Film- und Comicfreak Guillermo del Toro stand noch nie auf Süßes. Dreckig und düster musste es immer sein, gotisch inspiriert, dunkel wie die Nacht, unheilschwanger. Das gilt bislang für seine komplette Filmographie. Keine Ausnahme machte da auch der Tierhorror „Mimic“, mit dem der Mexikaner erstmals die Aufmerksamkeit der breiten Masse auf sich zog.
Selten waren sich Kritiker und Publikum so uneins wie hier, was auch eigentlich nicht weiter überraschend ist. Die augenscheinlichen Mängel sind klar wie Glas. Und doch strahlt das Werk um Rieseninsekten, die die Gestalt ihres Feindes, nämlich des Menschen annehmen können, um so in ihrer Nähe überleben und sie nebenbei als Nahrung zu missbrauchen, eine merkwürdige Eigenfaszination aus. Diese resultiert teilweise aus del Toros zielsicherem Stil. Vor allem aber ist sie das Produkt der Tatsache, dass mit „Mimic“ die Urangst vor dem Unbekannten in der Hülle des uns Bekannten angesprochen wird.
Aus Kritikersicht ist nichtsdestotrotz vieles zu bemängeln. Die Titelsequenz erscheint zunächst einmal gelungen, stellt aber bereits das erste Angriffsziel dar, da „Mimic“ einer der ersten Imitatoren der legendären „Sieben“-Titelsequenz war. Dass das symbolische Aussagekraft haben sollte („Mimic“ = Imitation), darf bezweifelt werden. Die größte Angriffsfläche jedoch bietet der wissenschaftliche Unterbau, der den Spagat zwischen Fakt und Fabel einfach nicht hinbekommt – ähnlich, wie es später noch im japanischen „Ring 2“ der Fall sein sollte. So wird die Unmöglichkeit des Heranwachsens der Judas-Züchtung auf Menschengröße wissenschaftlich korrekt erläutert (wegen des Fehlens von Lungen können Insekten nicht über eine gewisse Größe hinauswachsen). Wieso es dennoch dazu gekommen ist, wird dann mit der Biologie-Allerweltsformel „Die Natur findet immer ihren Weg“ abgetan.
Auch sonst erfahren wir über den biologischen Zyklus der Judas-Züchtung eher wenig. Im Gegensatz zum fiktiven „Alien“ sehen wir vom an der Natur orientierten Monster aus diesem Film lediglich einzelne Stadien – die ursprüngliche Züchtung, Larveneier, biologisch unausgereifte Übergangsstadien und die fertig entwickelten Rieseninsekten – ohne dass die Zusammenhänge zwischen diesen Stadien deutlich werden. Das kann man durchaus als Schlampigkeit anrechnen, wobei man sich wohl darüber im Klaren war, dass die Gefahr von Widersprüchen größer werden würde, je mehr wissenschaftliche Details man einbaute. Man befand sich also in einem Dilemma mit den beiden möglichen Wegen, sich entweder der wissenschaftlichen Widersprüchlichkeit auszusetzen oder durchweg vage zu bleiben. Beides keine attraktiven Lösungen, weshalb man sich wohl für den Mittelweg entschied, immer nur dann wissenschaftlich zu werden, wenn es hieb- und stichfest abgesichert war. Das funktioniert, solange man als Zuschauer nicht über die Erklärungsansätze hinaus nachdenkt, die im Film gegeben werden.
Das Problem ist also eher methodischer Art, weshalb man den Machern höchstens vorwerfen kann, sich überhaupt an einer solchen Thematik versucht zu haben. Denn die wissenschaftliche Herkunft dient nicht nur als Inspiration für die Story, sondern auch als penibel behandeltes Götzenbild, dem es nicht zu widersprechen gilt – zumal das Vorwissen im Groben nicht nur Experten, sondern auch Laien geläufig ist. Jeder wird schon mal etwas von Totenkopffaltern gehört haben, oder vom Aussterben weißer Falter in Manchester, während die rötlich oder schwarz gefärbten Falter in dem industriellen Zentrum Englands mit all dem Ruß und den roten Ziegelsteinen überleben. Das mag daran liegen, dass die Überlebenstechniken von Tieren im Allgemeinen recht interessant erscheinen. Ein Film, in dem chemische Verbindungen oder mathematische Gleichungen vorkommen, hätte es sicherlich einfacher, sich die Fakten zurechtzubiegen.
