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„Komische Schuhe…“

Nach seinem Spielfilmdebüt „Cronos“ gingen vier Jahre ins Land, bevor der mexikanische Filmemacher Guillermo del Toro im Jahre 1997 mit „Mimic“ sein diesmal in US-Produktion entstandenes Zweitwerk drehte: einen irdischen, urbanen Science-Fiction-Horrorfilm, der auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Donald A. Wollheim basiert.

Wenige Jahre nachdem die Insektenforscher Dr. Susan Tyler (Mira Sorvino, „Summer of Sam“) und Dr. Peter Mann (Jeremy Northam, „Das Netz“) die genmanipulierte „Judas-Züchtung“ kreierten, die die eine für Kinder tödliche Seuche in New York übertragenden Kakerlaken vernichten sollten, kommt es zu seltsamen Phänomenen und Todesfällen in der Metropole. Anscheinend ist die Züchtung nicht wie geplant von selbst ausgestorben, sondern hat sich weiterentwickelt – in rasender Geschwindigkeit…

Del Toro transportiert mit „Mimic“ klassischen Kreaturen-/Insektenhorror in die Moderne, genauer: die moderne Großstadt und stellt dabei die Frage nach den ethischen Voraussetzungen und der moralischen Verantwortlichkeit für genmanipulative Eingriffe in die Fauna, zeigt überspitzt mögliche Folgen und spinnt aus diesem Konzept einen zwischen Originalität und Klischee pendelnden Unterhaltungsfilm, der auf eine übersichtliche Anzahl gegensätzlicher Charaktere, Ekel und gut gemachte Spezialeffekte setzt. Ich hatte nun endlich das Vergnügen, mir den Director’s Cut anzusehen, der „Mimic“ so präsentiert, wie er vom Regisseur intendiert war. Meine Erstsichtung der alten VHS-Fassung liegt Jahre zurück, ich erinnerte mich an einen unterhaltsamen Genrefilm, der zunächst keinen sonderlich großen Eindruck auf mich machte, sich jedoch mit einigen Bildern im Langzeitgedächtnis festgesetzt hatte. Del Toro ist zwischenzeitlich gut durchgestartet und so wuchs mein Interesse an einer Neusichtung. Zudem habe ich eine Schwäche für U-Bahn-Schächte, seit ich Michael Jacksons Videoclip (bzw. Martin Scorseses Kurzfilm) „Bad“ gesehen habe und erfreue mich daher ganz besonders an den Untergrund-Kulissen dieses Films, die Schauplatz wilder Verfolgungsjagden und Überlebenskämpfe werden, aber auch, ebenso wie die Szenen in den Straßen New Yorks, atmosphärische Gruselmomente mit sehr unheimlichen, nur schemenhaft erkennbaren Gestalten bieten, die erst relativ spät in voller Pracht gezeigt werden.

Mit der Zeit machen sich ein paar kleinere Timing- und Tempo-Probleme bemerkbar, die daraus zu resultieren scheinen, dass del Toro in Ruhe seine Geschichte erzählen möchte, statt auf plakative Schocks und Spannungsspitzen zu setzen. Der Dramaturgie besonders im Mittelteil hätte ein wenig mehr Pfeffer jedoch gut getan. Dafür wissen neben der charismatischen, kecken Dr. Tyler und ihrem etwas streberhaften Lebensgefährten auch die Nebenrollen zu gefallen; der schimpfende schwarze U-Bahn-Bulle Leonard (Charles S. Dutton, „Alien³“) und der italienische Schuhputzer Manny (Giancarlo Giannini, „Hannibal“) mit seinem autistischen Sohn Chuy (Alexander Goodwin) spiegeln einen Teil der Vielfalt New Yorks wider und avancieren zu Sympathieträgern. Faszinierend, wie Chuy die unterschiedlichen Schuhe von Passanten schon von weitem u.a. am Klang der Schritte erkennt, bei den sich humanoid gebenden Kreaturen aber passen muss. Er weiß prinzipiell mehr als die anderen, kann es aber nicht zum Ausdruck bringen. Das große Finale indes unterscheidet sich doch stark vom Rest des Films, denn so konsequent del Toro vorher Sympathieträgern das Lebenslicht ausblies, so dick aufgetragen und sich in Hollywood-typischen Unwahrscheinlichkeiten ebenso wie in Pathos und Märtyrertum gesuhlt wird sich hier. Das wirkt wie ein Zugeständnis an ein vermutlich mit dem Film angepeiltes Massenpublikum und hätte es in diesem Ausmaß nun nicht unbedingt gebraucht.

Alles in allem aber ist „Mimic“ ein empfehlenswerter, spannender, ekliger Tier-Sci-Fi-Horrorfilm geworden, der mit seinem ruhigen Erzähltempo angenehm einlullt, mit seiner wissenschaftlichen Note tatsächlich mehr informiert und sensibilisiert als zum Lachen anregt und in tollen Bildern der wortwörtlichen Ober- und Unterwelt New Yorks den ungewöhnlichen Überlebenskampf der Schöpfer gegen ihre eigenen Kreaturen – und natürlich umgekehrt – zeigt. Ein Lichtblick aus den ‘90ern, der über einiges an Substanz verfügt, mittlerweile gut gereift ist und sich in seinem Director’s Cut ansprechend präsentiert.

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