Der Filmtitel "Die Frühreifen" klingt nicht nur ähnlich altmodisch wie "Die Halbstarken", der 1956 mit Horst Buchholz in der Hauptrolle erfolgreich in den Kinos lief, sondern machte auch kein Geheimnis daraus, auf die selbe Thematik zu setzen: eine deutsche Jugend, die Gefahr lief, Anstand und Moral zu verlieren, verführt von den Errungenschaften eines Wirtschaftswunders, für das ihre Eltern hart arbeiten mussten. Auch Veit Harlans kurz zuvor gedrehter Film "Anders als du und ich (§175)" (1957) warnte unter dem Deckmantel der homosexuellen Thematik vor den Versuchungen der bis in bürgerliche Schichten vordringenden Moderne, die in allen drei Filmen nur zu abschreckenden Konsequenzen führen konnte: sexueller Missbrauch, Gefängnis oder Tod.
Wenig überraschend wurden mit Christian Wolff ("Anders als du und ich (§175))" und Christian Doermer ("Die Halbstarken") zwei wichtige Protagonisten der Vorgängerfilme auch in "Die Frühreifen" in tragenden Rollen besetzt, ergänzt von der damals erst 15jährigen Heidi Brühl, die dank der "Immenhof"-Filme schon ein großer Star in Deutschland war, erstmals Sabine Sinjen und nicht zuletzt Peter Kraus in einer scheinbaren Nebenrolle. Der 18jährige Kraus, der drei Jahre zuvor in "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) seinen ersten Auftritt hatte, begann 1957 auch seine Gesangs-Karriere, besaß aber noch nicht die Reputation seiner Mitspieler Wolff, Doermer und Brühl. Regisseur Josef von Báky, der mit "Münchhausen" (1943) einen großen Erfolg während der NS-Zeit feierte, ohne sich vor den Propaganda-Karren spannen zu lassen, galt zudem als Spezialist für dramatische und gesellschaftskritische Filme – einen Ruf, den er schon kurz nach dem Krieg mit sogenannten „Trümmerfilmen“ ("...und über uns der Himmel" (1947)) gefestigt hatte.
Er ließ das Drehbuch nach dem Roman "Wer glaubt schon an den Weihnachtsmann" der Autoren Klaus Bloehmer und Peter Heim anfertigen, aber wie nah sich der Film an die literarische Vorlage hielt, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, da diese - wie der Autor Bloehmer – heute unbekannt ist. Einzig Peter Heim verfügt noch über einen gewissen Bekanntheitsgrad, den er seinem Erfolg "Die Schwarzwaldklinik" verdankt, nach dem die gleichnamige Fernsehserie entstand. Letztlich spielt dieser Aspekt nur eine untergeordnete Rolle für die Bewertung des Films, da der dramatische Aufbau der in Essen, mitten im Ruhrgebiet, spielenden Handlung vorhersehbar blieb und die gängigen Klischees über die deutsche Jugend bedient wurden. Entsprechend nah liegt es, "Die Frühreifen" als veraltetes Abbild der konservativen deutschen Nachkriegsgesellschaft abzutun, aber ähnlich wie in "Die Halbstarken" gelang es auch hier, dank überzeugender Darsteller und eines im Detail mutigen Drehbuchs, die ursprüngliche Absicht des Films zu relativieren.
Christian Doermer wiederholte seine Rolle als solider junger Mann aus "Die Halbstarken", aber wie dort blieb er der unspektakulärste Charakter, weshalb seine Vorbildwirkung schwach geblieben sein dürfte. Zwar sollte der Sprung vom 10m -Turm zu Beginn auch eine verwegene Seite des jungen Arbeiters betonen, der täglich unter Tage fährt, sich weiter bildet und einen Teil seines Gehalts spart, aber Wolfgang (Christian Doermer) agiert gegenüber seiner Freundin Inge (Heidi Brühl) zu unbeweglich und altväterlich, um auf das Publikum attraktiv zu wirken. In der Realität hätte sein Typus sicherlich gute Chancen gehabt, aber im Film bedarf es anderer erzählerischer Mittel, wie der im Jahr darauf entstandene, thematisch verwandte Film "Der Pauker" (1958) bewies, der seine rückständige Botschaft konsequenter ausarbeitete. Dort spielte der inzwischen populär gewordene Peter Kraus zuerst die faszinierende Rolle, um - nachdem er aus den drohenden Konsequenzen die richtigen Lehren gezogen hatte - zu seinem anständigen jungen Mann zu reifen.
