„Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink vertragen.“ (ein höflicher Gastgeber: Mr. Lawrence)
„Der Ghul“ aus dem Jahre 1975, der mit dem gleichnamigen Film mit Boris Karloff nichts zu tun hat, ist neben „Die Legende vom Werwolf“ eine weitere Produktion der wenig bekannten britischen „Tyburn“, die es in Deutschland zu einer VHS-Veröffentlichung brachte. Erneut verfilmte der britische Erfolgsregisseur Freddie Francis („Frankenteins Ungeheuer“) damit ein Drehbuch Anthony Hinds‘ und wieder einmal konnte er auf Genre-Ikone Peter Cushing („Frankensteins Fluch“) zurückgreifen.
Die sorglosen 1920er-Jahre: Während einer dekadenten Party in einem Landhaus spinnen zwei junge Pärchen die Idee zu einem Autowettrennen. Man bricht auf und braust übers Land bis hin zur nebligen Küste – die so neblig ist, dass man sich verfährt und das Rennen aufgeben muss. Ohne so recht zu wissen, wo sie sich gerade befinden, wird einer der Männer tot aufgefunden. Dem anderen Pärchen geht das Benzin aus. Nach und nach geraten alle ins Haus des seltsamen ehemaligen Indien-Missionars Dr. Lawrence (Peter Cushing), der mit einem finsteren Gärtner (John Hurt, „Oxford Murders“) und einer indischen Haushälterin zusammenlebt – und ein furchtbares Geheimnis im Keller des Gebäudes verbirgt...
„Der Ghul“ beginnt zunächst einmal mit einer Definition, was so ein Ghul eigentlich ist. Dann schwenkt man über zur ausgelassenen Party, auf der die schicksalhafte Entscheidung getroffen wird, das Wettrennen durchzuführen, wobei sich eine blonde Protagonistin als besonders und unangenehm herrisch herausstellt. Mitten im Genreklischee angekommen ist man dann, wenn irgendwo im Nirgendwo der Kerl doch tatsächlich beschließt, mutterseelenallein im dichten Nebel loszustapfen, um Benzin zu holen – und seine Freundin daraufhin auf sich allein gestellt beginnt, im moorigen Wald herumzulatschen! Soviel Doofheit muss natürlich bestraft werden und so trifft sie auf einen mysteriösen Fremden, der wiederum sie trifft – mit einem Stein am Kopf. Er kidnappt sie, um sie davon abzuhalten, das Haus zu betreten. Diese wenig vertrauenserweckende Gestalt ist allerdings nicht der Ghul, sondern der Gärtner Mr. Lawrences. Die Dame kann sich befreien und wird von Lawrence ins Haus geladen.
So schwer nachvollziehbar die Handlung bis jetzt auch anmutet, gewinnt der Film doch schlagartig an Klasse, sobald Peter Cushing die Szenerie betritt. Ihm wurde einmal mehr eine Paraderolle auf den Leib geschneidert, indem er den verbitterten, alternden Gentleman spielen darf, der um seine Frau trauert. In seinem Charakter schwingt die Melancholie eines gebrochenen Mannes deutlich mit, er wirkt mehr mitleidserregend als bedrohlich. Von seinem dunklen Geheimnis ahnen seine sich nach und nach zu seinem Haus im Moorgebiet verirrenden Opfer nichts, und Lawrence hat keine Ahnung vom eigenen Spiel, das die indische Haushälterin und der Gärtner treiben. Von der titelgebenden Kreatur (Don Henderson, „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“) bekommt man zunächst lediglich den Unterleib und seinen zustechenden Arm zu sehen. Fortan bewegt sich die Handlung etwas arg langsam und bisweilen beliebig auf die finale Konfrontation mit dem Ghul in Lebensgröße zu, dessen grünes Antlitz nach dem ganzen Brimborium, das um ihn veranstaltet wurde, leider enttäuscht. Visueller Höhepunkt war vielmehr ein gemessen am Stil des Films sehr blutiger Mord, kurz bevor das Finale eingeläutet wurde.
Auf der Haben-Seite für sich verbuchen kann „Der Ghul“ jedoch eine atmosphärische Inszenierung mit vielen düsteren Bildern und einem durchgehend ernsten (wenn auch stellenweise unfreiwillig komischen) Ton, auf die er sich indes zu sehr verlässt. Gesellschaftliche Ängste vor exotischer Mystik sowie ein aus dem Kolonialismus rührender Schuldkomplex klingen im Subtext an und sind weiß Gott keine allzu schlechte Ausgangssituation für einen Horrorfilm; das sich daraus ergebende Potential wurde aber nur unzureichend genutzt. Letztlich sind es die Schauspieler, allen voran der ehrwürdige Peter Cushing, aber auch John Hurt sowie prinzipiell auch diejenigen, die die vier Wettrennen-Begeisterten verkörpern, wären ihre Rolle erinnerungswürdiger ausgefallen und ihre Charaktere interessanter konzipiert worden, die „Der Ghul“ leicht über den Durchschnitt hinaushieven Ein großer Wurf ist das sympathische Filmchen aber beileibe nicht geworden und somit in erster Linie für Briten-Grusel-, Freddie-Francis- oder Peter-Cushing-Komplettisten interessant.