Es ist der Morgen des 3. November 2004 und Amerika hat einen neuen Präsidenten gewählt. Nach aktuellem Stand heißt er wieder George W. Bush, die Bemühungen vieler US-Linker, Prominenter und Intellektueller haben also nichts bewirkt. Auch der bekennende Bush-Gegner Michael Moore hat sein Ziel nicht erreicht, obwohl er sogar einen Anti-Bush-Film gedreht hat: „Fahrenheit 9/11“ wurde zum weltweit erfolgreichsten „Dokumentarfilm“ aller Zeiten und heimste die Goldene Palme beim Festival in Cannes ein.
Genüsslich zerpflückt Moore darin die Regierung und den Präsidenten an sich. Als Ursache allen Übels muss der 11.September herhalten, einem geschichtsträchtigen Datum, welches Bush laut Moore vom Urlaubs- zum Kriegspräsidenten werden ließ. Letzteres ist umso erschreckender, als dass das Wort „War-President“ von Bush höchstpersönlich stammt. Anschließend knüpft Moore Verbindungen der Bush-Dynastie mit der Bin-Laden-Familie, was erhöhte Aufmerksamkeit des Zuschauers erfordert, da die Zusammenhänge stellenweise schon etwas weit hergeholt sind. Trotzdem ist es sehr spannend zu verfolgen, wie wirtschaftliche Interessen dazu beigetragen haben, dass der US-Regierung die Anschläge am 11.9. ganz gelegen kamen und wie schlampige Ermittlungen viele Aspekte des Attentats im Dunkeln ließen.
In Hälfte zwei ist Moore vor allem am Irakkrieg und seinen Folgen für das Land und vieler US-Soldaten, sowie deren Angehöriger, interessiert. Am Beispiel Lila Lipscomp, einer Bürgerin aus dem völlig verarmten Flint, gleichzeitig Moores Heimatstadt, wird deutlich, was ein an und für sich nur aus wirtschaftlichen Interessen geführter Krieg an Leid anrichten kann. Doch nicht nur Amerikaner verlieren Angehörige, den Menschen im Irak geht es nach der US-Invasion und dem Sturz Saddams kaum besser, weil die GI’s im richtigen Umgang mit ihnen völlig überfordert sind.
Gleichzeitig offenbart sich aber spätestens im zweiten Abschnitt, dass Moore keine Dokumentation, sondern einen Propagandafilm gegen die aktuelle amerikanische Regierung gedreht hat. Soll heißen, dass er es geschickt versteht, anhand Stakkatoschnitten mancherlei Aussagen aus dem Zusammenhang zu reißen oder Dinge so darstellt, wie sie in der Realität einfach nicht sein konnten. Beispielsweise, dass sämtliche irakischen Kinder vor den US-Bombardements glücklich ihre Drachen steigen ließen und die eigentlichen Leiden erst mit der Invasion begannen. Trotzdem sprechen Bilder zerfetzter Kinderleiber und weinender Mütter dafür, dass Gewalt immer Gegengewalt und Rachedurst erzeugt und die amerikanische Regierung mit ihrem Anliegen, aus dem Irak ein freies, demokratisches Land zu machen, bisher hoffnungslos gescheitert ist.
Michael Moore ist es mit „Fahrenheit 9/11“ deutlich ernster als mit „Bowling for Columbine“, weshalb er auf zwischenzeitliche Erheiterungen wie Cartoons verzichtet und keine Fragen offen lässt, was die Regierung Bush angeht. Die muss seiner Meinung nach weg, dazu bezieht er ganz klar Stellung. Als Zuschauer sollte man differenzieren können, wo Moore hier Realität, wo Fiktion abbildet, wo er Dinge einfach aus dem Zusammenhang reißt. Beispielsweise ist es völlig aus der Luft gegriffen, Bush bloß aufgrund seiner unmittelbaren Reaktion auf die Terroranschläge in einer Grundschule als Deppen hinzustellen, da ein Clinton, Gore oder Kerry in solch einer Situation wohl nicht anders reagiert hätten. Dennoch schafft es Moore, mit oft unlauteren Mitteln für eine objektive Dokumentation, geschickt, den Zuschauer auf seine Seite zu ziehen. Mehr Propaganda als jegliche Moore-Filme vorher, aber äußerst überzeugend und faktisch interessant. Genutzt hat es leider wenig...