Ich hatte hohe Erwartungen, als ich kürzlich im Fernsehen auf dieses britische Gruselstück der frühen 70er stieß und feststellte, daß sich ausgerechnet Roald Dahl für das Drehbuch verantwortlich zeigte. Dahl hatte mir in der Vergangenheit öfters mit seinen herrlichen Kurzgeschichten u.a. aus der “Küßchen, Küßchen”-Sammlung die ein oder andere nette Stunde beschert. Hinzu kommen diverse gutklassige Filme, die auf seinen Werken beruhen (“Hexen hexen”, “Matilda”, einige Folgen aus der “Alfred Hitchcock präsentiert”-Reihe), die ich mir ebenfalls gern anschaue. Umso enttäuschter war ich dann von “Das Haus der Schatten” (Originaltitel: “The Night Digger”, nach der Story “Nest in a Falling Tree” von Joy Cowley).
Dafür kann Dahl herzlich wenig. Schuld an der Enttäuschung tragen vielmehr diejenigen, die den Film von vornherein in die Kategorie “Thriller” einordnen - sprich: die Fernsehzeitungen. Elemente, die einen Thriller ausmachen, finden sich hier freilich an nur wenigen Stellen. Ja, es gibt einige unheimliche Szenen, ja, hier und da blitzt auch etwas Spannung auf, aber in erster Linie handelt es sich doch eher um ein Drama. Zentrale Figur ist Maura (Patricia Neal), eine Frau mittleren Alters, die ihre gesamte Freizeit dafür aufbringt, ihrer blinden Stiefmutter (Pamela Brown) in ihrem abgelegenen Landhaus - so gut es geht - im Haushalt zu helfen. So würde es wahrscheinlich bis an ihr Lebensende weitergehen, würde nicht eines Morgens ein seltsamer junger Mann (Nicholas Clay) vor der Haustür stehen, seine Hilfe in Sachen Garten- und Hausarbeit anbieten und nach der Zusage Mauras Leben gehörig durcheinanderwirbeln.
Daß dieser Mann offensichtlich irgendein Geheimnis mit sich herumträgt, wenn nicht sogar einen mittleren Dachschaden hat, daran läßt Alasdair Reid früh keinen Zweifel aufkommen. Schon sein erster Auftritt ist ungewöhnlich und befremdend: Die Kamera fängt einerseits die idyllische Ausstrahlung des Landhauses ein, die andererseits immer wieder mit extrem harten Zwischenschnitten von Billy, der sich mit seinem laut röhrenden Motorrad auf den Weg zu jenem Anwesen macht, rabiat unterbrochen und kontrastiert wird. Sein merkwürdiges Verhalten im Folgenden lassen einiges erahnen, aber dennoch beläßt es Reid zunächst nur bei Andeutungen, etwa als Billy den sonntäglichen Kirchenbesuch boykottieren will und sich - in der Hoffnung, Maura plus Mutter würden ihn vergessen - wie ein Kleinkind, das nicht zur Schule will, im Schrank versteckt, um den Zuschauer etwa bei Halbzeit in sein düsteres Geheimnis einzuweihen. Dies ist auch das erste Mal, daß die Kamera über einen längeren Zeitraum die beiden weiblichen Hauptfiguren verläßt und Billy bei einer Nachttour durch verlassene Straßen begleitet, wo er akribisch genau seinem krankhaften Hobby frönt - eine atmosphärisch ganz starke Sequenz, an deren Ende man merkt, daß sie von Dahl geschrieben wurde.
Könnte man danach davon ausgehen, der Film würde eine andere Richtung einschlagen, täuscht man sich gewaltig. Nie konzentriert sich das Skript auf Thrill, sondern vielmehr auf die sich mehr und mehr ändernde Beziehung zwischen Maura und Billy sowie Maura und Stiefmutter (die übrigens namenlos bleibt). Brachte Maura dem Fremdling anfangs sehr viel Skepsis entgegen, war sie anfangs diejenige, die sich gegen seine Aufnahme in das Haus aussprach, so fühlt sie sich allmählich von ihm angezogen und hegt mehr als nur Muttergefühle (Billy könnte altersmäßig ihr Sohn sein), während sie sich von der Stiefmutter, die sie stets willig gepflegt hatte, zu lösen und ihr eigenes Leben zu leben versucht. Ein Drama ist durch die Frage “Billy oder Mama?” so oder so unvermeidlich - bleibt nur offen: Für wen?
Leider vermag das den Zuschauer nur wenig zu berühren, weil sympathische Figuren vergeblich gesucht werden.
Maura ist offiziell die Protagonistin mit der längsten Leinwand- bzw. Bildschirmpräsenz, allerdings findet man zu ihrem fremdartigen Charakter nie den Zugang (allein daß sie sich in einen Menschen verliebt, der sich dermaßen seltsam verhält, daß kein normaler Mensch ihn länger in seinem Haus arbeiten lassen wollte, macht es nicht einfacher), der nötig wäre. Auch wenn Dahls Drehbuch dies womöglich so beabsichtigte: In einem Drama ist ein Sympathieträger nun einmal unerläßlich, man braucht jemanden, mit dem man mitfiebern kann. Und den gibt es hier nicht. Unbestritten sind allerdings die superben schauspielerischen Leistungen (allen voran Patricia Neal).
Obendrauf gibt’s ein tragisches, irgendwie hastig daherkommendes “Finale”, das uns zwar einen spektakulären und visuell bildschön dargestellten Selbstmord präsentiert, aber eben keine emotionalen Reaktionen beim Betrachter (wegen besagter Gründe, s.o.) hervorrufen kann, ehe sich dann überraschend auch schon die Endcredits über das Schlußbild legen.
Atmosphärisch ist das alles voll in Ordnung (die sparsame, aber dennoch gewohnt intensive musikalische Untermalung von Bernhard Herrmann tut ihr Übriges), auch wenn ich mir persönlich ob des dem Film nun mal aufgedrückten Stempels (Thriller) und der vielversprechenden Gruselzutaten (einsames Landhaus, ein mysteriöser Fremder mit Geheimnis) lieber mehr Spannung und weniger Liebesgeschichte gewünscht hätte. Alles in allem ein etwas schwerfälliges Drama mit einer kleinen Prise Grusel, der jedoch eine untergeordnete Rolle spielt und in den wenigsten Szenen Anwendung findet. Sieht gut aus, bleibt aber nicht hängen. 5/10.