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Regisseur und Drehbuchautor Sergio Sollima hatte im August 1968 mit "Corri uomo corri" (Lauf um dein Leben) den letzten Western einer Trilogie mit Tomas Milian in der Hauptrolle in die Kinos gebracht, wenige Monate bevor Sergio Leone ebenfalls mit "C'era una volta il west" (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) seinen Schlussstrich unter die Phase des Italo-Western zog. Doch Leone war Sollima erneut einen Schritt voraus, denn "C'era una volta il west" sollte der Beginn einer neuen Film-Trilogie über die USA werden, weshalb Leone eng mit Hollywood zusammen arbeitete und seinen Film größtenteils mit us-amerikanischen Darstellern vor Ort drehte – schon ein Jahrzehnt bevor es zu der intensiven Zusammenarbeit zwischen Italien und den USA im B-Film-Sektor kam, als die mit rückläufigen Zahlen kämpfende italienische Filmindustrie versuchte, erfolgreiche Hollywood-Filme nachzuahmen, indem sie ihren Filmen einen amerikanischen Anstrich verliehen.

"Città violenta" (Brutale Stadt) entstand noch in einer Phase, als das italienische Kino die amerikanischen Mythen neu und wegweisend interpretierte, aber Sergio Sollima schien sich damit erneut auf Leones Spuren zu begeben, denn er verpflichtete nicht nur dessen Hauptdarsteller Charles Bronson aus "C'era una volta il west", sondern setzte für seinen vor der Kulisse von New Orleans und am Mississippi-Delta gedrehten Film größtenteils US-Mimen ein. Doch dieser Eindruck täuscht, denn Sollima ging einen eigenständigen Weg, der seinen Film als Schnittpunkt zwischen dem Italo-Western und dem kommenden Poliziesco-Genre erkennbar werden lässt. Dass er einen US-amerikanischen Hintergrund für seinen italienisch-französisch co-produzierten Film wählte, war eine konsequente Weiterentwicklung des Western-Genres, dessen innere Regeln und Stereotypen er in „Città violenta“ in die Gegenwart versetzte.

Der coole Profikiller Jeff Heston (Charles Bronson), der alerte Gangsterboss Al Weber (Telly Savalas), der windige Advokat Steve (Umberto Orsini) oder die schöne und gerissene Vanessa (Jill Ireland) sind Figuren, die auch jedem Western gut zu Gesicht gestanden hätten. Ähnliches lässt sich auch zur Ausstattung sagen, die mit den riesigen US-Cars, den Straßenschluchten der Großstadt oder dem „Can-Am“ – Rennen mit der lang gestreckten Steilwandkurve exponierte US-Mythen spektakulär ins Bild rückte, die die Western-Klischees ablösten - das der „Showdown“ auf dem Dach eines Hochhauses stattfand, war nur noch folgerichtig. Die Parallelen zu Jean-Pierre Melvilles Kriminalfilmen, auf dessen Protagonisten „Jef“ in „Le samouraii“ (Der eiskalte Engel, 1967) Sollima mit dem Vornamen „Jeff“ anspielte und dessen Amerikanophilie hinlänglich bekannt war, zeigen sich besonders im Verhältnis der Gangster untereinander, während die Basisstory noch an klassische Revenge-Filme der Western-Ära erinnert, in denen sich der knapp dem Tod entronnene Held auf die Spuren seiner Peiniger begibt.

Auch in „C’era una volta il west“ war Rache die Antriebsfeder des von Bronson gespielten „Mannes mit der Mundharmonika“, aber das offenbarte sich erst langsam in Rückblenden, weshalb sich die Frage nach dem Widerspruch zwischen seinem emotionslosen, professionellen Vorgehen und der tiefen inneren Verletzung, die er erlitten haben musste, nicht stellte. In „Città violenta“ wird der von Bronson gespielte Profikiller dagegen mit dem Verrat seiner Geliebten konfrontiert, die ihn offensichtlich hintergangen hatte und seinen Tod in Kauf nahm – er sieht am Boden liegend noch, wie sie in das Auto des Schützen steigt - womit Sollima eine andere Richtung als Leone oder Melville einschlug, indem er dieser Figur Emotionen einhauchte. Entsprechend beginnt der Film mit einer Idylle, zeigt Jeff und Vanessa in einem zärtlichen Moment innerer Verbundenheit, um diese Illusion unmittelbar darauf mit einer grandios inszenierten Verfolgungsjagd zu zerstören.