Andererseits ist das Interesse des Menschen an der Thematik der große Trumpf von „Mimic“, zumal hier die eigene Existenz erstmals in den direkten Zusammenhang mit der Insektenwelt gesetzt wird, indem diese den Menschen bezüglich der Körpergröße gleichgesetzt wird. Die Folge ist der umgekehrte Effekt von „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“, „Das Grosse Krabbeln“ oder auch von der Endsequenz aus „Die Fliege“ (Original): was wäre, wenn wir Gott wären und den Insekten einen bedeutenden Vorteil gegenüber den Menschen verschaffen, indem wir ihnen die gleiche Körpergröße verleihen? Der Mensch würde in der Nahrungskette unweigerlich einen Platz absinken, denn generell ist das Insekt weitaus leistungsfähiger. Der bedeutendste Vorteil jedoch wäre die Tatsache, dass Insekten r-Strategen sind (r = „rate“ = Geburtenrate), das heißt, ihre Population würde sich ohne ernstzunehmenden natürlichen Feind exponentiell ausbreiten. Dieser Ansatz wird im Film zwar auch erwähnt und die Gefahr im Finale verdeutlicht, jedoch hat der Plot auch hier wieder mit logischen Unstimmigkeiten zu kämpfen. Eine Ausbreitung wäre unter diesen Umständen unabwendbar gewesen.
Überhaupt geht del Toro viel mehr in Richtung Suspense und setzt mehr auf Einzelbegegnungen als auf Massenszenen, die wir sicherlich im Sequel hätten bewundern können, wenn es sich hier anstatt um ein B-Movie um einen Millionen-Blockbuster gehandelt hätte. Und ungeachtet aller Logikfehler ist es das, was den Film sehenswert macht und ihm eine kleine, aber feine Fangemeinde beschert hat. Wie schon angesprochen, appelliert del Toro geschickt an die Urängste des Menschen. Die zusammengekauerte Schattengestalt erinnert nicht selten an den Boogeyman, an eine Urgestalt des Bösen. In diesen Szenen sind die Insekten menschliche Monster, hinter deren humaner Fassade das Unbekannte lauert.
Um so etwas darzustellen, ist der Mexikaner natürlich der richtige Mann. Durch die Wahl der Locations, die Beleuchtung und die Soundkulisse schafft del Toro gerade in zwei, drei Szenen eine subtile Meisterleistung. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man sieht, wie Mira Sorvino in einer dunklen, nassen Gasse direkt an dem Rieseninsekt vorbeigeht und es für einen Menschen hält. Oder wenn sie in der U-Bahn eine Schattengestalt nach der Uhrzeit fragt und diese nicht antwortet.
Mit der Ankunft in der Kanalisation weicht die Subtilität jedoch einer effektetechnisch aufwändigeren Actionszenerie, was beinahe anmutet wie der Wechsel von „Alien“ zu „Aliens“. Ab hier gilt das Negerleinprinzip mit einer Ansammlung von mehr oder weniger sympathischen Charakteren, die zwar ansatzweise Klischees sind, zuvor aber ausreichend gut eingeführt wurden, damit sie dem Zuschauer nicht egal sind.
Erneut ist es del Toros atmosphärische Regiearbeit, die das geschehen durchweg interessant erscheinen lässt. Storytechnisch wird währenddessen eine Glorifizierung der menschlichen Natur betrieben, die letztendlich natürlich triumphieren muss, was unter dem Motto „Was ihr könnt, können wir schon lange“ geschieht. In der Zwischenzeit haben wir einiges an Blut gesehen sowie vor allem jede Menge Insekteneingeweide. Wer also schon die Biologiestunden in „Starship Troopers“ eklig fand, der sollte sich von „Mimic“ bloß fernhalten, denn da ist man nicht zimperlich. Die Kanalisationsjagd ist eine dreckige Angelegenheit, aus der niemand mehr mit toupierten Haaren hervorgehen wird.
Fazit: „Mimic“ ist zwar logisch durchwachsen und hat mit den eigenen wissenschaftlichen Ansätzen zu kämpfen, ist dafür aber verdammt kompromisslos und ein ganz dreckiges Stück Underground. Regisseur del Toro stellt einmal mehr sein Gespür für düstere Atmosphäre unter Beweis. Die Kreaturen überzeugen auf ganzer Linie, indem sie mal subtil, mal ganz offen diverse Urängste des Menschen reaktivieren und mit kalter Konsequenz die Jagd auf die Menschen in ihrem eigenen Revier eröffnen.
Für Liebhaber von Kleingetier.