Review
von Cineast18
Für viele Menschen stellt der 11. September 2001 einen alles entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung der jüngeren Politikgeschichte dar: Die Reaktion der US-amerikanischen Regierung unter George W. Bush auf die schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte des Landes gipfelt in einem ungerechten Krieg gegen den Irak, in dem systematisch die Kultur eines ganzen Landes vernichtet wird. Für den ebenso umstrittenen wie prämierten Dokumentarfilmer Michael Moore liegt der Wendepunkt allerdings schon einige Monate früher: bei der Amtseinführung George Bushs.
In seinem persönlichen Feldzug gegen die Regierung Bush führt Moore eine ganze Reihe von teils unfassbaren Fakten an, mit denen der Präsident sich nicht nur seinen Wahlsieg erschlichen hat, sondern danach auch die Pflichten seines Amtes sträflich vernachlässigt und schließlich sogar missbraucht hat. "Fahrenheit 9/11" beginnt schon sehr emotional: Er zeigt Bushs desaströsen Amtsantritt nach dem historischen Wahldebakel, blendet dann mit dem Spruch "Er tat, was wir alle in dieser schwierigen Situation tun würden: Er machte Urlaub" zu einer Reihe von Urlaubsaufnahmen Bushs in Florida und Texas über - und endet mit einem schwarzen Bildschirm, währenddessen man die beängstigende Geräuschkulisse hört, die die Einschläge der Flugzeuge ins World Trade Center markieren.
Schon an dieser langen Eingangssequenz wird die teilweise sehr spekulative und manipulative Schnittmontage deutlich, mit der Moore oft arbeitet. Dass er sich mit seinen Filmen nicht streng an die geltenden Dokumentarfilm-Richtlinien hält, hat ihm oft Ärger eingebracht. Er will Emotionen wecken und dem Zuschauer (besonders dem amerikanischen) direkt ins Herz fahren - dass er dabei den einen oder anderen Trick verwendet, wie eben fragwürdige Zusammenschnitte von Szenen oder gestellte Zusammentreffen, nimmt er gerne in Kauf. Ob diese Art der Dokumentation gefällt, ist wohl Geschmackssache. Dass sie einen Angriffspunkt in Bezug auf seine Glaubwürdigkeit darstellt, kann kaum bestritten werden.
Dennoch überzeugt "Fahrenheit 9/11" mit den bloßen Fakten über eine Regierung, die einen Terroranschlag zur Ausrufung eines ungerechten Krieges und darüber hinaus zur Etablierung quasi diktatorischer Verhältnisse im eigenen Land ausnutzt. Moore zeigt systematisch die teils sehr verschlungenen Geschäftsbeziehungen aller am 11. September beteiligten Wirtschaftsparteien und deren Nutzen an dem daraus resultierenden Sicherheitswahn. Er klagt die Regierung Bush offen an, das amerikanische Volk zur eigenen Bereicherung auszunutzen. Und am Ende stellt er die überaus intelligente Frage, warum es immer wieder die ärmsten Bevölkerungsschichten sind, die "für ihr Land dienen", die, wie er sagt, "ihr Leben opfern, damit wir unsere Freiheit genießen können".
Obwohl der Film ein wenig an einer gewissen Ziellosigkeit leidet und besonders gegen Ende zu gefühlsduselig und langatmig wird, fesselt er doch mit seiner dynamischen Inszenierung, den sarkastischen Sprüchen, die sich immer wieder gegen Bush und alles, was er symbolisiert, richten und der bitteren Anklage gegen den (durchaus gelenkten) Niedergang der amerikanischen Gesellschaft. Als ein wichtiges Dokument der Gegendarstellung eines der längsten und meistkritisierten Kriege, die die USA je geführt haben, hat "Fahrenheit 9/11" schon heute historischen Wert. Darüber hinaus erweist er sich auch filmisch als ebenso informativer wie aufwühlender und sogar unterhaltsamer Hintergrundbericht - und als feuriges Plädoyer dafür, sich gegen eine unterdrückende Regierung aufzulehnen. Denn dass Michael Moore mit vollem Herzblut bei der Sache ist, das merkt man seinem Film in jeder Minute an.