„Der Polizei sind – wie immer – beide Hände gebunden!“
1972 begründete der unter der Regie Stenos entstandene Spielfilm „Das Syndikat“ ein neues italienisches Filmgenre: den Poliziesco. Zwar gab es bereits zuvor Gangster-Filme aus dem Land des Stiefels, doch hatte kein Film zuvor die Polizeiarbeit derart in den Mittelpunkt gestellt. Ein Jahr später setzte sich einer der Produzenten des Erfolgsfilms, nämlich Roberto Infascelli, höchstpersönlich auf den Regiestuhl, um mit „Der unerbittliche Vollstrecker“ eine Art Nachfolger, erneut mit Enrico Maria Salerno in der Hauptrolle, zu drehen. Der Film entstand in italienisch-französischer Koproduktion und sollte Infascellis einzige Regiearbeit neben dem Abenteuerfilm „Luana - Der Fluch des weißen Goldes“ bleiben.
Polizeichef Jovine (Lee J. Cobb, „Der Exorzist“) wirft entnervt das Handtuch, nachdem abermals ein Kind wohlhabender Eltern entführt wurde und diese lieber anstandslos das Lösegeld zahlten, statt die Polizei einzuschalten. Sein Nachfolger Cardone (Enrico Maria Salerno) ist nicht gewillt, die Gangster weiterhin mit all ihren gewalttätigen Gesetzesübertretungen zu lassen. Bei einem Banküberfall mit Geiselnahme bleibt er stur und schafft es tatsächlich, sie unblutig zu beenden und der Ganoven habhaft zu werden. Auf Kritik stößt er jedoch bei Staatsanwalt Aloisi (Jean Sorel, „Malastrana“), der Cardones Methoden als fragwürdig und die Geiseln gefährdend empfindet. Doch unbeirrt fährt Cardone weiter seine harte Linie und stellt sich bei einer weiteren Erführung gegen den Vater des Opfers, vereitelt die Geldübergabe. Doch die Geisel ist tot – wie sich herausstellt war sie es bereits, bevor Cardone eingriff. Während die Kritik an ihm abstreift, sinnt die Unterwelt auf Rache und entführt seinen Sohn (Giambattista Salerno). Bleibt Cardone seiner kompromisslosen Linie treu?
Ich hoffe, dass ich nicht damit daneben liege, wenn ich annehme, dass der Anfang der 1970er-Jahre Spezialeinheiten zur Befreiung von Geiseln etc. noch nicht selbstverständlicher Bestandteil der Exekutive westeuropäischer Staaten waren. Insofern schätze ich die in „Der unerbittliche Vollstrecker“ behandelten Probleme als nicht unrealistisch ein: Wie reagiert man adäquat auf eine Konjunktur von Entführungen, ohne dabei die Sicherheit der Geiseln zu gefährden, aber auch ohne der Unterwelt das Gefühl zu vermitteln, mittels Entführungen ideale Methoden gefunden zu haben, rasch hohe Geldsummen zu erpressen und sich des gesetzlichen Zugriffs zu entziehen? Das klingt zunächst einmal angenehm differenziert und wie eine gute Prämisse für einen durchdachten Polizeifilm. Eine fantastische Titelmelodie Stevio Ciprianis (später wiederverwendet für „Der Tod trägt schwarzes Leder“ und geklaut von Tarantino für „Death Proof“) stimmt ein auf intelligentes und/oder unterhaltsames Kino à la italiano und ein engagierter Salerno nimmt seine Rolle sehr ernst, verhilft dem Film zu Charisma und Ausstrahlung.
Doch zu früh gefreut, denn die Handlung setzt im Gegensatz zu „Das Syndikat“ auf eine einseitige Darstellung der Polizei als von Vorschriften und Gesetzen in ihrer Arbeit behinderte, geradezu ohnmächtige Behörde, die doch eigentlich nur Gutes im Sinn hat, und legt dem ehemaligen Polizeichef markige, reaktionäre Sprüche in den Mund. Diese wiederum will man offensichtlich nicht lediglich als Ausdruck eines frustrierten Pensionärs verstanden wissen, sondern scheint von 12 bis Mittag gedacht das Übertreten von Vorschriften zu glorifizieren. Dies äußert sich vornehmlich im Lauschangriff auf den Erpressten ohne entsprechenden Beschluss; dieser nachvollziehbar präsentierte Einzelfall jedoch sagt in naiver Weise aus, dass der Zweck die Mittel heilige, die Polizei zu wenig Rechte habe und das Ignorieren von Vorschriften zum Erfolg der Justiz führe – welch ein perfider Widerspruch in sich und welch gefährliches Spiel mit den Errungenschaften des Rechtsstaats, denn wer seine Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren. Das interessiert in „Der unerbittliche Vollstrecker“ indes ebenso wenig wie Fragen nach für den Verbrechensanstieg (mit-)verantwortlichen gesellschaftlichen Hintergründen und Umständen. Die Verteilung des Reichtums, wie es sein kann, dass wohlhabende Bevölkerungsschichten ohne mit der Wimper zu zucken exorbitant hohe Geldsummen an die Entführer zu zahlen in der Lage sind, wird in keiner Weise thematisiert, stattdessen wird der Eindruck erweckt, Grund für die Vielzahl der Entführungen sei ausschließlich die Unfähigkeit der Polizei.
Als schließlich Cardones Sohn entführt wird, gewinnt der „Der unerbittliche Vollstrecker“ an persönlicher Ebene, baut den ersten wirklichen Konflikt für Cardone auf. Das ist zwar Anlass für rasante Verfolgungsjagden, die beeindruckendes ’70er-Action-Kino bieten, ansonsten jedoch in seiner für italienische Verhältnisse überraschenden Inkonsequenz bzw. Zurückhaltung nicht mehr als ein weiterer kurzer Schrecken für Cardone und die Zuschauer mit dem Ergebnis, dass man seiner Linie treu bleiben müsse, auch wenn es einmal weh tun sollte. Wie das persönliche Schicksal hier jedoch unter das der „Gerechtigkeit“ und der Nation gestellt wird, hat schon einen etwas merkwürdigen Beigeschmack, wurde jedoch wie prinzipiell das gesamte Finale auch nicht vollends durchexerziert.
„Der unerbittliche Vollstrecker“ (dessen deutscher Titel irreführender Humbug ist, denn von einem eiskalten Richter über Leben und Tod ist Cardone noch weit entfernt), weiß anscheinend selbst nicht so recht, was er will, lenkt den Polizeifilm ein Stück weit in Richtung Selbstjustiz, versucht dabei jedoch stets, seinen seriösen Anstrich zu bewahren, wenngleich er Tiefgang ebenso vermissen lässt wie Konsequenz und stattdessen nur an der Oberfläche kratzt. Langweilig jedoch wird er dabei nie, Zeitkolorit und technische Versiertheit sichern ein gewissen Unterhaltungs- und formales Qualitätslevel, schauspielerisch gibt es bis auf den zu blassen und bubenhaften Jean Sorel als Staatsanwalt ebenfalls wenig zu beanstanden. Wo „Das Syndikat“ aber wunderbar differenziert und intelligent konstruiert war, dabei Fragen von gesellschaftlicher Relevanz aufwarf und zu Debatten anregte, wirkt „Der unerbittliche Vollstrecker“ unentschlossen, blauäugig und vermeintlich einfache Antworten bietend – und damit letztlich leider enttäuschend.