Der Versuch, die Story um einen coolen Profi-Killer, der in die Mühlen hinterhältiger Gegner gerät, mit einer „Amour Fou“ zu verbinden, ging nur teilweise auf. Vielleicht genügte das Wissen zur Entstehungszeit des Films, dass Charles Bronson und Jill Ireland auch im realen Leben ein Paar waren, um seine Gefühlsschwankungen zwischen Hass und Liebe nachvollziehen zu können, aber so überzeugend Bronson einen jederzeit kontrolliert vorgehenden Profi spielte, so wenig nahm man ihm den plötzlichen Verstoß gegen diese Regeln ab. Besonders im Vergleich zu der zitierten Figur des Profikillers Jef Costello aus „Le samouraii“ fällt diese Inkonsequenz ins Gewicht. Auch Melville verband dessen Scheitern mit den Gefühlen für eine Frau, aber sein Profikiller verlässt nie das Korsett des kontrollierten Verhaltens und bleibt sparsam im Ausdruck von Emotionen. Dagegen wechselt Jeff Heston mehrfach vom Schläger zum zärtlichen Liebhaber, was dank der ins Bild gerückten optischen Vorzüge Jill Irelands verständlich sein mag, von Bronson aber nicht authentisch vermittelt werden kann.

Glücklicherweise ließ sich Sollima von der konstruierten Liebesgeschichte in seinem langsamen, unaufgeregten Erzähl-Rhythmus nicht anstecken, den er nur mit nadelstichartig gesetzten Actionszenen unterbrach. Dieses Tempo orientierte sich nur äußerlich an den Filmen Melvilles, denn Sollima verlieh seinen Bildern einen dreckigen, aufgeheizten Charakter, der versuchte, die Atmosphäre Louisianas und New Orleans einzuatmen. Der Filmtitel „Città violenta“ ist zwar übertrieben, da die Stadt selbst über eine Hintergrundrolle nicht hinauskommt, aber die Richtung zum Poliziesco, der ohne pulsierendes Großstadt-Feeling nicht vorstellbar wäre, wird in der Filmanlage schon sichtbar. Zu verdanken ist das Sollimas Co-Autoren Massimo De Rita und Arduino Maiuri, die nicht nur das Drehbuch zu „Banditi a Milano“ (1968) schrieben, der wegweisend für das Poliziesco-Genre wurde, sondern mit „Roma come Chicago“ (Mord auf der Via Veneto, 1968) den Gangsterfilm als Abbild einer zunehmend gewalttätigeren Großstadt weiter entwickelten. Die Parallelen zu dem ebenfalls in Rom spielenden und ein Jahr später erschienenen „Un detective“ (Die Klette, 1969) von Romolo Guerrieri sind offensichtlich, für den Massimo De Rita wiederum das Drehbuch zu dem Poliziesco „La polizia è al servizio del cittadino?“ (Auf verlorenem Posten, 1973) schrieb.

Sergio Sollimas gemeinsamer Weg mit den beiden Autoren führte weiter bis zu „Revolver“ (Die perfekte Erpressung, 1973), der die Story seines ersten Western „La resa dei conti“ (Der Gehetzte der Sierra Madre, 1966) kongenial in die Gegenwart verlegte und damit die Entwicklung zum Poliziesco in Sollimas Werk abschloss. „Città violenta“ ist dagegen seine Position an der Schnittstelle zwischen den Genres deutlich anzumerken, weshalb der Film häufig falsche Erwartungshaltungen weckt. Sollima entwickelte eine stilistisch etwas unausgewogen wirkende Kombination aus europäischem Gangsterfilm und US-Mythos, die dank ihrer atmosphärischen Dichte, gefördert durch Ennio Morricones aufwühlende Klänge, jederzeit zu Fesseln vermag und am Ende auch die Tragik in der Figur des Profikillers zu vermitteln weiß (7,5/10).

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