Review

“Verbeugung vor dem Meister”

Dr. Richard Walker fliegt zusammen mit seiner Frau zu einem Ärztekongress nach Paris. Das übermüdete Paar durchlebt den alltäglichen „Alptraum“ eines jeden Reisenden: Reifenpanne auf dem Weg ins Hotel und ein am Flughafen verwechselter Koffer. Äußerst ärgerlich, aber bei weitem auch nichts Besonderes. Nach einer ausgiebigen Dusche macht Walker es sich auf dem Hotelzimmer bequem. Als er mehrere Stunden später aufwacht, ist seine Frau verschwunden. Sein einziger Anhaltspunkt ist ein wenig vertrauenswürdiger Zeuge, der gesehen haben will, wie eine Frau in der Nähe des Hotels in ein Auto gestoßen wurde. Hotelpersonal, örtliche Polizei sowie Beamte der US-Botschaft nehmen Walkers Entführungstheorie nicht ernst - zumal der Zeuge verschwunden ist - und vermuten eine außereheliche Romanze der Arztgattin. Des Französischen nicht mächtig, ist Walker in einer ihm völlig fremden Umgebung völlig auf sich allein gestellt. Willkommen in einem klassischen Hitchcock-Szenario.

Ein unbescholtener Normalbürger gerät durch Zufall in eine scheinbar ausweglose, häufig lebensbedrohliche Situation. Ohne entsprechende Fähigkeiten, meist zwischen allen Fronten stehend und von den gängigen Autoritäten im Stich gelassen bzw. nicht ernst genommen, stellt er sich der Herausforderung. Vor allem Cary Grant und Jimmy Stewart glänzten in diesen Rollen und trugen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Filme wie Der Unsichtbare Dritte 1958), Das Fenster zum Hof (1953) und Der Mann, der zuviel wusste (1955) nicht nur zu den besten, sondern bis heute auch zu den beliebtesten Werken des „Master of Suspense“ zählen.

Der vor allem für düstere und verstörende Stoffe bekannte Roman Polanski wählte das bewährte Genre für seinen Comebackversuch (wegen Verführung Minderjähriger zur Flucht aus den USA gezwungen, verschwand der bis dato gefeierte Filmemacher teilweise völlig in der Versenkung). Dabei orientierte er sich nicht nur plottechnisch an der beschriebenen Grundkonstellation, sondern besetzte auch die Hauptrolle nach denselben Kriterien wie das große Vorbild.
Die Wahl Harrison Fords galt damals als Überraschungscoup, ist bei näherem Licht betrachtet allerdings eine durch und durch logische Entscheidung. Mehr noch als Grant und Stewart galt Ford seinerzeit (1980er und 90er Jahre) als der filmische Archetyp des in einer Extremsituation über sich hinauswachsenden Normalos. In dieser Rolle war er am Glaubhaftesten und auch am Erfolgreichsten - vom CIA-Schreibtischagenten (Die Stunde der Patrioten, Das Kartell), über einen unschuldig verfolgten Chirurgen (Auf der Flucht) bis hin zum Terroristen bekämpfenden US-Präsidenten (Air Force One) verbuchte er einen Superhit nach dem anderen. Selbst seine berühmteste Rolle - wenn auch ironisch auf die Spitze getrieben - entspricht dem selben Grundmuster, ist doch der „bürgerliche“ Indiana Jones ein langweiliger Archäologie-Professor, der erst auf der Jagd nach Artefakten gezwungenermaßen zum Superhelden mutiert.

