Review

Der deutsche Film ist tot? Ha! Denkste! Hans Weingartner beweist mit „Die fetten Jahre sind vorbei“, dass das junge deutsche Kino lebt! Und wie es lebt (komisch nur, dass diese Tatsache ein österreichischer Regisseur beweisen muss)!!!

Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) haben die Schnauze voll von der Ungerechtigkeit auf dieser Welt: die einen haben gar nichts, dafür haben die anderen viel zu viel. Ihre Meinung tun sie kund, indem sie als „Die Erziehungsberechtigten“ in die Villen der Reichen Berlins einbrechen und dort das gesamte Inventar auf den Kopf stellen. Oberstes Prinzip: Gestohlen wird nichts! Die Bonzen sollen nur merken: „Die fetten Jahre sind vorbei!“ Alles läuft nach Plan, bis Peters Freundin Jule (Julia Jentsch) und Jan sich, während Peter in Barcelona Urlaub macht, näher kommen und die drei Freunde schließlich durch eine Reihe von Missgeschicken zu Entführern wider Willen werden.

Geschickt zeigt Weingartner zu Beginn des Films die Diskrepanzen zwischen der Oberschicht und der revolutionierenden Unterschicht auf. So regt es zum Beispiel die einen auf, dass der Williams-Christ-Brand in einem Likörglas statt in einem Obstbrandglas serviert wird, während die anderen dagegen demonstrieren, dass Markenschuhe in Asien durch Kinderarbeit produziert werden. Ein weiteres Werkzeug der Filmemacher, die sozialen Unterschiede darzustellen, ist der Blick zunächst auf die WG von Peter und Jan, in der dem Zuschauer überall rohe, unbearbeitete Wände sowie heilloses Durcheinander entgegenblicken, und der damit konkurrierende Blick in eine der Villen der Reichen und Mächtigen. So wird bereits von Beginn an ein Denkprozess beim Zuschauer angestoßen, der bis über das Ende der „Fetten Jahre“ hinaus andauern soll.

Der Film kommt dadurch, dass er durchgehend mit einer Handkamera gefilmt wurde, mit einem dokumentarischen Touch rüber, der dem Zuschauer zugleich das Gefühl gibt, selbst mitten im Geschehen zu sein. Die verwackelten Bilder, die dadurch entstehen, machen „Die fetten Jahre sind vorbei“ somit noch intensiver in der Übermittlung seiner Botschaften als es ein konventionell gefilmtes Werk wohl je geschafft hätte. Dieser Verzicht auf technisch hochwertiges Equipment lässt auch ein nahezu vollkommen neues Spiel mit Licht und Ton zu, das dem Film auf eine unerklärliche Weise zusätzlichen Charme verleiht.

Daniel Brühl überzeugt wie so oft durch seine erfrischende Art, seine Rollen zu interpretieren. So zeigt er sich im einen Moment als Kumpeltyp, im anderen Moment als der erwachsene Aufklärer, der Jule dazu bringt, sich endgültig gegen das Diktat der Mächtigen aufzubäumen, ohne dass er auch nur in einem der Augenblicke unglaubwürdig wirkt. Doch nicht nur Brühl weiß zu überzeugen. Auch die anderen drei Hauptdarsteller – Julia Jentsch, Stipe Erceg und Burghart Klaussner – zeigen sich in sehr guter Form. Nach und nach kann man sich ohne weiteres in jede der vier Hauptfiguren (ja, sogar in den „Widersacher“ Hardenberg) hineinfühlen, man kann sich mit ihren Meinungen und Taten vollends identifizieren. Allen voran ist da Julia Jentsch zu nennen, die während des gesamten Films nie ihre Natürlichkeit verliert, damit zu einer der ganz großen Sympathieträgerinnen dieses Streifens gereift, und den Zuschauer hoffen lässt, dass man in Zukunft noch mehr von ihr auf der Leinwand zu sehen bekommt.

Die Schauplätze, die „Die fetten Jahre“ dominieren, sind durch die Bank gut gewählt: die bereits erwähnte WG der Revoluzzer ebenso wie die Hütte in den Alpen, die durch ihre idyllische Lage einen wunderbaren Kontrast zu der Situation bildet, in der sich die drei durch die Entführung Hardenbergs (Burghart Klaussner) befinden.

Bevor der Film Gefahr läuft, unnötige Längen zu entwickeln, bauen Drehbuchautorin Katharina Held und Regisseur Hans Weingartner geschickt Wendungen im Verhältnis zwischen den Protagonisten ein. Dies gelingt, ohne dass die Wendungen aufgezwungen wirken, was sicherlich auch wieder ein Verdienst der großartig agierenden Schauspieler ist.

Abgerundet wird das filmische Werk durch eine sehr gute Musik-Auswahl, die – im Gegensatz zu manch anderem deutschen Film – in keinem Augenblick unpassend oder gar störend wirkt.

„Die fetten Jahre sind vorbei“ ist ein Film, der nachdenklich macht. Nachdenklich darüber, was in diesem Land, was auf dieser Welt schief läuft. Weshalb es in diesen modernen Zeiten immer noch solch gravierende Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt und weshalb diese Unterschiede immer größer werden. Hans Weingartner und Katharina Held schaffen es ebenso, den Zuschauer zum Nachdenken über die eigene Person anzuregen. Was habe ich mit den Idealen, die ich in früheren Jahren verfolgt habe, heute noch gemein? Könnte ich, als die Person, die ich heute bin, meinem Ich von „damals“ mit gutem Gewissen in die Augen blicken? Und was kann ICH tun, um diese Welt zu verbessern? All diese Fragen und noch viele weitere mehr kann man aus diesem Film ziehen, und somit nach den etwas mehr als zwei Stunden filmischer Unterhaltung Abende mit Unterhaltungen über den Film füllen. Und eines wird wohl nach vielen dieser Diskussionen als Fazit dastehen: „Manche ändern sich wohl nie.“

„Die fetten Jahre sind vorbei“ ist sicherlich kein leichter Stoff, auch wenn er mit einer Leichtigkeit gespielt und gefilmt wurde, die – vor allen Dingen für einen deutschen Film – beeindruckend ist. Alles in allem ist Hans Weingartner hier gemeinsam mit seinem hervorragenden Ensemble ein sehr intelligenter Film gelungen, endlich wieder wunderbares deutsches Kino, bei dem es nicht schwer fällt, in die hohen Punktezahlen zu greifen. Für „Die fetten Jahre sind vorbei“ fette 9 von 10 Punkten und die Bitte an das Duo Weingartner/Held: „Mehr davon!!!“

Details
Ähnliche Filme