung im Schloss beispielsweise Renfield in den Finger schneidet und Dracula zuerst gierig hinschaut, bis ihm das Kruzifix an Renfields Hals auffällt, schwingt Lugosi höchst dramatisch seinen Umhang vor das Gesicht, um sich zu schützen. Villarías hingegen schaut eher angewidert weg und zieht sich ein Stück zurück, was doch natürlicher erscheint und besser in den Film passt als das, was Lugosi hier an Theater inszeniert. Auch wirkt das Hypnoseduell zwischen Dracula und Van Helsing in der spanischen Version intensiver, gerade weil Villarías so massiv die Augen aufreißt.

Bei der Darstellung des Renfield nehmen sich Dwight Frye und Pablo Àlvarez Rubio nicht viel. Rubio spielt den Wahnsinnigen wahrhaftig so, als sei er selbst dem Wahnsinn verfallen - gegenüber Frye (der seinen besten Moment vielleicht dann hat, als er aus der Schiffskajüte nach oben blickt und irre kichert) wirkt er vielleicht deswegen noch stärker, weil ihm mehr Szenen zuteil werden, in denen er sich beweisen kann.

“Drácula” gilt im internen Vergleich unter Experten nicht umsonst als der bessere Film gegenüber “Dracula”, denn er führt viele unfertig erscheinende Dialoge der US-Version sinnvoll weiter und besitzt dennoch durch die innovative Kamera und Regie das größere Tempo. Die Darstellung des Dracula ist sicher Geschmackssache, ich persönlich bevorzuge Lugosis Darstellung, wenngleich Villarías gemäßigte Gestik doch angenehmer wirkt. Wohl auch aufgrund der Tatsache, dass die spanische Version als verschollen galt, bis sie in den 70er Jahren wiederentdeckt und in den 90ern vom Filmhistoriker David J. Skal um eine weitere verlorene Filmrolle komplettiert wurde, ist Melfords Film heute der unbekanntere der beiden Filme; der schlechtere ist er aber keinesfalls.

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