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Heute schreiben wir den 30. Juli 2004. Bald sind Wahlen in den USA, dem Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten. Zeit für Demagogen, ihr Propagandamaterial vermehrt unter das Volk zu streuen und Amerikaner noch in letzter Minute auf ihre Seite zu ziehen. Mit dem liberalen Michael Moore und seinem "Fahrenheit 9/11" haben die Demokraten indirekt ein wirkungsvolles Pferd im Stall, einen Anti-Bush-Film, der einen amtierenden Präsidenten kaum besser an den Pranger hätte stellen können.

Agitprop nennen die Amerikaner diese populistischen Dokumentationen. Agitation und Propaganda - das ist es, was Michael Moore hier aus einer politischen Motivation heraus betreibt. Also wird der Erzfeind, in diesem Falle George W. Bush, dessen umstrittene Wahl ebenfalls noch unter die Lupe genommen werden wird, zunächst als Schönwetter-Präsident portraitiert, der gerne ein paar Golfbälle schlägt, wenn die Sonne scheint und eines beinahe ganz aus den Augen verliert: Seine Arbeit. Doch wenn die Urlaubs- und Freizeitbilder des Herrn Bush aufgebraucht sind und noch einige weitere politische Nebendarsteller im Vorspann die Leinwand geschmückt haben, verschwinden die Farben und das Bild wechselt in ein tiefes Schwarz.

Ein Schwarz für einen schwarzen Tag in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, dem 11. September 2001, einem Datum, das die noch junge Geschichte dieses Jahrtausends prägt. Es rumst und kracht, Menschen weinen und schreien, die Leinwand ist immer noch schwarz. Moore erspart uns die Aufnahmen der in die Türme des World Trade Centers einschlagenden Flugzeuge; wir alle haben sie schließlich unzählige Male gesehen. Dann verfolgt Spürhund Moore seine erste heiße Fährte und will Verbindungen des Bush-Clans zu einflussreichen saudiarabischen Familien, Bin Ladens eingeschlossen, nachweisen. Dass Öl verbindet und zwischen der Bush-Familie und den Scheichs des Orients alles andere als Vakuum herrscht(e), war - zumindest im alten Europa - allerdings schon länger bekannt.

Wichtige neue Erkenntnisse sammelt der Zuschauer kaum. Viele Recherchen und Aspekte las man bereits in Moores Büchern. Und wie auch in "Bowling for Columbine" kommen die Medien nicht ungeschoren davon. Als ein bedeutender Komplize der Bush-Administration verbreiten sie die Angst vor dem Terror. Denn eingeschüchterte und verängstigte Bürger nehmen dann sogar Einschränkungen ihrer Grundrechte in Kauf. Auch schicken sie bereitwillig ihre Soldaten in einen Krieg gegen Bauern, Arme und - ach ja Terroristen. Terroristen, die ihre Zelte auf Massenvernichtungswaffen aufgeschlagen haben und Amerika mit ihren Superraketen bedrohen.

Es ist ebenfalls nichts Neues, was Moore uns dort serviert. Aber immerhin hält er seinen Mitbürgern die fadenscheinige Begründung für den Irak-Krieg noch einmal vor Augen, damit diese bei den Wahlen am 2. November das Kreuz an der richtigen Stelle machen. Wo die erste Hälfte von "Fahrenheit 9/11" durchaus überraschend analytisch aufgebaut war, drückt die zweite Hälfte nun auf die Tränendrüse. Aktuelle Bilder werden präsentiert: Bilder von schwerstverwundeten Soldaten und zivilen Opfern aus dem Irak, aber auch von weinenden Müttern in der Heimat, deren Söhne nicht wiederkehren werden. Es ist zwar nicht verwerflich, wenn Moore das menschliche Leid zeigt. Dennoch ist es in dieser Art und Weise schlicht und ergreifend Opfer instrumentalisierende Propaganda, die geschickt zu emotionalisieren weiß.

Die musikalische Untermalung trägt stets ihren Teil dazu bei. Einfühlsam und nachdenklich stimmend, wenn die Schrecken des Krieges zu sehen sind. Aber auch sarkastisch und beißend, wenn George W. Bush wieder einmal als Depp in Einzelteile zerlegt wird. Im Übrigen spielt die Musik für die amerikanischen Soldaten ebenfalls eine nicht unbedeutende Rolle. Denn wenn es mit dem Panzer alles niederzuwalzen gilt, hört man dabei gerne mal "The roof is on fire! We don't need no water, let the motherfucker burn" zur Begleitung - das ist vielleicht noch das Erstaunlichste der zweiten Hälfte und bestätigt einem, wie viel Wahrheit noch heute in diesem verrückten "Apokalypse Now" steckt.

Dank "Fahrenheit 9/11" wissen die amerikanischen Bürger nun, was sie am 2. November zu tun haben. Dass die hier gezeigte Idylle Bagdads vor dem Irak-Krieg aber nur allzu utopisch ist und alle kopftuchtragenden Scheichs wie Al-Qaida-Angehörige erscheinen, wird wohl den wenigsten auffallen. Neben all der Propaganda und Subjektivität ist "Fahrenheit 9/11" keineswegs uninteressant und in seiner sarkastischen Art zweifelsohne unterhaltsam und mit Sicherheit ist Moore auch ein Meister der gewieften Inszenierung und des geschickten Schnitts, dennoch bleibt die traurige Erkenntnis, dass man in der Gegenwart einen Gegner offenbar nur mit seinen eigenen schmutzigen Mitteln zu bekämpfen weiß.

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