Mein lieber Herr Gesangsverein!
„Mit Zigarette im Mund spricht man nicht!“
Genau zwischen der Einführung zweier gegensätzlicher neuer Figuren, nämlich der ersten „Tatort“-Kommissarin Wiegand in „Das Lederherz“ und dem rüpelhaften Ruhrpottler Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“, durfte der Lübecker Kriminalhauptkommissar Horst Greve (Erik Schumann, „Himmel ohne Sterne“) in seinem einzigen Fall ermitteln: Dem am 31. Mai 1981 erstausgestrahlten Fall liegt ein Drehbuch des Schriftstellers Hansjörg Martin zugrunde, das auf dessen gleichnamigem Roman fußt. Mit der Regie wurde Hans Dieter Schwarze betraut, der im Jahre 1972 seine erste (von zwei) „Tatort“-Episoden inszeniert hatte: „Der Fall Geisterbahn“, ebenfalls nach einem Drehbuch Martins.
„Schrecklich, diese alten Männer…“
Das (fiktionale) schleswig-holsteinische Örtchen Endwarden: Pensionär Otto Fintzel (Georg Lehn, „Die Brücke“) findet beim Renovieren seines Dachbodens einen Koffer seines Bruders Julius, der den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hat. Julius war überzeugter Nazi, wie auch so viele aus Ottos Freundeskreis, mit denen er sich regelmäßig im Männergesangsverein Germania zum Singen und anschließendem Umtrunk trifft. Diese sind allesamt gut in der Bundesrepublik angekommen, denken aber gern an die alten Zeiten zurück. Der unbekannte Kofferinhalt jedoch macht sie nervös. Sie fürchten, dass er belastendes Material über sie enthalten könnte: Dokumentiert er persönliche Mitschuld? Oder wie man vom Genozid an den Jüdinnen und Juden persönlich profitierte? Einem etwas jüngeren Vereinsmitglied käme das eigentlich ganz gelegen… Als beim heimlichen Versuch, an den Koffer zu gelangen, der Wirt Klaus Möhlmann (Heinz Schimmelpfennig, „Tatort“-Kommissar Gerber) tödlich auf der Treppe stürzt, ruft dies Kommissar Greve auf den Plan.
„Könnt ihr nicht endlich mal die alten Zeiten in Ruhe lassen?“
Nach Fintzels schicksalhaftem Kofferfund lernen wir Lehrer Rainer Buchholz (Paul Edwin Roth, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) kennen. Dieser soll befördert werden, was mit einer saftigen Gehaltserhöhung verbunden ist. Ein Haus wolle er sich und seiner Frau (Eva-Ingeborg Scholz, „Der Verlorene“) nun endlich bauen. Seinen als Punkband probenden Schülern hört er eher mit Grausen zu. Das ist jedoch nichts gegen den Kofferfund, aufgrund dessen er um seine Beförderung fürchtet. Was, wenn dadurch seine Vergangenheit als linientreuem NS-Dichter an die Öffentlichkeit kommt? Dabei verkennt er, dass zumindest ein Mitglied jener Punkband (übrigens gespielt von den echten HH-Punks „Copslayers“) längst Bescheid weiß und seinen Drummer (Zacharias Preen, „Rivalen der Rennbahn“) einweiht, vollkommen unabhängig vom Koffer. Der ein „Jaws“-Shirt tragende Drummer macht sich daraufhin einen Spaß daraus, Buchholz mit anonymen Schreiben zu provozieren, was diesen zusätzlich verunsichert.
„Dass ihr nicht erwachsen werden könnt!“
Zusammen mit Fintzel und Buchholz (bizarr: Seine Frau und er schlafen im selben Zimmer, aber in getrennten Betten) wird eine Vielzahl an Figuren eingeführt, die sich schließlich zum gemeinsamen Singen und Feiern versammeln. Gefeiert wird traditionell in der von Klaus Möhlmann betriebenen Gaststätte. Möhlmann belästigt seine wesentlich jüngere Angestellte gern sexuell, seine Frau (Renate Grosser, „Das Schlangenei“) gibt natürlich ihr daran die Schuld. In schneelosem Winterambiente wird so nach und nach ein Milieu skizziert, in dem nach außen hin eine gut- bzw. kleinbürgerliche Fassade aufrechterhalten wird, hinter der aber eine verdrängte, unbewältigte Vergangenheit lauert, die im betrunkenen Zustand beim Schmettern der alten Lieder kultiviert wird, nun aber ganz nüchtern zur Gefahr zu werden droht. Beim Johlen der Kameradenlieder ist man stolz auf die Vergangenheit; sind jedoch persönliche Nachteile zu befürchten, schämt man sich ihrer. Der „Tatort“ zeichnet damit ein sicherlich nicht unrealistisches Generationenporträt der damaligen Zeit. Und dafür nimmt sich die Regie selbige; als Möhlmann schwerverletzt wird und im Krankenhaus stirbt, ist bereits über die Hälfte der Laufzeit vergangen. Die Polizei kommt erst nach 50 Minuten ins Spiel, Kommissar Greve gar erst nach 58.
„Der singt wie ‘ne Gießkanne.“
Greve tritt inkognito auf und versucht, in den Gesangsverein aufgenommen zu werden, um so an die Männer und die Wahrheit heranzukommen. Dies klappt zwar nicht, dennoch gerät er in den Nebenkriegsschauplatz um Hermann Kroll junior (Udo Thomer, „Buddenbrooks“), der eigens nach Hamburg reist, um einen Ganoven (Michael Grimm, „Im Auftrag des Drachen“) zu rekrutieren, wodurch einige schöne Bilder St. Paulis (und Arcade-Spielautomaten in Großaufnahme) in diesen „Tatort“ finden. Dass sich der Koffer als klassischer MacGuffin, also einen für die Handlung zentralen Gegenstand, der letztlich aber irrelevant ist, entpuppt, ist eine schöne Ironie. Was den Dreck angeht, den die graumelierten Herren am Stecken haben, bleibt indes vieles nebulös. So wird der Eindruck erweckt, Buchholz‘ einzige Leiche im Keller sei seine NS-Dichterei. In der Romanvorlage jedoch soll er ein Kriegsverbrecher gewesen sein, der Menschenleben auf dem Gewissen hat. So ist „Das Zittern der Tenöre“ mit seinem langen, geheimnisumwitterten Vorlauf, der marginalen Polizeiarbeit und der Abstinenz von Mord und Totschlag mehr eine Milieustudie als ein Spannungskrimi, wenn auch eine, die Rückschlüsse auf die bundesdeutsche Gesellschaft zulässt.
Das würde man dramaturgisch heutzutage sicherlich ganz anders lösen, funktioniert trotz seiner Betulichkeit aber gerade aufgrund seiner Andersartigkeit. Dies liegt sowohl am namhaften Schauspielensemble als auch an der musikalischen Untermalung Peter Janssens‘, einem Sacropop-Musiker, der ungewöhnliche, das Gezeigte aber harmonisch begleitende Klänge erzeugt (und in einer Nebenrolle auch vor die Kamera tritt). Für ein subkulturell Interessiertes Publikum ist auch der Auftritt der Kidpunks Copslayers interessant, deren Drummer Zacharias Preen der Schauspielerei bis heute treu blieb.