In "Die Frühreifen" wurde Peter Kraus dagegen noch als übler Charakter besetzt. Erst stiehlt er zum Spaß ein Auto, um es nach einer verwegenen Verfolgungsjagd mit der Polizei irgendwo abzustellen - er selbst besitzt als Sohn reicher Eltern ein eigenes Cabriolet - dann füllt er junge Mädchen mit Alkohol ab und filmt sie nackt, ohne auf irgendwelche Gefühle Rücksicht zu nehmen. Sein Spiel orientierte sich an James Dean, was besonders in der Schlussszene deutlich wird, in der er weinend zusammenbricht. Sollte der Film beabsichtigt haben, ihn als warnendes Beispiel einer dekadenten, egoistischen Jugend zu brandmarken, kann dieser Versuch nur als misslungen betrachtet werden. In seinem coolen Auftreten wurde Peter Kraus zum heimlichen Star des Films - schade, dass seine steigende Popularität ähnlich zwiespältige Rollen später nicht mehr ermöglichte.
Noch bemerkenswerter, wenn auch weniger plakativ und im Zeitkontext feststellbar, ist die von Heidi Brühl gespielte Rolle der jungen Verkäuferin Inge, deren strenger Vater (Paul Esser) ihr jeden Umgang mit jungen Männern verbietet und sie zu Hause tyrannisiert. Vordergründig spielt sie die Rolle der geläuterten Jugendlichen, die zuerst den Versuchungen erliegt, um nach schrecklichen Erfahrungen wieder auf den Weg der Tugend zurückzukehren, aber - selbst im Vergleich zum aktuellen Hollywood-Film - fiel ihr Buß-Gang sehr schwach aus, der sündig gewordenen Frauen normalerweise abverlangt wurde. Heidi Brühl agierte zudem erstaunlich selbstbewusst – erst zieht sie aus dem Elternhaus aus, beendet die Beziehung zum braven Wolfgang, nachdem dieser ihre Konsequenz kritisiert hatte, um wenig später mit dem attraktiven, aber psychisch gestörten Freddy (Christian Wolff) zusammen zu ziehen, den sie gemeinsam mit seinen reichen Freunden auf einer Party nach einer Modenschau kennengelernt hatte. Nachdem sie erwartungsgemäß mit den Abgründen hinter der glitzernden Fassade konfrontiert wurde, kehrt sie wieder zurück in ihre einfachen, aber anständigen Verhältnisse, ohne sich unterwerfen zu müssen – bis zum Ende verzichtete Josef von Báky auf die üblichen plakativen Korrekturen eines vorherigen Fehlverhaltens. Selbst die Rolle des evangelischen Vikars (Horst Brockmann), der sich in alle Angelegenheiten einmischt, wurde für die Entstehungszeit des Films modern angelegt.
Trotzdem lässt sich der Staub der 50er Jahre nicht vollends von „Die Frühreifen“ abschütteln. Die damaligen Aufreger erzeugen heute nur noch ein müdes Lächeln und Bakys Film ist anzumerken, wie sehr er sich um provozierende Details herum winden musste. Obwohl Inge und Freddy in einer Wohnung zusammenleben, sind sie nur einmal bei einem Kuss zu sehen – ihre wahrscheinliche Sexualität wird nicht thematisiert. Zwar lässt Günther (Peter Kraus) an Hand des gefilmten nackten Rückens der jungen und naiven Hannelore (Sabine Sinjen) keinen Zweifel daran, dass sie sich vor ihm auszog, gleichzeitig betont er aber, dass er darüber hinaus kein Interesse an dem Mädchen gehabt hätte. Ähnlich unrealistisch ist die Szene im Leichenschauhaus, denn die Polizei hätte die Jugendlichen auf diese Weise nicht konfrontieren dürfen – hier war der mahnende, moralische Zeigefinger wichtiger als die sonst schlüssige Milieuschilderung, die die eigentliche Qualität des Films ausmacht.
Die hier mit kontrastierenden Bildern von Fördertürmen und modernen Villen gezeigte materielle Diskrepanz war für die entstehenden Konflikte ausschlaggebend, und erinnert daran, dass die Phase eines großen sozialen Gefälles auch in der BRD noch nicht lange vorbei ist. Der nach dem 2.Weltkrieg einsetzende Wirtschaftsaufschwung verteilte die Einkommen zunächst sehr unterschiedlich. Während erfolgreiche Unternehmer sich jeden Luxus leisten konnten, war die Anschaffung eines Motorrads, wie sie hier - wie in „Der Pauker“ – thematisiert wurde, für die überwiegende Mehrheit der Arbeiter und Angestellten nur mit Ratenzahlungen möglich, verbunden mit der drohenden Gefahr, sich finanziell zu übernehmen. Eine starke Mittelschicht, die diese Unterschiede nivellieren konnte, befand sich erst im Aufbau. Filme wie „Die Frühreifen“ verstanden sich angesichts wachsender sozialer Brennpunkte als Appell an die Jugend, sich von den Verheißungen eines Luxus-Lebens nicht verführen zu lassen, bedienten aber gleichzeitig dessen Faszination. Heidi Brühl und Peter Kraus konnten in ihren Rollen dagegen anspielen, verkörperten als junge Stars aber den Wunsch nach Ruhm und sozialem Aufstieg. (7/10)