Mit Frantic drehte Polanski eine durchweg spannende Hommage an die oben zitierten Hitchcockschen Meisterwerke, ohne allerdings deren Klasse zu erreichen. Anders als bei seiner inzwischen selbst zum Klassiker avancierten Film Noir-Reminiszenz Chinatown, gelingt es ihm nicht, dem Vorbild seinen persönlichen Stempel aufzudrücken und dem Genre damit neue Aspekte abzugewinnen. Frantic wirkt wie eine ehrfurchtsvolle Vorbeugung vor dem großen Meister, es fehlt der Mut zur Weiterentwicklung, Neuinterpretation oder überraschenden Variation bekannter wie bewährter Versatzstücke.
Das größte Plus des Films - neben einem hervorragend aufgelegten Harrison Ford - ist die Szenerie. In Frantic zeigt Polanski ein anderes Paris, als wir es aus unzähligen Liebeskomödien und-dramen zu kennen glauben. Es ist ein Paris der düsteren Hinterhöfe, in kaltes Neonlicht getauchter Parkhäuser, schmuddeliger Wohnungen und drogenverseuchter Nachtclubs. Lediglich am hin und wieder im Hintergrund auftauchenden Eifelturm ist die französische Hauptstadt zu identifizieren. Viele Szenen spielen nachts, die Tage erscheinen trüb, grau und neblig. Man merkt, dass Polanski lange Zeit in der Stadt gelebt hat und auch das andere Paris, jenseits der Postkarten-Idylle genauestens kennt. Filmmusiklegende Ennio Morricone untermalt die dunkle Stimmung gekonnt mit einem betont unaufdringlichen Score.
Die durch und durch düstere Atmosphäre passt perfekt zum undurchsichtigen Plot und die ihn bevölkernden, zwielichtigen Gestalten. Außer dem geradlinigen Walker scheint beinahe jeder ein doppeltes Spiel zu spielen. Es wimmelt von Gangstern, Schlägern, Drogendealern und Prostituierten. Auch Walkers einziger Verbündeter - die drogenabhängig Punkern Michéle (Polanskis Lebensgefährtin Emmanuelle Seigner in ihrer ersten Rolle) - ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt.
Natürlich fehlt auch der genretypische McGuffin nicht. Das ominöse „Krytron“ ist sowohl Auslöser wie auch Motor des ganzen Wirrwarrs aus Verwechslung, Entführung, Mord und Spionage. Der Gegenstand selbst taucht erst nach der Hälfte des Films auf und bleibt auch in der Folgezeit nur am Rand präsent.
Einzig der zu vordergründig auf Action setzende Schluss beeinträchtigt die Stimmigkeit des Films etwas. Das ist allerdings ein „Problem“ vieler französischer Thriller, die durch Aufbau und Atmosphäre ein subtileres Ende vermuten lassen. Der seinerzeit erhobene Vorwurf an den Regisseur, sich am amerikanischen Markt anbiedern zu wollen bzw. dem Druck des produzierenden US-Studios nachgegeben zu haben, ist bestenfalls eine Teilwahrheit und greift m.E. zu kurz. Vielmehr ist die dröge Inszenierung des finalen Shootouts zu kritisieren. Actionszenen gehören offenkundig nicht zu den Stärken Polanskis.

Fazit:
Mit Frantic gelang dem in den 80er Jahren völlig in der Versenkung verschwundenen Roman Polanski ein kraftvolles Comeback. Der Film ist eine deutliche Hommage an Alfred Hitchcocks Meisterwerke Der unsichtbare Dritte und Der Mann, der zu viel wusste. Hier wie dort gerät ein Durchschnittsbürger durch Zufall in eine scheinbar ausweglose Situation, die er fast völlig auf sich allein gestellt schlussendlich meistert.
Wesentlich zum Erfolg des Films trägt der Handlungsort Paris bei. Jenseits der Postkartenidylle und gängiger Touristenklischees inszeniert Polanski die französische Hauptstadt als düster bedrohlichen Moloch und zeigt sie als Kaleidoskop schmuddeliger Hinterhöfe, trister Betonwüsten und muffiger Bars. Wenn auch insgesamt für Polanskis Verhältnisse überraschend konventionell inszeniert, lebt der Film von dieser Unheil verkündenden Atmosphäre und schafft es mühelos, über die gesamte Laufzeit Spannung zu erzeugen. Einziges Manko ist der dröge inszenierte, actionlastige Schluss.
Der damalige US-Superstar Harrison Ford passt perfekt in die Rolle des durch Zufall in ein Netz aus Verschwörung, Spionage und Mord schlitternden Normalbürgers und zeigt eine der besten Leistungen seiner Karriere. Der Titel ist Programm. Pure Verzweiflung prägt Handeln und Denken des Protagonisten. Ennio Morricone liefert dazu einen unaufdringlichen aber stimmigen Score und komplettiert den positiven Gesamteindruck.

(8/ 10 Punkten)

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